Glauben

Männer glauben anders. Frauen auch.

Christian Kindler und Claudia Schmidt im Bischof Leiprecht Zentrum in Stuttgart-Degerloch. Bild: DRS/ Nelly Swiebocki-Kisling

Ein Gespräch mit Christian Kindler und Claudia Schmidt über die unterschiedliche Spiritualität und Glaubenspraxis von Männern und Frauen.

Wie ist das eigentlich mit der individuellen Spiritualität? Ist sie bei Männern anders als bei Frauen? Oder ist das mal wieder eines dieser Vorurteile, was typisch Mann oder typisch Frau sein soll? Ist es überhaupt noch zeitgemäß, binär zu denken? Jesus betont ausdrücklich die Gleichstellung von Mann und Frau (Matthäus 19,4ff). Und auch in der Gesellschaft verschwimmen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen immer mehr. Gibt es dann, ausgerechnet beim Glauben, einen unterschiedlichen Zugang zu Gott?

Umfragen zufolge beten Frauen häufiger als Männer, besuchen öfter Gottesdienste, übernehmen die meisten kirchlichen Ehrenämter und kümmern sich mehr um die Glaubenserziehung von Kindern. Sie neigen mehr zu Esoterik und leben ihre spirituellen Emotionen stärker aus. Männer dagegen reden weniger über Gott oder über ihren Glauben und begegnen Gott eher in der Natur, beim Sport, in der Gemeinschaft mit anderen Männern, beim Männerpilgern oder bei den Männertagen in der Diözese zum Beispiel.

Christian Kindler, Referent für Männerarbeit und Männerseelsorge in der Diözese und Claudia Schmidt, Geistliche Beirätin des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) im Gespräch über den Sinn von getrennter Männerarbeit und Frauenarbeit in der Kirche.

Es gibt dieses typische Bild der älteren, betenden Frau in der Kirche. Ist es nicht sonderbar, dass eher Frauen in der Kirche beten und die Gottesdienste besuchen – obwohl in der katholischen Kirche nur Männer den Zugang zum Priesteramt haben?

Claudia Schmidt: Frauen sind den traditionellen Ritualen treuer und haben eher das Bedürfnis, einen Ort für ihre Spiritualität zu suchen und Rückhalt zu finden, als Männer. Sie tun sich leichter, auch in der Kirche über spirituelle Themen zu reden.

Christian Kindler: Das ist ein Phänomen, dass Männer im traditionellen Gottesdienst keine Andachtsmöglichkeit sehen. Aber sprechen wir von einer Männerkirche oder von einer Klerikerkirche? Denn Männer suchen durchaus nach geschützten Räumen für ihre Spiritualität und für Gespräche über ihre Beziehungen, über die Eltern, ihre Sexualität, aber weniger in einem Gottesdienst, der „frontal“ von Klerikern durchgeführt wird, als vielmehr in einem geschützten Dialog.

Herr Kindler, wie muss man sich die Männer vorstellen, die dann Rückhalt in den Männergruppen suchen?

Es ist eine spezielle Gruppe von Männern die sich Fragen zu ihrer Spiritualität stellen und das hat einen Ursprung in ihrer eigenen Biografie, also im Leben der Männer, ihrer Ehe, den Kindern, dem Job, ihrer Karriere, dem Hausbau. Etwa ab der Mitte des Lebens kommt die Zeit, in der sich Männer Fragen stellen.

Sprechen wir von einer Lebenskrise der Männer in der Mitte des Lebens?

Christian Kindler: Das hat etwas mit den patriarchalen Männerstereotypen zu tun, dem Ethos des Arbeiters und Soldaten. Da heißt es: Du musst funktionieren und Leistung bringen. Männer identifizieren sich dann über ihren Beruf, ihre Karriere, ihrem Status und gehen in einen Wettbewerb mit anderen. Das eigene Ich, also die Sorge für sich selbst, tritt eher ins Hintertreffen und Männer denken, vor allem in der ersten Lebenshälfte: Ich muss meine Probleme selber lösen. Als „Soldat“ oder „Arbeiter“ Gefühle oder Schwäche zu zeigen ist unerwünscht. Das ist ein anerzogenes Modell und führt dann direkt in die Krise. Frauen finden eher Räume, ohne Priester, wo sie sich mit ihren Bedürfnissen treffen.

Frau Schmidt, ist das bei Frauen anders?

Auch Frauen suchen in ihrer Lebensmitte bewusst Orte, wo sie finden, was sie spirituell suchen. Im Gegensatz zu Männern sind sie sich aber nicht zu schade zuzugeben: Ich brauche das jetzt! Dann machen sie sich auf die Suche nach Spiritualität, um ihre Kraftquelle zu finden: In Gebetsgruppen, bei Pilgertagen und auch im Frauenbund. Frauen tun sich zusammen, pflegen die Gemeinschaft, engagieren sich sozial, übernehmen Verantwortung im Ehrenamt und finden Gruppen, in denen sie sich auch austauschen – mal verbandlich organisiert, mal frei.

Was passiert dann in der zweiten Lebenshälfte der Männer, Herr Kindler?

Da kommt oft die Sinnkrise, in der Männer erkennen: Es gibt mehr als Performance. Dann kommt man als Mann in das Thema Spiritualität rein und fragt sich: Was sagt Gott dazu? Es ist immer dieses patriarchalische Bild vom Vater, vom Chef, bei den Soldaten vom General. Selbst von Gott hat man ein männliches Bild. Männer fühlen sich dann unwohl, weil sie sich in diesem patriarchalischen Bild mit ihren eigenen Bedürfnissen nicht finden.

 

Ich erfahre Gott in mir, wenn ich bei mir selbst bin.
Claudia Schmidt

Wenn Männer mit dem patriarchalischen Bild von Gott ein Problem haben, dann doch Frauen noch mehr, oder Frau Schmidt?

Wir reden von Gott immer in männlicher Form und auch Frauen haben ein eher männlich geprägtes Gottesbild. Das macht es uns schwer, eine Identifikation zu finden und führt dazu, dass wir eine gendersensible Sprache fordern. Dazu kommt, dass wir eine eher verkopfte Tradition von Liturgie haben. Wir erleben deshalb eine wachsende Zahl von Frauen, die sich auch nicht im traditionellen Gottesdienst finden. Die Frauenkirchen des KDFB sind deshalb attraktiv, weil wir dort ganzheitliche Erfahrungen machen, thematisch und mit starken biblischen Frauenfiguren, mit einer passenden musikalischen Gestaltung. Aus solchen Gottesdiensten gehen Frauen gestärkt heraus. Das brauchen sie auch, weil sie neben ihrem Job oft in vielen anderen Rollen leben, große Belastungen erleben. Dann ist Glaube eine Quelle der Stärkung, um die eigenen Kräfte aufzutanken, Orientierung zu bekommen und Ruhe zu finden – nicht nur, aber auch in Krisen.

Wie empfinden viele Frauen den klassischen Gottesdienst, Frau Schmidt?

Frauen fühlen sich in der Kirche oft unterrepräsentiert und finden es schwierig, anzudocken. Sie möchten gleichberechtigt sein und verlieren langsam die Geduld. Dass die Kirche uns Frauen noch immer als nicht eucharistiefähig und somit als spirituell unvollständig erklärt ist unerträglich. Wir Frauen werden von sakramentalen Vollzügen ausgeschlossen und bleiben daher immer abhängig. Das ist eine Kränkung, die tief geht. Wir erleben noch immer Gottesdienste, wo nur Männer um den Altar stehen. Was wir Frauen brauchen, finden wir in Frauenräumen, wo wir uns nicht minderwertig fühlen müssen. Diese Gedanken sind auch verwoben mit der Frage nach der Zukunft der Kirche.

Also ist das ganz ähnlich, wie bei den Männern, Herr Kindler?

Ich denke schon, dass auch Männer eine gewisse Heimatlosigkeit in der Kirche erleben, wenn sie nicht geweiht sind. Die Trennlinie erfolgt nicht zwischen Mann und Frau, sondern zwischen geweiht und nicht geweiht. Männer suchen nach Tankstellen, damit ihre Rolle als Mann funktioniert, und kommen oft hungriger aus dem Gottesdienst heraus, als sie gekommen sind. Der Dialog und die Kommunikation fehlen. Und dann wenden sie sich ab von einer Kirche, in der im Altarraum Männer in Gewändern stehen. Im schlimmsten Fall ist das der Grund für die Begeisterung für Trump oder Putin oder auch für den AfD-Zulauf: Die locken mit Angeboten für Männer. Das können wir besser.

 

Männer zeigen sich in Anwesenheit von Frauen anders.
Christian Kindler


Wo finden Männer spirituelle Alternativen?

Es gibt keine traditionellen Laienmännerverbände. Und das Problem ist, dass Männer oft das Gefühl haben, Männer, die in Männergruppen sind, sind bedürftig. Frauen in Frauengruppen werden als emanzipiert und stark wahrgenommen. Männer haben oftmals nicht einmal einen besten Freund, mit dem sie reden. Frauen können das viel besser. Bei Männern muss deshalb der Rahmen stimmen. Das ermöglich die Männertage. Die Kirche versucht jetzt auch Räume zu finden wie zum Beispiel die Gotteswerkstatt oder die Atelierkirche. Da können Männer an Gott „herumwerkeln“ Aber Gott vielleicht auch an den Männern.

 

Weibliche Gottesbilder zu stärken ist heilsam für alle: Frauen und Männer!
Claudia Schmidt

 

Wie sieht der Gott aus, an den Sie glauben, Frau Schmidt?

Spiritualität beginnt in der eigenen Bedürftigkeit und Verletzlichkeit. Ich glaube nicht an Gott als einen starken Mann, sondern an Jesus Christus, der zeigt, dass sich Gott in der Schwäche erweist. Wenn Frauen in ihrer ureigenen Suche und Sehnsucht zusammenkommen und sich darin unterstützen, entfalten sie eine große Kraft und sind unschlagbar.

Wie sieht Ihr Gott aus, Herr Kindler?

Ich glaube an Jesus Christus mit allen seinen Gefühlen, mit seiner Angst, Wut, Freude, Stärke und Schwäche, nicht an den starken Mann. Ich glaube an den integrierten Mann. An den Mann, der wie Jesus Christus durch den Schmerz geht und nicht nur die Lichtseite, sondern auch die Schattenseite erlebt. Dieses veraltete Bild vom immer starken und auch toxischen Mann zu überwinden ist das Ziel der Männerarbeit.

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