Herr Gaschler, noch nie war der Begriff „Alter“ so vielschichtig – es gibt die „Sixty plus“, also Menschen über sechzig, die Silver Ager, Senioren und Seniorinnen, die Alten (ab achtzig) und die wirklich Alten (über neunzig) – was heißt eigentlich Altenpastoral?
(lacht) Das hab ich mich auch gefragt – ich bin kürzlich sechzig geworden: Zähle ich jetzt auch dazu oder nicht…
Böse Zungen würden sagen: bei der Altenpastoral sind Sie für 80 Prozent des Kirchenvolks zuständig…
In den letzten Jahren ist mir die „Überalterung“ unserer Gottesdienstbesucherinnen und -besucher besonders bewusst geworden und ich hab dann auch festgestellt, dass auf einmal die Menschen „sechzig plus“ weg sind und man hört dann: die sind in Spanien oder mit dem Wohnmobil unterwegs oder Ähnliches. Die werden eher wieder „sichtbar“, wenn sie nicht mehr so flexibel sind und wenn die ersten Zipperlein kommen. Doch dann kommen sie oft gar nicht mehr. Auch wenn sie vorher regelmäßige Kirchgänger waren, sind sie weg, haben sie den Bezug verloren. Oft weiß man nicht, ob sie weggezogen sind oder im Pflegeheim… Hier sehe ich meine große Aufgabe: mal zu schauen: Wo sind die Leute? Warum sind sie uns verloren gegangen?
Früher galt es als Selbstläufer, dass die Leute im Alter zu Glaube und Kirche finden. Warum ist das heute nicht so?
Gläubig sind die Menschen durchaus. Aber dass sie regelmäßig am Gemeindeleben teilnehmen und sich engagieren, wenn sie in Rente kommen – diese Zeit ist vorbei. Die Best Ager sind unterwegs.
Was wollen Sie dagegen unternehmen, das heißt: wie gehen Sie mit dieser Situation um?
In Munderkingen werde ich die Situation vor Ort eruieren und schauen: Was gibt es? Wo hakt es? Ich werde zu den Seniorennachmittagen gehen, aber eben auch schauen, wie man die Best Ager wieder gewinnen kann. Mir schwebt vor, dass man mal ein Wochenende für eine bestimmte Altersgruppe anbieten kann: ein ganz niederschwelliges Angebot, zum Beispiel mal die Wohnmobilisten einzuladen und gemeinsam irgendwohin zu fahren – ich bin ja selbst begeisterter Camper – und zu zeigen, dass Kirche auch anders geht. Das Dekanat bietet ja auch Veranstaltungen an wie „Mit Rucksack und Bibel“, wo sicher Verknüpfungen möglich sind. Wir müssen einfach auch mal gucken: Wer kommt in Rente? Denen sollte man aber nicht einfach nur einen Brief schreiben, sondern man muss auch „Klinken putzen“, die Leute besuchen, alles Gute für den neuen Lebensabschnitt wünschen… Ich muss vor Ort sein und zu den Leuten gehen.
Sie planen also klassische Quartiersarbeit, wie es sie früher einmal gab?
In Ehingen haben wir die sogenannte Wohngebietsarbeit gehabt. Die ist inzwischen verschwunden, weil die von den Best Agern getragen wurde: sie haben Neuzugezogene besucht oder wenn ein Kind auf die Welt kam et cetera. Die sind jetzt selber achtzig und älter und können das oft gesundheitlich nicht mehr tun. Man hat aber kaum neue Sechzig- oder Fünfundsechzigjährige gewonnen, um diese Arbeit aufrechtzuerhalten.
Auch wenn das nicht so ganz neu klingt – viele stellen sich unter Altenpastoral doch eher das Klassische vor: ein bisschen Programm für die Alten…
Ja, das wird auch ein Teil sein: ich werde sicher auch im Seniorenheim als Seelsorger tätig sein, Gottesdienste feiern, mal einen Impuls halten, um ein Stück weit die Brücke zu schlagen zur Gemeinde, den Menschen erzählen, was in der Gemeinde läuft und dass man an sie denkt.
Wie haben sich eigentlich die Erwartungen der älteren und alten Menschen unter den Vorzeichen von Corona verändert?
Ein ganz wichtiges Thema ist Einsamkeit – das war für Bewohner und Angehörige eine ganz schwierige Zeit und sehr viele Menschen sind sehr einsam gestorben. Da ist sehr viel kaputt gegangen. Das müssen wir ernst nehmen, die Menschen wieder mehr an der Hand nehmen, so wie es möglich ist. Ich plane, regelmäßig im Pflegeheim zu sein, da zu sein, wenn etwas ist. Wir als Gemeinde zeigen Flagge. Für die mobileren Menschen geht es darum, Geselligkeit mit Glauben zu verbinden und so die Menschen kennenzulernen. Was mir außerdem wichtig ist: die Verzahnung mit der Sozialstation zu intensivieren, um auch zu wissen, wenn jemand krank ist; dass die Menschen, die nicht mehr zur Kirche kommen können, wissen: Die Kirche kommt zu mir. Es ist erschreckend zu sehen, wie die Zahl der Krankenkommunionen zurückgeht.
Hat die Kirche in der Coronazeit da ein falsches Signal ausgesandt?
Da war schon vor Corona ein großer Rückgang. Viele Angehörige trauen sich nicht, diesen Schritt zu wagen und anzurufen, wenn der Vater oder die Mutter oder Oma, Opa den Wunsch haben, dass da jemand kommt. Der Anruf kommt meistens, wenn der- oder diejenige im Sterben liegt.
Nochmal zurück zu Ihrer neuen Aufgabe. Anders als in der Kindergarten- oder Firmpastoral kriegen Sie Ihre Klienten nicht auf dem Silbertablett. Was reizt Sie denn an der Aufgabe?
Das kommt meinem Naturell entgegen und ist auch mein theologischer Ansatz. Ich bin jemand, der nicht von oben herab denkt nach dem Motto: Ich biete einen Gottesdienst an und die Leute haben zu kommen, sondern andersrum: Ich geh zu den Leuten und versuche sie für den Gottesdienst oder für Kirche insgesamt zu interessieren. Es gibt eine große Unsicherheit bei vielen Menschen; viele können sich nicht vorstellen, dass jemand von der Kirche offen und bodenständig ist – und da geht es darum, zu zeigen: Ich bin ein ganz normaler Mensch. Vielleicht kommen wir wieder mehr an Menschen heran, die jetzt weiter weg sind.