Unter dem Titel insight: öffnen dort das Bildungswerk und das Haus der Katholischen Kirche den Blick für spannende Fragestellungen der Bildenden Kunst und knüpfen dabei an Religion und Gesellschaft an. Maria Dis vom Katholischen Bildungswerk Stuttgart e.V. stellt das Ausstellungsformat im Interview vor und erläutert, wie dieses in Rom zum Thema wurde.
Frau Dis, können Sie uns genauer erklären, was es mit insight: auf sich hat?
Insight: wurde 2014 als kuratiertes Ausstellungsprojekt im Haus der Katholischen Kirche (HdKK) in Stuttgart ins Leben gerufen. Insight: versteht sich als Plattform für Ausstellungen und Projekte, die v.a. zeitgenössische, junge, bildende Kunst präsentiert, die eine Schnittstelle zu gesellschaftlichen, sozialen, politischen oder religiösen Themen haben. Oft spielten in der Vergangenheit existentielle Fragestellungen eine wichtige Rolle; ich nenne beispielsweise mal die Stichworte Familie, Flucht, Tod oder auch Herkunft. Neben dem Einrichtungsleiter des HdKK und des Katholischen Bildungswerks Stuttgart e.V. (KBW), Roland Weeger, und mir, gibt es ein Kuratorium aus wechselnden Mitgliedern, die bei der Auswahl der Ausstellungen, Themen und Projekte beratend zur Seite stehen. Die Mitglieder sind lokal in Stuttgart verortet und international künstlerisch oder kuratorisch aktiv.
Gibt es weitere Aspekte, die insight: besonders charakterisieren?
Wichtig für das Verständnis von insight: ist neben der konzeptuellen Ausrichtung auch der Ort, an dem die Ausstellungen gezeigt werden: Das HdKK in Stuttgart. Das Haus zeichnet sich v.a. durch seinen offenen Charakter aus. Seine Lage im Zentrum einer der teuersten Einkaufsstraßen Deutschlands und im Zentrum einer industriellen Metropole Europas, in der Menschen aus über 180 Nationen zusammenleben, sind die Hintergründe und Basis, die bei unserem Ausstellungsprojekt insight: mitzudenken sind. Zudem befinden wir uns nicht in einem abgeschlossenen Ausstellungsraum oder einem Museum, der ausschließlich für die bildende Kunst gefertigt wurde, sondern in einem offenen Galerieraum, als Teil eines großen offenen architektonischen und konzeptuellen Ensembles, zu dem ein Café, ein Buchladen und die direkte Anbindung an St. Eberhard, der Konkathedrale der Diözese in Stuttgart, gehören. Wir möchten uns mit insight: und dem Programm des Katholischen Bildungswerks im HdKK aktiv in das Leben der Stadt einmischen, Diskussionen anregen, Fragen stellen und einen Raum schaffen – räumlich wie ideell – wo sich nicht alles um Kommerz und Konsum dreht.
Das Konzept baut auf einen offenen Zugang mit wenigen Hürden für potentielle Konsumenten. Welche Rolle spielt dieser offene Ansatz?
Es ist schön, wenn das Konzept – so wie der Raum – als offen wahrgenommen wird und der Zugang leichtfällt. Gerade zeitgenössische Kunst wird häufig eher als kryptisch, hermetisch und schwierig zu verstehen angesehen. Unsere Ausstellungen sind immer zugänglich zu den Öffnungszeiten des Hauses. Die Besucherinnen und Besucher müssen keinen Eintritt zahlen und wir sind bemüht, die Themen in ausführlichen Booklets und Begleitheften zu kommunizieren. In der Regel gibt es während der Ausstellungsdauer zusätzliche Angebote, wie Gespräche mit den Künstlerinnen und Künstlern, vertiefenden Vorträge zu den Themen o.ä.
Zeitgenössische Kunst und Kirche – das könnte auch als Widerspruch gesehen werden, ist es aber nicht, wie insight: deutlich macht. Wie eng hängen Kunst und Kirche auch heute noch zusammen?
Kunst und Kirche haben eine lange, enge Verbindung. Nehmen wir die großen Künstler der Renaissance, wie Michelangelo oder Raffael, also die Avantgarde ihrer Zeit. Gerade sie sollten die Kirchen ausgestalten, Skulpturen und Grabmäler anfertigen. Selbst ein Künstler wie Caravaggio, der eher als enfant terrible galt, wurde beauftragt Altarbilder anzufertigen. Es sind immer die Künstler gewesen, die ihrer Zeit voraus waren, die die Aufträge der Kardinäle und Päpste erhielten.
Es wäre schön, wenn auch heute bei der Ausgestaltung von Kirchenräumen mehr junge, zeitgenössische künstlerische Ideen mit einfließen würden. Aber auch darüber hinaus könnte man diese Verbindung zwischen Kirche und Kunst mehr fördern, indem man mehr Räume dafür schafft, ob in diözesanen Museen oder temporär in Kirchenräumen selbst. Auch die finanzielle Ausstattung für Projekte wie insight: muss hier berücksichtigt werden. Im Moment trägt das KBW Stuttgart mit großzügiger Unterstützung der Roman und Gertrud-Stetter Stiftung die gesamten Kosten des Projekts. Einen Widerspruch sehe ich also nicht, vielmehr sehr viele Anknüpfungspunkte, auch in der zeitgenössischen Kunst. Es braucht aber auch von kirchlicher Seite das Interesse und den Willen dazu.
Wie sind Sie mit dem Projekt durch die Corona-Pandemie gekommen und was erwartet die Gäste von insight:, wenn nun die Corona-Beschränkungen weitgehen fallen?
Im letzten Jahr mussten unsere Ausstellungen mit insight: leider ausfallen, auch die Ausstellung „Unter die Haut: Mein Tattoo – Meine Geschichte“, die wir im April 2021 eröffnen wollten, mussten wir in den Herbst verschieben. Wir haben gemeinsam mit dem Stuttgarter Fotografen Martin Sigmund Menschen aus der Region eingeladen, sich und ihre Tattoos porträtieren zu lassen und uns ihre Geschichte dazu zu erzählen. Entstanden ist eine sehr schöne Ausstellung mit einem umfassenden Booklet, die wir hoffentlich am 18. November eröffnen dürfen. Pandemiebedingt habe ich die Teilnehmenden nur per E-Mail und Telefon kennengelernt. Durch ihre persönlichen Geschichten, die ich mit ihnen gemeinsam für das Booklet zur Ausstellung zusammengestellt habe und durch die sehr schönen fotografischen Porträts, die Martin Sigmund im letzten Jahr unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften in seinem Atelier mit den Teilnehmenden angefertigt hat, sind sie mir jedoch sehr vertraut geworden, ohne dass ich sie je persönlich getroffen habe. Daher freue ich mich sehr auf die Eröffnung im November. Das Booklet ist auch schon bei uns im KBW kostenfrei erhältlich.
Auch Rom ist auf insight: aufmerksam geworden. Wie kam es dazu?
Eigentlich war es eine Einladung aus Österreich, der ich gefolgt bin. Bischof Glettler aus Innsbruck wurde von Kardinal Ravasi, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates für Kultur, eingeladen, mit einer kleinen Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern aus Deutschland und Österreich in Rom Projekte an der Schnittstelle zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche vorzustellen. Bischof Glettler, der selbst Kunstgeschichte studiert hat und – wie er mir erzählte – sogar Student in der Klasse von Rudolf Schoofs an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart war, bat unseren Kollegen Dr. Johannes Rauchenberger, Leiter des KULTUM in Graz, zu überlegen, welche Einrichtungen und deren Vertreterinnen und Vertreter für eine Präsentation in Rom in Frage kämen. Herr Rauchenberger kannte insight: schon aus den Anfangszeiten, da wir ihn 2015 eingeladen hatten, mit seiner Sammlung aus Graz bei uns in Stuttgart eine Ausstellung zusammenzustellen. So kam der Kontakt zustande und so war insight: eines der Projekte, neben beispielsweise der Kunststation St. Peter aus Köln und der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst e.V. in München, die dem Kardinal und einigen Vertreterinnen und Vertretern der Vatikanischen Museen im Rom vorgestellt werden konnten.