Wie hat sich Ihre Aufgabe als Klinikseelsorgerin verändert?
Mit einem Schlag hatte sich alles verändert. Die erste Phase in der Klinik war helle Aufregung. Betten auf Stationen wurden freigeräumt, Intensivbetten neu gemacht. Besucher durften nicht mehr in die Klinik. Und auch die ehrenamtlichen Dienste wie die Grünen Damen brachen weg. Wir Seelsorger durften zunächst nicht mehr einfach zu den Menschen auf Station gehen. Auch mein Team der liturgischen Dienste in der Klinikgemeinde durfte nicht mehr rein. Die „Aufsuchende Seelsorge“, wie wir sie nennen, war nicht mehr möglich. Wir waren nur noch auf Zuruf da.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Meine evangelische Kollegin und ich sind gleich aktiv geworden. Wir mussten in der veränderten Situation erst einmal schauen, wie wir jetzt zum Beispiel Gottesdienst feiern ohne Besucher. Wir haben in der Klinik ja bereits Übertragungsmöglichkeiten in die Krankenzimmer, und wir haben uns dann dazu entschlossen, das fortzuführen und Gottesdienste auch ohne Besucher zu feiern.
Wie war das für Sie?
Am ersten Sonntag habe ich gesagt: Ich kann das nicht und ich will das nicht (lacht).
Und dann?
Dann war mir klar: Ich mach das doch. Das macht Sinn - als Verbindung zu den Patienten. Wir haben für jeden Mittag eine kleine Unterbrechung konzipiert, ein Fürbittgebet, stark ritualisiert, das eine Verbindung zwischen uns und den Patienten schaffen kann – und letztlich auch zu Gott.
Was hat sich noch verändert?
Es war nicht mehr möglich, Sterbende zu begleiten, wie wir es vorher getan haben. Wir durften nicht auf die Covid-Station gehen. Wir haben deshalb Sterbegebete und Gebete für Schwerkranke laminiert und auf den Stationen verteilt. Inzwischen dürfen wir in Ausnahmesituationen wieder zu den Patienten. Allerdings hatten wir diesen Fall bisher noch nicht.
Wie erging es Ihnen in dieser Phase?
Irgendwann habe ich mir gesagt: Ausatmen, Susanne, deine Aufgabe ist die Gleiche wie sonst auch: durch das Haus gehen, offene Ohren haben, zuhören, Gesprächspartnerin sein, mich zur Verfügung stellen.
Hat das Bedürfnis nach Gesprächen zugenommen?
Ja, vor allem bei den Mitarbeitenden – da habe ich so viele Gespräche geführt wie nie zuvor. Mit der Putzfrau stand ich zum Beispiel vor dem WC. Wir haben lange über ihre persönlichen Sorgen gesprochen und auch über die Frage, was es für sie heißt, jetzt gerade in einem Krankenhaus zu arbeiten. Die Menschen, die hier arbeiten, haben Sorgen, die das private, persönliche und die Arbeit betreffen.
Ist das noch klassische Klinikseelsorge?
Ja – ich bin da für die Menschen. Und das eben in veränderter Situation.
Sind denn die Ängste der Menschen noch die gleichen wie zu Beginn der Krise?
Sie verändern sich langsam. So viele Betten und Intensivplätze, die hier freigeräumt wurden, haben wir gar nicht gebraucht. Das ist natürlich erstmal erfreulich. Aber für das Personal war das auch schwierig. Es gab viele Fragen: Wie gehen wir damit um? Wie halten wir aus, dass die Pläne der Klinik gut waren und es immer noch sind, aber die Realität dann doch eine andere ist?
Mit welchen Fragen wurden Sie konfrontiert?
Ich habe viele Gespräche zum Thema Flexibilität und zum Thema Vertrauen geführt. Und auch zu der Frage: Wie kann ich gelassen bleiben, auch wenn ich gerade nicht viel zu tun habe? Und: Wie kann ich gelassen bleiben, wenn ich zu viel zu tun habe?
Was haben Sie persönlich an Positivem daraus ziehen können?
Um Gottvertrauen einzubringen, muss ich mich selbst mit meinem Vertrauen verbinden. Das war eine der wichtigsten Aufgaben für mich.
Wie ist die Lage jetzt?
Seit dem 27. April werden wieder Patienten einbestellt. Die normalen chirurgischen Operationen, gynäkologische Operationen, auch Krebs- und Chemotherapie werden wieder hochgefahren. Das macht es wieder ‚busy‘ hier im Krankenhaus. Aber die Normalität, wie sie vor Corona war, gibt es noch nicht.
Und für Sie?
Ich bin wieder mehr mit Patienten in Kontakt. Weil das Besuchsverbot in Kliniken noch besteht, sind viele einsam und sehr traurig. Vor allem hochbetagte Menschen haben es schwer. Sie verstehen nicht richtig, warum die Tochter oder der Sohn nicht kommen können.
Wie hat sich die Krise auf den Normalbetrieb der Klinik ausgewirkt?
Man hat deutlich gemerkt, dass Notfallpatienten weggeblieben sind. Auch Herzinfarktpatienten, die hätten kommen sollen. Viele, die jetzt in die Notaufnahme kommen, sind stärker krank, als die, die vor der Krise gekommen sind, weil sie Angst hatten, in der Covid-19-Situation ins Krankenhaus zu gehen.
Hatten Sie auch Angst?
Nie. Ich habe immer das Gefühl, dass ich hier geschützter bin, als wenn ich zum Beispiel zum Einkaufen gehe. Die medius-Klinik hatte von Anfang an klare und transparente Richtlinien auch für uns Seelsorgerinnen herausgegeben. Gut. Am Anfang war ich froh, dass ich nicht auf die Covid-Station musste. Jetzt würde ich es, mit entsprechender Schutzkleidung, machen. Mein Ort ist hier bei den Menschen und es war immer klar, hier bin ich jetzt auch.