Ministerpräsident Kretschmann: „Könnte mein Amt ohne Gespräch mit Bischof über Gott so nicht führen“

Zum 70. Geburtstag von Bischof Gebhard Fürst - Festakt, Gottesdienst und Begegnung in Rottenburg

Die Zeitgenossenschaft der Kirche hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in den Mittelpunkt seines Grußwortes zum 70. Geburtstag von Bischof Gebhard Fürst gestellt. Er bescheinigte dem Jubilar am Sonntag (2. Dezember) in der Rottenburger Festhalle, dass dieser gesellschaftliche Entwicklungen erkenne und entsprechend handle. Zeitgenossenschaft der Kirche sei in einer Veränderungsgesellschaft notwendig, sagte Kretschmann. 
Zahlreiche Glückwünsche von Familie und Freunden, Wegbegleitern aus Politik und Gesellschaft, von Mitgliedern der Diözesanleitung und Vertretern kirchlichen Lebens in der Diözese ebenso wie von vielen Rottenburger Bürgern nahm Bischof Gebhard Fürst anlässlich seines 70. Geburtstags entgegen. Dem Festakt mit geladenen Gästen folgte ein Konzert und die Übergabe der Festschrift an den Jubilar im Foyer des Bischöflichen Ordinariats. Das Pontifikalamt im Rottenburger Dom und die anschließende Begegnung mit den Bürgern auf dem Marktplatz am Abend des Ersten Advent beschlossen die Feierlichkeiten. Zu den Festgästen zählten neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann auch die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz und der frühere Chef der Union-Bundestagsfraktion, Volker Kauder. Auch der evangelische Landesbischof Frank Otfried July sowie Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher waren gekommen, die Predigt beim Pontifikalamt hielt der Bischof von Erfurt, Ulrich Neymeyr. 
Zeitgenossenschaft der Kirche könne heute heißen einzutreten gegen eine Polarisierung der Kommunikation, gegen eine Ökonomisierung der Beziehungen, gegen eine Instrumentalisierung der Natur oder gegen eine Banalisierung des Lebens, betonte Winfried Kretschmann. Er dankte dem Bischof für dessen Dienst, gemeinsam mit den Priester und Gläubigen, am Land und den Menschen. Explizit nannte der Ministerpräsident die Flüchtlingskrise, in der sich Bischof Fürst sehr früh engagiert hatte. „Das hätten wir als Staat nie alleine geschafft“, sagte er, „da spüren wir, welche Kraft Kirche und Glaube hat“. Den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft mit Bischof Gebhard Fürst; für diese „wertvolle Begleitung“ dankte Kretschmann dem Bischof in einem persönlichen Wort: „Ich könnte mein Amt so nicht führen wie ich es führe ohne die Gespräch über Gott und die Welt mit Dir“. 
Seinen Dank für die Weggemeinschaft als Bischöfe sprach der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, anlässlich des Geburtstags aus. „Ich empfinde diese Weggemeinschaft als ein großes Geschenk“, fügte er an. Er erinnerte daran, dass Gebhard Fürst als Direktor der Katholischen Akademie in Hohenheim ins Bischofsamt berufen worden sei; solche Prägung stehe für Weitblick – nicht nur katholischen, sondern ökumenischen Weitblick. „Mit Ihnen ist Ökumene möglich, zum Nutzen der Menschen in unserem Land, in unseren Kirchen – und zuallererst für das Evangelium des einen Herrn der Kirche, Jesus Christus“, sagte July. Es sei immer wieder möglich gewesen, gemeinsam öffentlich Zeichen zu setzen. Ob beim Gottesdienst „Heilen der Erinnerung“ im vergangenen Jahr in Biberach anlässlich des Reformationsgedenkens oder bei der Erinnerung an das Ende des 1. Weltkriegs vor wenigen Tagen. „Sie wirken für Versöhnung, Frieden und für den Schutz des Lebens“, konstatierte er. „In all unserer unterschiedlichen Ausgestaltung des Kirche-Seins, so gehen wir den Weg Jesu gemeinsam. Öffentlich“, betonte, der Landesbischof. 
Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher bezeichnete Bischof Gebhard Fürst als einen Menschen, der „zur richtigen Zeit mahnt“. Er stelle mit Bekenner-Bischof Sproll und dem wegen seiner christlichen Grundhaltung von den Nationalsozialisten verhassten Eugen Bolz immer wieder zwei mutige Menschen als Vorbilder in den Vordergrund, „die uns auffordern aktiv zu sein, wenn Freiheit und Demokratie gefährdet sind“, sagte Neher. Bischof Fürst zeige unmissverständlich auf, dass Hilfeleistung für Bedürftige christliche Pflicht sei und mit dem heiligen Martin als Diözesanpatron bringe er den Menschen immer wieder nahe, wie dies selbstlos möglich sei“, betonte der Oberbürgermeister. Auch für die Stadt Rottenburg selbst sei Bischof Fürst ein Segen, sagte Neher. Sein Wirken habe die Stadt um einige Attraktionen reicher gemacht, die heute viele Besucherinnen und Besucher begeisterten. Ganz besonders wies Neher dabei auf die neu restaurierte Sülchenkirche mit Museum hin sowie auf das 2013 gebaute Ordinariatsgebäude und selbstredend den Rottenburger Dom. 
Glück- und Segenswünsche im Namen des Sprechers des Priesterrates, Dekan Paul Magino, sowie des gesamten Diözesanrates überbrachte dessen Sprecher, Johannes Warmbrunn. Er würdigte die Kommunikation und den Dialog auf Augenhöhe mit Bischof Gebhard Fürst, die Dank dessen Amt als Vorsitzender des Diözesanrates möglich sei. Auch wenn um Einmütigkeit und Kompromisse bei manchen Themen gerungen werde, so sei er dem Bischof für die Einmütigkeit in den wirklich wichtigen Fragen dankbar, sagte Warmbrunn: „Letzten Endes eint uns immer die Rede von Gott, das gemeinsame Gebet und vor allem der große Auftrag, dem wir gerecht werden müssen: Die Feier und Verkündigung unseres Glaubens, die Bewährung in unseren vielfältigen Gemeinschaften und der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden“. 
Als „offen und konstruktiv“ würdigte der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen, Professor Michael Schüßler, das Verhältnis zwischen Ortskirche und akademischer Theologie. „Es ist für die Fakultät ein großer Rückhalt, dass wir mit einem Ortsbischof zusammenarbeiten dürfen, der die kritische Freiheit der Theologie wirklich schätzt“, betonte Schüßler. Dies sei möglich, weil Bischof Fürst die drei Orientierungspunkte der historischen Tübinger Schule selbst wichtig geworden seien: Wissenschaftlichkeit, Kirchlichkeit und Zeitgenossenschaft von Theologie. 
"Katholisch ist nicht nur, was in Rom, sondern auch was in Rottenburg an Glaube, Hoffnung und Liebe gelebt wird“, sagte der Münsteraner Dogmatik-Professor Michael Seewald bei der Übergabe der Festschrift für Bischof Gebhard Fürst im Foyer des Bischöflichen Ordinariats. Seewald, Priester der Diözese und Herausgeber der mit „Ortskirche. Bausteine zu einer künftigen Ekklesiologie“ betitelten Festschrift bezeichnete „die eine, katholische Kirche als eine Gemeinschaft aus vielen Kirchen“. In den vergangenen Jahrhunderten habe die Theologie vor allem über die Kirche als universale Größe nachgedacht. Das sei gut und bleibe wichtig, so Seewald. Dennoch müsse man heute den Blick auch stärker auf die Ortskirchen lenken. Jede Ortskirche, auch die Diözese Rottenburg-Stuttgart, habe ein unverwechselbares Profil: eine eigene Geschichte, eigene Institutionen und Traditionen, eigene Formen, in denen der Glaube in den Alltag der Menschen eingewoben sei, betonte Seewald. "Bischof Gebhard Fürst ist die Durchdringung des theologischen Profils der Diözese Rottenburg-Stuttgart ein Herzensanliegen“, konstatierte der Dogmatiker und erläuterte, dass die Festschrift ein breites Spektrum an Perspektiven und Ideen für eine Kirche der Zukunft biete. 29 Autorinnen und Autoren aus Kirche und Gesellschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft hätten sich diesem Thema anlässlich des Geburtstags von Bischof Fürst gestellt, darunter Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Reinhard Kardinal Marx, Walter Kardinal Kasper, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg sowie der Kirchenhistoriker Hubert Wolf. 
Die Themen „Dialog“ und „Wachsamkeit“ standen im Mittelpunkt der Predigt des Erfurter Bischofs Ulrich Neymeyr beim Festgottesdienst zum 70. Geburtstag von Bischof Gebhard Fürst im Rottenburger Dom. Wachsamkeit bedeute für einen Bischof nicht nur, dass er über die katholische Glaubens- und Sittenlehre wache, davon sei in den offiziellen vatikanischen Texten meist die Rede. „Es gehört auch zur Wachsamkeit eines Bischofs, dass er sensibel und hellwach ist gegenüber Entwicklungen in der Kirche, die vom Evangelium wegführen, und gegenüber Tendenzen in der Gesellschaft, die ihr schaden können“, betonte Neymeyr. Wer Fehlentwicklungen wirkungsvoll benennen möchte, der dürfe in der Gesellschaft nicht ex cathedra sprechen, der müsse den Dialog suchen und pflegen. Dies sei das Lebenswerk von Bischof Gebhard - schon das Thema der Promotion „Sprache als metaphorischer Prozess. Johann Gottfried Herders Theorie der Sprache (1987)“ habe Grundfragen des Dialogs behandelt, erinnerte der Erfurter Bischof. Den Dialog habe Fürst auch als Direktor der Akademie gepflegt, ebenso wie als Geistlicher Assistent im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, im Nationalen Ethikrat und als Leiter der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart habe der Wachsamkeit seines Bischofs Gebhard viel zu verdanken, sagte der Erfurter Bischof: „Sehr früh und sehr konsequent wurden hier Maßnahmen zur Intervention und zur Prävention bei Fällen sexuellen Missbrauchs umgesetzt. Kontrolle und Transparenz der Bistumsfinanzen waren hier realisiert, bevor sie bundesweit Thema wurden“. Auch zu anderen Fragen in der Kirche habe sich Bischof Gebhard richtungweisend zu Wort gemeldet, beispielsweise zur Zulassung von Frauen zum Diakonat, betonte Ulrich Neymeyr. Die Wortmeldungen des Rottenburger Bischofs zu gesellschaftlichen Fragen und Entwicklungen würden weit über Baden-Württemberg hinaus gehört, stellte Bischof Neymeyer fest. Er denke an dessen Warnungen vor Pegida und AfD, die mahnenden Worte zu Antisemitismus und NS-Zwangsarbeitern oder die Kommentare zur Digitalisierung, zu bioethischen Fragen, zur Bestattungskultur oder das neueste Projekt der Akademie des Bistums „Islam im Plural“. 
Gebhard Fürst wurde am 2. Dezember 1948 als jüngstes von drei Kindern in Bietigheim (Lkr. Ludwigsburg) geboren. Nach dem Abitur studierte er in Tübingen und Wien Theologie. 1977 erhielt er von Bischof Georg Moser die Priesterweihe. Von 1986 bis 2000 war er Direktor der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1987 schloss er seine Promotion im Fach Fundamentaltheologie ab. Durch Karl Kardinal Lehmann wurde Gebhard Fürst im September 2000 zum Bischof der Diözese geweiht. Seit 2001 ist er Vorsitzender der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz und seit 2006 Vorsitzender der Publizistischen Kommission. Von 2001 bis 2017 war er Geistlicher Assistent des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. 2013 wurde Bischof Fürst von Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.

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