Am 14. November 2023 hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) in Ulm vorgestellt. Erstmals ist an dieser repräsentativen Erhebung auch die katholische Kirche als Juniorpartner beteiligt. Die Deutsche Bischofskonferenz hat die Erhebung durch fachliche Expertise und finanzielle Mittel unterstützt.
Seit 1972 führt die EKD alle zehn Jahre diese breit angelegte und repräsentative Untersuchung durch, um die evangelische Kirche aus der Sicht ihrer Mitglieder und seit 1992 auch von Konfessionslosen zu erforschen. Dadurch entsteht ein empirisch umfassendes Bild kirchlicher Wirklichkeit.
Besserer Vergleich zwischen den Konfessionen
Mit der Beteiligung der katholischen Kirche an der jetzigen KMU lassen sich auch Rückschlüsse für die katholische Kirche ziehen. Mit dem Einbezug katholischer Befragter wird in vielen Details ein besserer Vergleich zwischen den Konfessionen, aber auch zwischen Kirchenmitgliedern und Konfessionslosen möglich.
An der Erhebung nahmen 5.282 Befragte aus der deutschsprachigen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren teil. Die Untersuchung mit über 500 Einzelfragen wurde durch einen wissenschaftlichen Beirat mit Expertinnen und Experten aus Kirchenverwaltung, Soziologie sowie evangelischer wie katholischer Theologie fachlich begleitet und durch das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD operativ durchgeführt. Die Datenerhebung erfolgte im letzten Quartal 2022 durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa.
Dramatischer Vertrauensverlust, aber hohe soziale Reichweite
Bei einer Online-Pressekonferenz haben heute der Vorsitzende der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Peter Kohlgraf (Mainz), und der Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz im Beirat der Studie, Dr. Tobias Kläden von der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP, Erfurt) die Ergebnisse aus katholischer Sicht vorgestellt und bewertet.
Nach Auffassung von Tobias Kläden zeigt sich dabei ein dramatischer Vertrauensverlust besonders in die katholische Kirche und eine drastische Erosion von Kirchenverbundenheit, aber auch von Glaubensvorstellungen sowie von Religiosität allgemein. "Den Kirchen wird insgesamt jedoch keine Gleichgültigkeit entgegengebracht, vielmehr bestehen erhebliche Erwartungen an sie. Besonders die katholischen Befragten sprechen sich ganz überwiegend für klare Reformen ihrer Kirche aus. Gleichzeitig ist immer noch eine hohe soziale Reichweite der Kirchen (im Sinne der Kontakte zu kirchlichen Einrichtungen und der Bekanntheit des pastoralen Personals) und ein hohes Maß an freiwilligem, auch außerkirchlichem Engagement von Kirchenmitgliedern festzustellen", betonte Kläden.
Ungeschminktes und sehr facettenreiches Bild
Nach Auffassung von Bischof Kohlgraf zeigt die Erhebung ein ungeschminktes und sehr facettenreiches Bild der aktuellen Lage von Religion und Kirche in Deutschland. Für ihn ist wichtig: "In den Daten liegt noch nicht ihre Interpretation, ebenso wenig die daraus zu ziehenden Handlungskonsequenzen. Deswegen ist ein offener Diskurs über die Bedeutung der Ergebnisse nötig, zu dem die Deutsche Bischofskonferenz anregen und aufrufen will."
Bischof Kohlgraf kündigte einen Studienhalbtag im Rahmen der nächsten Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Februar 2024 an. Im Pressegespräch unterstrich er, dass nicht nur Kirchenbindung und religiöse Praxis, sondern Religiosität allgemein und christliche Glaubensvorstellungen deutlichen Erosionsprozessen unterworfen seien: "Wir treten damit in die Situation einer säkularen Mehrheitsgesellschaft ein. Was bedeutet das für unser Verständnis und unseren Auftrag als Kirche? Sicherlich geht es nicht um die Perspektive der kleinen Herde bzw. des heiligen Rests, der sich schmollend zurückzieht und abschottet. Auch eine massiv schrumpfende Kirche möchte ein wichtiger Faktor in gesellschaftlicher wie religiöser Hinsicht bleiben. Sie hat noch eine Botschaft. Wir verlieren als Christen nicht unseren Auftrag, Zeugen der Hoffnung zu sein, die uns trägt – das Evangelium anzubieten, Menschen dabei zu begleiten, in eine lebendige Christusbeziehung hineinzuwachsen und in ihr zu wachsen."
Ich glaube, dass wir uns nun in unserem Land insgesamt darüber Gedanken machen müssen, wie gemeinsame Werte und Grundhaltungen gestärkt und weiterentwickelt werden können. Bischof Dr. Peter Kohlgraf
Die KMU zeige nicht nur eine Krise der Institution, so Bischof Kohlgraf: "Auch die christliche Botschaft, das Evangelium, verliert für immer mehr Menschen an Lebensrelevanz. Zugleich sind wir aber dankbar, dass die Institution Kirche gesellschaftlich immer noch eine Rolle spielt. Es wird eine zentrale Herausforderung sein zu sehen, wie wir diese beiden Größen (die Institution und ihre Botschaft) zueinander entwickeln. Denn wollen wir eine gesellschaftlich relevante Kirche, deren Botschaft sich für viele als immer irrelevanter erweist?"
Er fügte hinzu, dass mit der Studie die kirchliche Wirklichkeit angeschaut werde. "Die Kirche(n) leben aber in einer Gesellschaft, in der insgesamt die Bindungskräfte an große Institutionen nachlassen. Ich glaube, dass wir uns nun in unserem Land insgesamt darüber Gedanken machen müssen, wie gemeinsame Werte und Grundhaltungen gestärkt und weiterentwickelt werden können."