Ein „großer Triumph des Friedens über Unrecht und Krieg“ ist nach den Worten von Weihbischof Dr. Gerhard Schneider die Rückkehr von fünf Kirchenglocken, die während des Zweiten Weltkriegs für Rüstungszwecke abgehängt worden sind. Diese Glocken, die fortan als Friedensglocken erklingen, „stehen für das Gegenteil, was die Nationalsozialisten wollten: Sie stehen nicht für Krieg, sondern für Frieden; sie stehen nicht für Hass, sondern für den gemeinsamen christlichen Glauben vieler Völker; sie bringen die Menschen in Tschechien und Deutschland nicht auseinander, sondern zusammen - Was für eine wunderbare Wendung“, sagte Schneider bei einem Pontifikalamt, das der Bischof von Ostrava-Opava (Ostrau-Troppau), Martin David, mit Vertreterinnen und Vertretern aller zehn beteiligter Kirchengemeinden am Samstag feierte.
Liebe, die Frieden wirken kann
Begegnung steht im Mittelpunkt
Die Reise von Christen aus Beimerstetten (Alb-Donau-Kreis), Hemmingen (Landkreis Ludwigsburg), Roigheim (Landkreis Heilbronn), Schwenningen (Landkreis Villingen-Schwenningen) und Tübingen-Lustnau in die Tschechische Republik fand im Rahmen des von Bischof em. Dr. Gebhard Fürst initiierten Projekts „Friedensglocken für Europa“ statt. Die Rückkehr der Glocken ist Symbol für Hoffnung, Völkerverständigung und Frieden. Im Mittelpunkt steht deshalb die Begegnung mit Menschen aus den Gemeinden, aus denen die Glocken stammen: Doubrava (Dombrau), Věřňovice (Willmersdorf), Třanovice (Trzanowitz), Oldřišov (Odersch) und Třebom (Thröm). Neben Weihbischof Schneider gehören der Delegation aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart auch Diözesanmusikdirektor Prof. Dr. Hans Schnieders als Leiter des Projekts sowie Schwester Faustina Niestroj, Referentin des Glockenprojekts, an.
Frieden und Versöhnung sind möglich
In seiner sehr persönlich gehaltenen Predigt erinnerte Schneider an die herzliche Gastfreundschaft, die er schon kurz nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ erleben durfte, als er 1990/91 in Prag am Europäischen Jugendtreffen der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé teilgenommen hatte. Unvergesslich geblieben sei ihm nicht nur die tiefe Freude und große Aufbruchstimmung, die die Menschen erfasste, die kurz zuvor noch von Grenzen und Mauern getrennt gewesen waren. Besonders beeindruckt habe ihn die Sorge und aufmerksame Zuwendung in der Gastfamilie, die „echte und tiefe Freude darüber, dass wir da sind“. Auch im gemeinsamen Beten habe sich gezeigt, dass Friede und Versöhnung möglich seien, gerade und vor allem auch unter Christen.
Wenn heute, gut 30 Jahre später, in Europa und an vielen Orten in der Welt wieder Krieg herrsche, „ist es an uns zu zeigen: Frieden und Versöhnung sind möglich, grenzenlos möglich“, sagte Schneider. Die christliche Liebe frage nicht nach Sympathie, sondern suche in jedem Menschen das Gute und Schöne, das Gott ihm ins Herz gelegt hat. Es gelte, „diese Liebe, die Frieden wirken kann, in die Welt zu bringen“. Davon kündeten die fünf zurückgekehrten Glocken genauso wie die fünf neuen Friedensglocken in Deutschland.
Glocken haben ihren Klang nicht verloren
Bei dem von den Cantores Domini aus Místek musikalisch gestalteten Pontifikalamt wurden die zurückgekehrten Glocken, die im Eingangsbereich der Kathedrale aufgestellt waren, als Friedensglocken gesegnet. Gedenktafeln, die an die Geschichte der „Friedensglocken für Europa“ erinnern und die Mahnung zum Frieden wachhalten sollen, wurden in einer feierlichen Zeremonie symbolisch von Weihbischof Schneider und Vertretern der deutschen Gemeinden an Repräsentanten der Gemeinden aus der Diözese Ostrava-Opava überreicht. Auch wenn die Glocken während des Zweiten Weltkriegs gewaltsam zum Schweigen gebracht worden seien, um aus ihnen Waffen herzustellen, hätten diese Glocken, die der Zerstörung entgangen sind, ihren Klang nicht verloren, sagte Bischof Martin David am Ende des Gottesdienstes. Ihre Stimme erklinge immer wieder in den Herzen der Menschen – 1990 in einem bewegenden Wort der Versöhnung des ersten postkommunistischen tschechischen Präsidenten Václav Havel und einem Briefwechsel zwischen den deutschen und den tschechoslowakischen Bischöfen genauso wie nun „erneut mit voller Kraft“ in dem Friedensglocken-Projekt.
Gemeinsame christliche Wurzeln
Bischof David erinnerte an die christlichen Wurzeln, durch die die beteiligten Völker miteinander verwoben sind und sich in gemeinsamen Glaubenszeugen wie der heiligen Hedwig oder dem seligen Pfarrer Richard Henkes widerspiegeln. Als Vertreter der Diözese Ermland in Polen, in die im vergangenen Jahr vier Glocken zurückgebracht wurden, nimmt der Diözesanbaumeister Prof. Dr. Marek Jodkowski an der Begegnung teil. Am Vormittag des ersten Besuchstages hatte die deutsche Delegation die Gemeinde Píšť (Sandau) besucht. Von dort stammt Karl Boczek, der schon im Jahr 2015 eine Initiative zur Rückgabe der Glocke gestartet hatte; dorthin wurde auch die erste Friedensglocke gebracht. Als Vertreterin aus dem württembergischen Aichtal-Grötzingen, wo die Glocke jahrzentelang erklang, sagte Anette Matrei: „Ich möchte Ihnen sagen, wie froh und dankbar wir Grötzinger sind, dass die Kirchenglocke nach so langer Zeit endlich wieder in ihrer Heimatgemeinde angekommen ist." Die Gemeindemitglieder hätten neben Freude auch etwas Wehmut empfunden, als die Glocke zur Abreise verpackt wurde, gestand sie. „Heute sind wir nur noch dankbar und erfüllt bei dem Gedanken, dass wir ein wenig dazu beitragen konnten, Unrecht wieder gut zu machen und ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung setzen zu dürfen."