Weltkirche

Mit Frieden beginnt Heilung

Foto: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Constanze Stark

Vergangene Woche war Bischof Tesfay Medhin aus Äthiopien zu Gast. Wir haben mit ihm über den beendeten Bürgerkrieg in seiner Heimat gesprochen.

Bis zu einer halben Millionen Tote hat der brutale Bürgerkrieg in Äthiopien gefordert. Über zwei Jahre lang (2020-2022) haben die Region Tigray und der Norden Äthiopiens einen blutigen Krieg geführt. Trotz des Friedensabkommens im November 2022 leben heute noch viele Menschen in Armut. Haben weder Arbeit noch ein Zuhause. Bischof Tesfay Medhin ist seit 2001 Bischof der Eparchie Adigrat in Tigray.
Nach fünf Jahren konnte er zum ersten Mal das Land verlassen und war zu Besuch in Deutschland bei pastoralunterstützenden Organisationen. Im Interview berichtet er über die aktuelle Situation in seiner Diözese, wie es ihnen während des Krieges ergangen ist und was ihm Hoffnung gibt.

Ihre Diözese war während des Bürgerkriegs lange von der Außenwelt abgeschnitten. Sie selbst verreisen erstmals wieder seit 5 Jahren.

Am 3. November 2020, als der Krieg erklärt wurde, war ich einer weltkirchlichen Konferenz zugeschalten. Das war mein letzter Kontakt zur Außenwelt bevor dieser zerstörerische Krieg begonnen hat. Ab diesem Zeitpunkt war kein Kontakt möglich. Ich bin Bischof einer 113.000 km² großen Diözese und unsere Mitglieder sind weit verstreut. Wir haben viele Gemeinden, Schulen und Gesundheitszentren und mit war es wichtig, in der Nähe zu sein.

Wie war das Leben während des Krieges?

Es war eine Frage des Überlebens. Für mich, mein pastorales Team, die Missionare – alles war jenseits unserer Kontrolle. Wir standen völlig unter dem Druck des Krieges. Es gab keine Infrastruktur, Institutionen oder Angebote mehr. Man kann sich kaum vorstellen, wie sechs Millionen Menschen im 21. Jahrhundert in so einer Region leben sollen.

Hintergrund

Der Bürgerkrieg

Anfang November 2020 begann der Krieg zwischen der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) und der äthiopischen Zentralregierung im Norden Äthiopiens.

Bis 2018 war die TPLF die führende politische Kraft in der Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (EPRDF). Immer häufiger protestierten Teile der Bevölkerung gegen die EPRDF Herrschaft. Im April 2018 wurde Abiy Ahmed (erhielt 2019 den Friedensnobelpreis für seine Aussöhnungspolitik mit Eritrea) zum Regierungschef ernannt. Er sollte für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Volksgruppen sorgen. Nach der Übernahme begann ein Machtkampf zwischen Abiy Ahmet und der TPLF. Nachdem die 2020 geplante Parlamentswahl wegen der Corona-Pandemie verschoben wurde, bezeichnete die TPLF das Vorgehen als illegal und Tigray führte ohne Zustimmung der Regierung von Addis Abeba (Hauptstadt Äthiopiens, Regierungssitz) Regionalwahlen durch, die wiederrum Addis Abeba als illegal bezeichnete. Die TPLF erklärte sich zum Sieger der Kommunalwahl und entzog der Bundesregierung die rechtliche Zuständigkeit für Tigray woraufhin Abiy finanzielle Mittel umleiten ließ. Anfang November eskalierte der Konflikt und es begann eine bewaffnete Auseinandersetzung.

Nach Verhandlungen in Südafrika, in welchen die Afrikanische Union als Vermittler auftrat, konnte nach fast zwei Jahren Bürgerkrieg zwischen der äthiopischen Regierung und der TPLF 2022 ein formeller Frieden und Waffenstillstand vereinbart werden.

Und für Sie als Geistlicher, als Bischof?

Trotz des Krieges waren und sind wir eine katholische Kirche, die mit dem Leib Jesus Christus weltweit verbunden ist. Die Menschen, die dort abgeschieden leben, beten trotzdem für uns. Wann immer es uns möglich war, haben wir versucht, sie zu kontaktieren. Viele Menschen konnten aus Angst auf der Straße erschossen oder erstochen zu werden, nicht zur Kirche kommen. Wir konnten für sie aber immer noch unsere Glocke läuten lassen. Für diejenigen, die nicht geflüchtet sind, war das ein Zeichen des Lebens und der Hoffnung.

Hatten Sie Kontakt zu anderen kirchlichen Einrichtungen?

Auch wenn unsere Büros geschlossen blieben, haben wir das Bestmögliche getan, um für die Bedürftigen da zu sein. Wir haben das ICRC, das nationale Rote Kreuz und die Vereinten Nationen kontaktiert. Außerdem waren wir in Kontakt mit unseren katholischen Partnern in Europa wie die deutsche Kirche sowie die Bischofskonferenz. Unser katholisches Netzwerk hat uns den Geist von Solidarität, Hoffnung und innerer Stärke geschenkt.

Der Tigray-Konflikt ist offiziell seit November 2022 vorbei. Wie ist die aktuelle Lage? Wie geht es den Menschen?

Es war toll, dass die Vereinbarung für den Frieden in Pretoria (Südafrika) getroffen und der Krieg aktiv beendet wurde. Krieg bedeutet immer, dass jede Minute Menschen getötet werden. Jede Stunde gibt es Explosionen, Bombenangriffe und man steht unter Beschuss. Allerdings sind immer noch Millionen von Menschen ohne Zuhause. Das bedeutet, dass Familien in Zelten oder Schulen schlafen müssen. Es gibt kaum Möglichkeiten innerhalb des Landes zu reisen. Das Leben ist hart.

Gibt es wirklich Frieden?

Es gibt immer Hoffnung und diese wird zur Realität, wenn die Friedensvereinbarung dauerhaft ist. Dafür müssen die Besetzungsmächte wieder in ihre Heimat zurückkehren, damit die Menschen wieder in ihr Zuhause können. Damit sie anfangen können, zu heilen, zu arbeiten und zu leben. Erst dann wird eine gewisse Art von Frieden einkehren.

Die PRIM Hilfe der Diözese unterstützt auch Äthiopien. Warum ist das so wichtig?

PRIM ist sehr wichtig für die Spiritualität und die Brüderlichkeit unserer katholischen Priester. Sie bedeutet, auch materielle Unterstützung für die Kleriker, die unter sehr ärmlichen Bedingungen in Kontakt mit den Menschen treten und mit den Gläubigen leben. Es ist ein Zeichen der Gemeinschaft. Das PRIM-Hilfsprogramm Ihrer Diözese wird sehr geschätzt, denn die Priester können beten, nachdenken und Messen lesen. Die Priester erhalten aber nicht nur das PRIM-Geld, sondern tauschen auch die gemeinsame Gnade aus, die wir im Priestertum haben. Das PRIM-Programm ist ein großer Segen für uns.

Die PRIM-Hilfe

„Priester helfen einander in der Mission“

1971 hatte der Aachener Priester Heinrich Hillers die Idee, dass deutsche Geistliche mit einem freiwilligen Beitrag aus ihrem Gehalt die Priester in den ärmsten Ländern Afrikas, Asiens und Ozeaniens unterstützen könnten.

Bald griff die Arbeitsgemeinschaft der Priesterräte gemeinsam mit missio die Idee auf. Bereits im November 1971 entschied der Diözesanpriesterrat die Aktion PRIM in der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Blick auf eine konkrete Zielgruppe durchzuführen.

1972 wurde die Hilfe auf Äthiopien ausgeweitet und im Jahr 1980 kam der Sudan als Partnerland dazu. Die Länder Eritrea und Südsudan waren seit ihrer jeweiligen Unabhängigkeitserklärungen 1991 bzw. 2011 ebenfalls PRIM-Partnerländer der Rottenburger Priester.

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart ist bis heute die einzige Diözese in Deutschland, die den Weg der PRIM-Partnerländer beschreitet. Für viele Priester ist die Hilfe die einzige Unterstützung, die sie von außen erhalten. Sie ermöglicht ihnen die Ausübung ihres Dienstes, für manche ist sie überlebenswichtig. (Quelle: Hauptabteilung Weltkirche)

Wie können wir hier die Menschen in Äthiopien unterstützen?

Zuallererst ist es immer gut, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. In Europa haben wir Glück, denn es gibt freien Zugang zu Medien. Man kann sich über jeden Winkel der Welt informieren und versteht, was dort passiert. Jeder hat die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wie man mit dem Gesehenen umgeht und was man dabei fühlt. Ich wünsche mir einfach eine Kultur der Liebe, der Offenheit, des Empfangens und des Informationsschenkens.

Müssen die Medien mehr unterstützen?

Die vergessenen Regionen und deren Leid müssen sichtbar werden. Die Medien der Kirche und die öffentliche Presse müssen mehr über die Situation der Menschen berichten. Die Region, aus der ich komme, aus Tigray, hat keinen direkten Zugang zu ausländischen Medien. Und wenn, dann nur, weil wir über das Internet oder Telefon ein Statement abgeben. Die Medien müssen in unser Land kommen und von vor Ort berichten, damit wir über unseren Schmerz erzählen können.

Wie sieht die Zukunft für Äthiopien aus?

Momentan gibt es nur wenig Hoffnung. Es gibt zu viel Gewalt und Konflikte. Junge Menschen versuchen zu gehen, denn es gibt keinen Grund für sie hierzubleiben. Sie glauben nicht an eine strahlende Zukunft. Andererseits sehe ich, dass die Menschen in meiner Diözese hart arbeiten. Sie sind sehr resilient und können verzeihen. Meine Hoffnung ist, dass mit dem Frieden ein Heilungsprozess beginnt. Denn die politische Elite benutzt die ethnischen Gruppen und Religionen als Waffe. Wenn das aufhört, werden die Menschen keine Probleme mehr miteinander haben. Davon bin ich überzeugt. Wir sind alle Nachbarn. Es gibt Ehen zwischen verschiedenen Ethnien und kulturelle Gemeinsamkeiten. Ich glaube, wir können Frieden aufbauen, um zu heilen, und für eine bessere Zukunft.

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