Wie lassen sich Phänomene wie Social Media und technische Innovationen wie Künstliche Intelligenz (KI) am besten erschließen? Der Schriftsteller Alexander Estis hat einen Weg gefunden, sich von den digitalen Umwälzungen nicht unterkriegen zu lassen, sondern aus ihnen etwas Erfrischendes für sich herauszukitzeln. In einer Schreibwerkstatt der Katholischen Erwachsenenbildung Stadt- und Landkreis Heilbronn (Keb) teil er seine spielerisch-experimentelle Herangehensweise mit 13 Neugierigen.
Die sitzen an drei Tischen im Besucherzentrum der IPAI-Spaces. Als erste Annäherung sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Kommentar-Bereiche von Social-Media-Plattformen oder Online-Medien nach gehässigen Beiträgen durchforsten. Die Aufgabe lautet, jeweils einen dieser Kommentare oder Kommentarfragmente in einen fiktiven Dialog einzubauen. Die Gäste der Schreibwerkstatt drehen die Meinungsäußerungen ins Science-Fictionhafte oder setzen ihnen eine eigene Pointe entgegen.
Texte aus Hashtags
„Wie können wir auf das Monologisieren und die Besserwisserei anders schauen?“, ist Estis Ausgangsüberlegung. Die Übung vermittelt: Online-Kommentare lassen sich mit einem anderen Blick als literarisches Material betrachten. Das helfe, sich nicht von ihnen herunterziehen zu lassen, sagt Estis.
In der nächsten Experimentierrunde bilden Hashtags Bausteine für Texte, Estis spricht von Hashtexts. Zunächst sollen gängige KI-Anwendungen nach den beliebtesten Hashtags befragt werden. Mitglieder des ehrenamtlichen KI-Teams Heilbronn sitzen als Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit an den Tischen. Diese KI-Botschafter und -Botschafterinnen helfen beim Bedienen von ChatGPT und anderen KI-Werkzeugen. Alle Anwendungen spucken unter anderem „love“, „fashion“ sowie „photooftheday“ in ihren Antwortlisten aus.
Sprachbilder und KI-Bilder
Aus den Begriffen entstehen kurze Beschreibungen oder Geschichten. Hashtags seien eigentlich flach und oberflächlich, erklärt Estis. Die literarische Verwandlung verleiht ihnen Tiefe oder bricht sie ironisch. So bettet Christopher Klein seine Hashtags in die Zeitgeschichte und verknüpft sie zu einer Charakterisierung der Mode („fashion“) der 60er Jahre zwischen „love“ und „nature“. Er schreibe gern, sagt Klein. Als Softwareentwickler arbeite er selbst mit einer Form von Sprache, meint der 41-Jährige.
Estis steigert das Spiel mit der KI: Sie wird an jedem Tisch mit einer selbst verfassten, bildhaften Beschreibung gefüttert, um ein künstlich generiertes Bild zu erzeugen. Zu diesem soll die KI im nächsten Schritt eine Beschreibung liefern, die wiederum in die Bildgenerierung eingespeist werden kann – was sich in mehreren Durchgängen so weitertreiben lässt.
Schriftsteller und Stadtschreiber
Denn Estis reizt die Grenzen der KI gerne aus. Der 1986 geborene, mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller, Essayist und Kolumnist war Stadtschreiber von Heilbronn und ist ab Juni Stadtschreiber in Dresden. Die Schreibwerkstatt ist nicht die erste Zusammenarbeit mit der Keb Heilbronn – wobei für diese Veranstaltung laut Keb-Leiterin Ingrid Wegerhoff das Literaturhaus Heilbronn, der IPAI sowie die Stadt Heilbronn zu den weiteren Kooperationspartnern gehören.
In seinem neuen Buch „Bugs“ liefern Social Media und andere Phänomene rund um das digitale Leben für Estis Vorlagen für groteske Kurzgeschichten. In der Realität lässt er gern Mensch gegen Maschine antreten, um zu schauen, was passiert. In der Schreibwerkstatt hat er zwei Anregungen, wie solche Experimente mit der KI beginnen können: zum Beispiel mit widersprüchlichen Befehlen oder unlösbaren Aufgaben, wie dem Verfassen eines deutschen Textes ohne den am häufigsten vorkommenden Buchstaben E.