Herr Schmitt, was hat Sie dazu bewegt, die Aufgabe des Vorsitzenden des Kunstvereins zu übernehmen?
Es sind sehr pragmatische Gründe, sich dieser Aufgabe zu stellen. Mit dem Ausscheiden von Dekan im Ruhestand Paul Magino und der stellvertretenden Vorsitzenden Michaela A. Fischer war klar, dass bei der Neuwahl auch die Ämter neu verteilt würden. Die letzten Amtsperioden seit 2010 konnte ich mich als Kassier gut in die Aufgaben hineinfinden und bot als ‚Büro-Rottenburger‘ auch die Möglichkeit, Aufgaben mit Unterstützung der Diözese gleichsam geschäftsführend zu erledigen, auch wenn es keine offizielle Geschäftsführung gibt. Dabei ist es für mich wichtig, dass ich diese Vorstandsaufgabe als Ehrenamt betreibe. Die vereinsrechtlich notwendige Aufgabe des Vorsitzenden lässt sich am leichtesten erfüllen, wenn jemand über längere Jahre in die Vorstandsarbeit hineingewachsen ist und die Grundstrukturen der Arbeit kennenlernte. Die weiteren neu und wieder gewählten Vorstandskolleginnen und -kollegen hielten sich bei der Wahl dieses Amts zurück. Und auch wenn ich angesichts des Zeitaufwands mich zuerst scheute, sagte ich schließlich ja, weil ich dem Kunstverein viele Impulse verdanke und seine Tätigkeit damit fortführen will. Noch wichtiger ist aber: ich weiß mich in dieser Arbeit von meinen gewählten und qua Amt Vorstandskolleginnen und -kollegen klar unterstützt.
In den zurückliegenden Monaten gab es noch mehr Veränderungen im Kunstverein. Können Sie uns hierüber mehr berichten?
Die letzte Amtsperiode war in der Tat von starken Veränderungen geprägt, angefangen von der Auflösung der früheren Geschäftsräume in Rottenburg, die für diözesane Stellen gebraucht wurde. Dankenswerterweise stellt Weihbischof Dr. Gerhard Schneider in seinen Amtsräumen Ersatzräumlichkeiten zur Verfügung. Es galt, die umfangreiche Bibliothek des Kunstvereins, die der frühere Vorsitzende Dr. Michael Kessler aufgebaut hatte, in die Diözesanbibliothek zu integrieren, dann auch das Archiv des Kunstvereins, den es ja schon seit 1852 gibt, in das Diözesanarchiv zu integrieren und auch den kleinen Bestand an Kunstwerken gut zu deponieren. Das gelang mit bester Unterstützung durch die Mitarbeiter des Diözesanarchivs einerseits und durch Frau Dr. Nadine Niester vom Diözesanmuseum andererseits. Einschneidend für den Verein war auch die Aufgabe der Homepage, weil die personelle Ressource des Vereins zur kontinuierlichen Pflege nicht mehr vorhanden war. Zumindest haben wir seither nun einen kleinen digitalen Zufluchtsort auf der vielbesuchten Seite des Diözesanmuseums gefunden. Eine markante Veränderung war auch die Revision der Satzung, die als Anpassung an gesetzliche Vorgaben notwendig wurde. Die Neufassung verlief mit vielen Diskussionen und man spürte das Herzblut, das Mitglieder für den Kunstverein haben. Schließlich möchte ich nicht unterschlagen, dass der Verein einen spürbaren Mitgliederschwund zu verzeichnen hat, teils durch Tod, da der Verein einen recht hohen Altersdurchschnitt hat, aber auch durch Austritte. Die Jahre, in denen pastorale Mitarbeiter gleichsam automatisch mit ihrem Dienst in den Kunstverein eintraten, liegen lange zurück und jüngere Mitarbeiter in der Pastoral setzen andere Akzente als in der Kunst.
Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück und wie bewerten Sie die Neuerungen?
Ich kenne keinen Verein, in dem derzeit nicht größere Umbrüche stattfinden. Und es hat für mich auch etwas Gutes, wenn in solchen Umbrüchen die Frage nach dem Wozu und Wie gestellt wird. Dafür gibt es keine leichten Lösungen und natürlich wünsche ich mir auch, dass nicht alles auf einmal hinterfragt wird. Es gab und gibt sicher Enttäuschungen über das, was als Zielvorstellung im Blick ist, aber gegenwärtig nicht realisiert werden kann. Ich erlebe aber auch, dass es die Chance geboten hat und bietet, alte Muster zu verlernen und sich auf Neues einzulassen, beispielsweise in der Gestaltung der von uns mitverantworteten sogenannten Reichenauer Künstler:innentage, die wir im letzten Jahr verantworteten und mit einem neuen Ansatz der Durchführung mit sehr guter Resonanz durchführten. Und das ist auch mit einem kleineren Vorstand gelungen.
Und wie sehen Sie die künftige Entwicklung? Gibt es Ziele, die sich der Verein gesetzt hat, und wie viele Mitglieder zählt der Kunstverein aktuell?
Ich will es offen sagen: der Kunstverein wird weiter schrumpfen, was auch mit seiner Mitgliederstruktur zusammenhängt. Von den Zeiten, vor gut zwei Jahrzehnten, wo man die Tausend anzielte, sind wir ein gutes Stück entfernt – derzeit gibt es 239 Mitglieder. Aber das macht mich nicht mutlos, eher spornt es mich und meine Vorstandskolleginnen und -kollegen an, die Frage der möglichen Aufgabenerfüllung entsprechend der Satzung auf das Machbare hin zu beantworten: nämlich die ‚Förderung des Verständnisses für alte und moderne Kunst‘ zu betreiben, ‚sie wissenschaftlich zu erforschen und darzustellen, sich für zeitgenössische Kunst im kirchlichen Raum einzusetzen und die Begegnung zwischen Kirche und Künstlern zu pflegen‘. Das betreiben wir, auch angesichts begrenzter finanzieller Ressourcen, an den Orten, wo es uns möglich ist, mit einem vielleicht bescheiden erscheinenden Programm, in dem wir aber auf die Kooperation mit dem Diözesanmuseum ebenso setzen wie auf Kirchengemeinden oder Tagungshäuser, die daran interessiert sind.
Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die der Kunstverein für die Diözese heute übernimmt?
Jüngst erschien eine zweibändige Dissertation von Dr. Michael Habres über die kirchliche Denkmalpflege und das Wirken des früheren Kunstvereinsvorsitzenden Prälat Erich Endrich – diesen Einfluss wird der Kunstverein gewiss nicht mehr haben. Aber mir schwebt vor, dass wir stärker wieder in Kooperationen gehen zu kleinen Formaten um Kunst und Bildung, vielleicht auch zur Begleitung von Kirchengemeinden, die mit den vorhandenen Möglichkeiten die Impulskraft der Kunst für Spiritualität und Liturgie neu entdecken wollen. Und da wäre es gewiss hilfreich, dass unsere Vernetzung mit Künstlerinnen und Künstlern genutzt werden könnte. Nach meiner Ansicht sind wir nicht die großen Antreiber im Geschäft der Kunst, sondern können über unsere Wirkweisen im Jahrbuch Heilige Kunst, die Reichenauer Künstler:innentage und kleine Gesprächsforen das Feuer der Kunst auch im Raum der Kirche mit wachhalten.
Gibt es etwas Neues zum Thema ‚Jahrbuch‘?
Das Jahrbuch Heilige Kunst für die Jahre 2022/23 ist in der Entstehung schon weit fortgeschritten, dank der Redakteurin Dr. Nadine Niester und dem Thorbecke-Verlag, bei dem es erscheint. Der Band, der auf Ende des Jahres erscheinen wird, bietet schwerpunktmäßig den Blick auf die letztjährige Tagung ‚Traces – Spuren des Undarstellbaren in der Kunst‘, daneben kunstgeschichtlich-ästhetische Aufsätze, die Berichte des Bauamts und der Kunstinventarisierung und anderes mehr. Wir sind inzwischen in einen klaren zweijährigen Rhythmus eingetreten, der sowohl von der Redaktionsarbeit gut machbar ist wie den Ressourcen angemessen ist. Mein Traum im Kontext Jahrbuch ist eine Retrodigitalisierung der Jahrbücher 'Heilige Kunst' seit ihrem Erscheinen nach dem Zweiten Weltkrieg, so dass diese wertvollen kleinen Studien und Berichte weiter verbreitet werden könnten, nicht zuletzt angesichts des möglichen Vergessens von Kunst in Kirchen durch veränderte größere Einheiten. Doch damit dieser Traum wirklich werden könnte, müssten wir ein größeres Geldgewicht an die Traumwolken hängen.
Der Kunstverein der Diözese fördert laut seinen Statuten sowohl alte als auch neue Kunst und setzt sich für zeitgenössische Kunst in der Kirche ein. Wie gelingt ihm dieser Spagat?
Dass alte und neue Kunst zusammengehen ist für mich nicht wirklich ein Spagat, eher eine kontinuierliche Aufgabe, damit Menschen mit weit geöffneten Augen und aufgesperrtem Mund Erstaunliches in diesem Dialog entdecken. Da bin ich dankbar, dass das Diözesanmuseum, das in der Person seiner Leiterin Dr. Melanie Prange im Vorstand vertreten ist, solche ‚Spagate‘ oder vielleicht sage ich besser Brücken durch Ausstellungen ermöglicht und der Kunstverein hier und da fördert, auf jeden Fall durch die Ausstellungsberichte im Jahrbuch einen Resonanzkörper bietet. Und auch die Berichte des Bauamts wie seit geraumer Zeit die der Kunstinventarisation spiegeln diese Förderung der Wahrnehmung von zeitgenössischer und älterer Kunst wider. Der Spagat ist eine künstlerische Form des Tanzens und braucht Übung, und auf diese Übung lassen wir uns immer wieder ein, auch mit fast 175 Jahren.
Gibt es Überlegungen für künftige Kooperationen mit dem Diözesanmuseum nach der Umbauphase?
Konkrete Überlegungen gibt es da bislang nicht, aber eine deutliche Option, das Diözesanmuseum als Ort der Begegnung mit Kunst im kirchlichen Kontext zu unterstützen, vielleicht auch durch kooperative Veranstaltungen. Aber mit Frau Dr. Prange und Frau Dr. Niester haben wir wichtige Gesprächspartnerinnen, die wir schätzen und mit denen wir einen guten Weg suchen. Und da wir am Anfang dieser Amtsperiode stehen, suchen wir auch noch nach unseren Perspektiven.
Im Jahr 2027 feiert der Kunstverein sein 175-jähriges Bestehen. Das ist eine sehr lange Zeit. Wie gehen Sie im Verein mit diesem Erbe um?
Diese lange Zeit des Wirkens des Kunstvereins unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen, aber immer mit dem Ziel, Glauben und Religiosität im Gespräch mit der Kunst zu fördern beziehungsweise zu halten, zu würdigen ist für mich unbestritten ein Teil der Diözesangeschichte und darin der Sakralbau- wie Ausstattungsgeschichte. Als ich in den Verein in den neunziger Jahren eintrat war mein Fokus mehr das Zeitgenössische, später kam dann durch meine Arbeit auch das Interesse an der Formung kirchlicher Bauwerke und Kunstwerke im 19. wie 20. Jahrhundert dazu. Um das Erbe nicht im Tresor der Geschichte zu vergessen, sehe ich eine Aufgabe darin, nach den gemeinsamen Intentionen der Aktivitäten von damals und heute zu fragen. So möchte ich die kontinuierliche Impulskraft herausstellen, die in allen geschichtlichen wie liturgie- und pastoraltheologischen Transformationen durch das Wirken des Kunstvereins deutlich wurde. Und wir möchten die Impulskraft der Anfangszeit auch wiederbeleben, und zwar insbesonders angesichts der kirchlichen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse.
Gibt es denn schon Überlegungen, wie das Jubiläum würdig gefeiert werden kann?
Offen gesagt: noch nicht wirklich. Allerdings werden wir 2027 die Reichenauer Jahrestagung wieder zu verantworten haben und sie in diesen Jubiläumskontext stellen. Die beiden kommenden Jahre werden den Vorstand kontinuierlich daran erinnern, und ich hoffe auch Mitglieder für kreative Ideen einer Gestaltung gewinnen zu dürfen – auch hier könnte es doch passend sein, nicht klassischen Mustern zu folgen, sondern schöpferische und künstlerische Impulse zu setzen, die die Grundintention der Gründer in die Herzen von pastoralen Mitarbeitenden wie Kirchengemeindemitgliedern bringt. Ein fester Bestandteil im Jahreskalender des Vereins sind die Reichenauer Künstler:innentage am zweiten Oktoberwochenende. Nächstes Jahr sollen sie erstmals im Kloster Schöntal stattfinden.
Warum haben Sie diesen neuen Standort gewählt?
Das hatte zum einen sehr pragmatische Gründe: das Tagungshaus auf der Reichenau war für die uns möglichen Termine schon belegt. Und auf der anderen Seite nehmen wir schon lange wahr: so schön es auf der Reichenau ist, so liegt sie für eine große Zahl von Mitgliedern sehr weit weg. Und so ist es eine Idee, auch den Mitgliedern einmal entgegen zu kommen und ihnen eine Teilnahme leichter zu machen. Ein anderes Moment war auch: wir werden immer wieder auf die Reichenau zurückkehren, wo wir gemeinsam mit der Gemeinschaft christlicher Künstler:innen diese Tagungen erleben, aber wir möchten auch Kontakte mit Orten suchen, an denen Kunst immer wieder auch zum Angebot der Bildung gehört. Und 2025 soll es daher auf jeden Fall im Rahmen der Jahrestagung eine Ausstellung im Kloster Schöntal mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern aus dem Kunstverein geben. Das steht fest, wenn auch das Thema noch geboren werden muss.