Kultur

Marias Testament

Ihr taten die Füße vom vielen Stehen weh. So schildert Maria, die Mutter Jesu, die wohl berühmteste Szene der Weltgeschichte, die Kreuzigung Jesu. Foto: Kammerspiele Stuttgart

Bild: Kammerspiele Stuttgart

Marias wohltuende Sicht der Dinge: das Leben und Sterben Jesu aus Marias Perspektive.

Ihr taten die Füße vom vielen Stehen weh. So schildert Maria, die Mutter Jesu, die wohl berühmteste Szene der Weltgeschichte, die Kreuzigung Jesu. Ihre Füße, die Händler ringsum, die Feuer, all das hat sie genauso wahrgenommen wie die Nägel, die die Schergen durch die Hände und Füße ihres Sohnes am Kreuz geschlagen haben, so als ob es ihre eigenen seien. Maria in dem Theaterstück „Marias Testament“ im Stuttgarter Kammerspiel erscheint ganz menschlich, so gar nicht als Mutter Gottes und Heilige. Sie hat da so ihre Zweifel.

Maria ist zu allererst Mutter und gänzlich unverständlich ist ihr der Hype, den die Leute um ihren Sohn veranstalten. Sie sagt die Wahrheit über ihren Sohn und erzählt keine erbaulichen Geschichten. Eineinhalb Stunden steht Nicole Heesters in der Rolle der Maria allein auf der Bühne des Stuttgarter Kammertheaters und erzählt: Dass ihr Sohn dauernd mit einer Gruppe von Nichtsnutzen rumgehangen hat (fast noch Kinder, die keiner Frau ins Gesicht schauen konnten), dass er angeblich Wasser zu Wein verwandelt hat (genau hat sie das nicht gesehen), dass er Lazarus auferweckt hat (um ihn dann ein zweites Mal sterben zu lassen?) und dass ihr Sohn qualvoll hingerichtet wurde, so qualvoll, dass sie weglaufen musste.

Der Text des irischen Autors Colm Tóibín, der „Marias Testament“ zugrunde liegt, betrachtet das Leben und Sterben Jesu aus Marias Perspektive. Für sie ist er einfach nur ihr Sohn. Jetzt wollen die Jünger sie als Zeugin dafür gewinnen, dass er außergewöhnlich war, dass er der Messias war. Damit spielt der Autor mit der Sicht auf Jesus, die wohl die allermeisten seiner Zeitgenossen hatten. Nur wenige, die Apostel, die Jünger und später die Evangelisten und Briefeschreiber deuteten das, was geschehen ist, als grandiose Heilsgeschichte. Die anderen, so wie Maria, sahen im Leben und Sterben Jesu das Scheitern eines merkwürdigen Mannes.

Wohltuend ist diese neue Perspektive, erlaubt sie uns doch unseren eigenen Blick auf Jesus von Nazaret jenseits aller Dogmen. Mit Maria dürfen wir uns wundern über Jesu Worte und Taten und zweifeln an allzu schneller Vergöttlichung dieses Menschensohnes. „Marias Testament“ ist ein Theaterstück, das unsere Bilder von Jesus bei Seite schiebt. Was bleibt ist der Blick Marias auf ihren Sohn. Ein Theaterstück, das den Zuschauer ermutigt, seine eigene Beziehung zu Jesus zu suchen. Großes Theater, mitreißend und um einiges spannender als so manche Predigt, die uns das immer gleiche Bild von Jesus ausmalt.

Nach Vorstellungen in Hamburg und Stuttgart ab den 25. März bis zum 1. April 2020 im Renaissance Theater in Berlin.

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