Wie ist das eigentlich mit der individuellen Spiritualität? Ist sie bei Männern anders als bei Frauen? Oder ist das mal wieder eines dieser Vorurteile, was typisch Mann oder typisch Frau sein soll? Ist es überhaupt noch zeitgemäß, binär zu denken? Jesus betont ausdrücklich die Gleichstellung von Mann und Frau (Matthäus 19,4ff). Und auch in der Gesellschaft verschwimmen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen immer mehr. Gibt es dann, ausgerechnet beim Glauben, einen unterschiedlichen Zugang zu Gott?
Umfragen zufolge beten Frauen häufiger als Männer, besuchen öfter Gottesdienste, übernehmen die meisten kirchlichen Ehrenämter und kümmern sich mehr um die Glaubenserziehung von Kindern. Sie neigen mehr zu Esoterik und leben ihre spirituellen Emotionen stärker aus. Männer dagegen reden weniger über Gott oder über ihren Glauben und begegnen Gott eher in der Natur, beim Sport, in der Gemeinschaft mit anderen Männern, beim Männerpilgern oder bei den Männertagen in der Diözese zum Beispiel.
Christian Kindler, Referent für Männerarbeit und Männerseelsorge in der Diözese und Claudia Schmidt, Geistliche Beirätin des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) im Gespräch über den Sinn von getrennter Männerarbeit und Frauenarbeit in der Kirche.
Es gibt dieses typische Bild der älteren, betenden Frau in der Kirche. Ist es nicht sonderbar, dass eher Frauen in der Kirche beten und die Gottesdienste besuchen – obwohl in der katholischen Kirche nur Männer den Zugang zum Priesteramt haben?
Claudia Schmidt: Frauen sind den traditionellen Ritualen treuer und haben eher das Bedürfnis, einen Ort für ihre Spiritualität zu suchen und Rückhalt zu finden, als Männer. Sie tun sich leichter, auch in der Kirche über spirituelle Themen zu reden.
Christian Kindler: Das ist ein Phänomen, dass Männer im traditionellen Gottesdienst keine Andachtsmöglichkeit sehen. Aber sprechen wir von einer Männerkirche oder von einer Klerikerkirche? Denn Männer suchen durchaus nach geschützten Räumen für ihre Spiritualität und für Gespräche über ihre Beziehungen, über die Eltern, ihre Sexualität, aber weniger in einem Gottesdienst, der „frontal“ von Klerikern durchgeführt wird, als vielmehr in einem geschützten Dialog.
Herr Kindler, wie muss man sich die Männer vorstellen, die dann Rückhalt in den Männergruppen suchen?
Es ist eine spezielle Gruppe von Männern die sich Fragen zu ihrer Spiritualität stellen und das hat einen Ursprung in ihrer eigenen Biografie, also im Leben der Männer, ihrer Ehe, den Kindern, dem Job, ihrer Karriere, dem Hausbau. Etwa ab der Mitte des Lebens kommt die Zeit, in der sich Männer Fragen stellen.
Sprechen wir von einer Lebenskrise der Männer in der Mitte des Lebens?
Christian Kindler: Das hat etwas mit den patriarchalen Männerstereotypen zu tun, dem Ethos des Arbeiters und Soldaten. Da heißt es: Du musst funktionieren und Leistung bringen. Männer identifizieren sich dann über ihren Beruf, ihre Karriere, ihrem Status und gehen in einen Wettbewerb mit anderen. Das eigene Ich, also die Sorge für sich selbst, tritt eher ins Hintertreffen und Männer denken, vor allem in der ersten Lebenshälfte: Ich muss meine Probleme selber lösen. Als „Soldat“ oder „Arbeiter“ Gefühle oder Schwäche zu zeigen ist unerwünscht. Das ist ein anerzogenes Modell und führt dann direkt in die Krise. Frauen finden eher Räume, ohne Priester, wo sie sich mit ihren Bedürfnissen treffen.
Frau Schmidt, ist das bei Frauen anders?
Auch Frauen suchen in ihrer Lebensmitte bewusst Orte, wo sie finden, was sie spirituell suchen. Im Gegensatz zu Männern sind sie sich aber nicht zu schade zuzugeben: Ich brauche das jetzt! Dann machen sie sich auf die Suche nach Spiritualität, um ihre Kraftquelle zu finden: In Gebetsgruppen, bei Pilgertagen und auch im Frauenbund. Frauen tun sich zusammen, pflegen die Gemeinschaft, engagieren sich sozial, übernehmen Verantwortung im Ehrenamt und finden Gruppen, in denen sie sich auch austauschen – mal verbandlich organisiert, mal frei.
Was passiert dann in der zweiten Lebenshälfte der Männer, Herr Kindler?
Da kommt oft die Sinnkrise, in der Männer erkennen: Es gibt mehr als Performance. Dann kommt man als Mann in das Thema Spiritualität rein und fragt sich: Was sagt Gott dazu? Es ist immer dieses patriarchalische Bild vom Vater, vom Chef, bei den Soldaten vom General. Selbst von Gott hat man ein männliches Bild. Männer fühlen sich dann unwohl, weil sie sich in diesem patriarchalischen Bild mit ihren eigenen Bedürfnissen nicht finden.
Ich erfahre Gott in mir, wenn ich bei mir selbst bin.
Claudia Schmidt