Es sind die veränderten Lebenssituationen älterer Menschen und sich wandelnde Altersbilder, die es nötig machen, näher hinzusehen. Es gebe aber auch Veränderungsprozesse in Kirchengemeinden und in der Quartiersarbeit sowie neu zu stellende Fragen nach der Spiritualität im Alter, nach Formen der Kommunikation und insgesamt nach den Bedarfen, die es immer wieder festzustellen gilt, sagte Ludger Bradenbrink, der bis vor kurzem Referent im Fachbereich Senioren und Geschäftsführer des Formus Katholische Seniorenarbeit in der Diözese Rottenburg-Stuttgart war. Unter dem kessen Titel „Die 'Alten' sind auch nicht mehr die alten" skizzierte er in einem Vortrag die Themen in der Altersforschung und gab den Ehrenamtlichen in den Besuchsdiensten Impulse für den Umgang mit diesen Veränderungen.
Der „Film" ist noch nicht „gelaufen"
„Früher war das Alter der Abspann des Lebens, nach dem Motto 'Der Film ist gelaufen'", sagte Bradenbrink. „Heute ist das anders: heute ist das Alter mindestens ein Viertel vom Film - und da passieren entscheidende Dinge." Die stetige Zunahme älterer Menschen und hier insbesondere der Hochaltrigen, von denen zwar 70 Prozent daheim leben, aber nur 20 Prozent daheim sterben, werfe Fragen nach der Begleitung auf und auch nach neuen Wohnformen - nicht zuletzt im Hinblick auf den Anteil von rund einem Drittel allein lebender älterer Menschen; etwa ein Viertel habe keine Enkel. „Eine Struktur, die trägt, ist nicht mehr selbstverständlich", sagte Bradenbrink. Umso wichtiger sei der Besuchsdienst: „Das, was Sie tun, hat Zukunft und braucht unsere starken Bemühungen, hier wirklich dafür zu sorgen, dass es weitergeht."
„Ignoranz ist die größte 'Strafe' im Alter"
Engpässe in der Pflege, ein Trend zur Zentralisierung bei Ärzten und in der Nahversorgung bei gleichzeitig kleiner werdendem Bewegungsradius älterer Menschen, Nachwirkungen der Corona-Krise, Altersdepression, das Problemfeld Suizid, immer mehr ältere Menschen mit Migrationsgeschichte, die Bedeutung der Teilhabe („Ignoranz ist die größte 'Strafe' im Alter") - all das sind Themen, mit denen sich Besuchsdienste auseinandersetzen müssen. Mitarbeitende machten die Erfahrung, dass es „oft nicht nur um Besuche geht, sondern auch um Fragen der Pflege, Unterstützung im Haushalt und dass wir eigentlich die ersten sind, die die 'Mängel' sehen", so brachte eine Ehrenamtliche die Situation beim Erstbesuch auf den Punkt. „Natürlich ist unser Dienst für uns vorrangig, aber wir sehen auch so manches andere, und dann kommt auch so manches ins Rollen."
Überrascht, „dass die Kirche kommt"
Besondere Anerkennung zollte Bradenbrink den Teilnehmenden des Begegnungsnachmittags für ihre besondere Sensibilität im Bereich Spiritualität im Alter, die sich etwa in der Bereitschaft zu gemeinsamem Beten, Nachbarschaftsgottesdiensten und der Bedeutung der Hauskommunion zeigt. Manchmal zeigten sich die besuchten Menschen davon überrascht, „dass die Kirche kommt", manchmal gelte es, zunächst Berührungsängste abzubauen, berichteten die Frauen und Männer aus den Besuchsdiensten. Eine Mitarbeiterin berichtete von einer 105-jährigen Dame, die sie seit 15 Jahren begleite und inzwischen jede Woche besuche. Andere schilderten die Herausforderung durch die Zunahme dementieller Erkrankungen.