Betroffene von Menschenhandel haben Rechte
Köhncke erklärt: „Das FiZ wurde 1987 in Folge des Weltgebetstages der Frauen gegründet, also aufgrund von christlich engagierten Frauen. Deshalb ist es für uns wichtig, dass die katholische und evangelische Kirche als Mitträger des FiZ präsent sind und bleiben – zumal es deutsche Männer sind, die als ‚Sextouristen‘ in bestimmte touristische Regionen der Welt reisen, oder sich für eine Heirat Frauen aus dem Katalog bestellten – heute über das Internet.“ Nach der deutschen Rechtslage haben die Betroffenen zwar Anspruch auf eine sichere und geschützte Unterbringung sowie auf die Sicherung ihres Lebensunterhaltes und ein Recht auf Beratung und Rechtsbeistand. Die Praxis sieht jedoch anders aus.
Die Behörden bleiben oft untätig
So auch im Fall von Pedro (Name von der Redaktion geändert), einem jungen Mann aus Lateinamerika. Ihm wird Arbeit in der Pflege in Deutschland versprochen – doch stattdessen wird er zur Prostitution mit männlichen Kunden gezwungen. Er und junge Frauen müssen in wechselnden Ferienwohnungen täglich Freier empfangen. Über einen Freier bekommt er Kontakt zum FiZ, das die Polizei einschaltet. Das FiZ - verhältnismäßig selten werden Männer Opfer von Zwangsprostitution, dann erhalten auch sie Hilfe vom Fraueninformationszentrum - sorgt sofort für eine sichere Unterbringung und Unterhaltszahlungen, den Abbruch aller Kontakte zum Menschenhandelsnetzwerk und für eine erste gesundheitliche und psychotherapeutische Versorgung. Die zuständige Ausländerbehörde und das zuständige Sozialamt werden sofort informiert, die die ihm zustehenden Leistungen beantragt. Doch die Behörden bleiben untätig. Niemand kommt für die Kosten der Unterkunft, Verpflegung und Gesundheitsversorgung auf.
Hilfsfonds der Diözese Rottenburg-Stuttgart für Betroffene von Menschenhandel springt ein
Da springt der Hilfsfonds der Diözese Rottenburg-Stuttgart für Betroffene von Menschenhandel ein und ermöglicht Pedro, zur Ruhe zu kommen und sich neu zu orientieren. Es dauert fast zwölf Monate, bis ein Sozialgericht die Zuständigkeit der Behörden final klärt. Ohne Unterstützung des Fonds hätte Pedro vermutlich in sein Herkunftsland zurückkehren müssen, wo er sofort vom Menschenhandelsnetzwerk aufgegriffen, bestraft und weiter ausgebeutet worden wäre. Auch könnte er dann nicht als Zeuge in einem Strafverfahren gegen die Menschenhändler zur Verfügung stehen.
Doris Köhncke lobt das Engagement der Diözese Rottenburg-Stuttgart als vorbildlich: „Durch die Unterstützung des FiZ als Fachberatungsstelle trägt die Diözese dazu bei, dass wir rund 170 Betroffene von Menschenhandel im Jahr beraten, betreuen und begleiten. Und durch den Opferfonds für Betroffene von Menschenhandel können konkrete Bedarfe von Einzelpersonen finanziert werden und so ihr Weg zum Neubeginn eines Lebens in Unabhängigkeit und Selbständigkeit unterstützt werden. Außerdem unterstützt uns die Diözese im Kontakt zu Ministerien und zur Politik.“ Dies sei wichtig, so Köhncke, da die Politik durch Gesetze die Rahmenbedingungen schaffe, ob und wie Betroffene von Menschenhandel ihre Rechte, die ihnen durch internationale Konventionen zustehen, in Deutschland einfordern können.
Abschiebung statt Unterstützung
Michael Leser erklärt die Zusammenhänge: „Junge Frauen in armen Ländern werden missbraucht und misshandelt und glauben falschen Versprechungen, um dieser Not zu entfliehen. Sie werden nach Europa geschleust, doch hier entpuppen sich die Schleuser als skrupellose Ausbeuter, die Frauen in die Prostitution zwingen. Wenn die Frauen aus dieser fliehen, leben sie in großer Angst, dass ihren Familien im Herkunftsland etwas angetan wird. Zugleich müssen sie oft Abschiebungen in ihr Herkunftsland oder andere europäische Länder fürchten, statt Unterstützung zu bekommen. Es sind also oft mehrere extreme Belastungen, die die Opfer ertragen.“ Allein durch den Hilfsfonds für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution der Diözese wurden im vergangenen Jahr 27 Personen direkt unterstützt. Insgesamt seit 2009 über 300 Personen – allesamt extreme Fälle.