Kultur

Glaube und Gelassenheit

Da geht's lang: Der "Pilger" in Wasseralfingen zeigt in Richtung des spanischen Wallfahrtsortes Santiago de Compostela, dem Ziel des nahen Jakobswegs. Die Figur aus massivem Eisenkunstguss gestaltete Sieger Köder mit den Wasseralfinger "Krippelesfrauen"; Maria Preisinger ist eine von ihnen. Foto: DRS/Jerabek

Wie Glaube trägt und wie sich mit Lebenskunst Grenzsituationen meistern lassen, dazu kann Aalen einiges sagen. Eine religiös-kulturelle Exkursion.

Der Limes, der durch Aalen führte und dessen römisches Reiterkastell das größte seiner Art nördlich der Alpen war, ist nicht nur ein Grenzwall und Unesco-Welterbe; er kann auch unter dem Blickwinkel von Grenz- und Ausnahmesituationen gesehen werden, wie sie jeder Mensch erlebt und wie sie sich auch in der Corona-Zeit vielfach zeigen. „Ein Lebenskünstler findet in persönlichen oder gesellschaftlichen Umbrüchen immer einen gangbaren Weg“, sagt Dr. Wolfgang Steffel, der für eine religiös-spirituelle Exkursion des Dekanats Ehingen-Ulm das Leitwort „Glaubenslicht und Lebenskunst am Limes“ wählte. Die geschehe „meist auf unorthodoxe Art, mit einem guten Spürsinn und mit leichtem Gepäck“, so der Ulmer Dekanatsreferent. Momentan sei nicht die Zeit für langfristige Planung, sondern eine Lebenskunst der kleinen Schritte sei gefragt. „Und der Glaube gibt hier das richtige Licht und Orientierung, weil er Wunden, Einsamkeit, ja selbst den Tod nicht ausklammert“, ist Steffel überzeugt. Gläubige Lebenskunst sei kein verkrampfter Kampf ums Überleben, sondern Gelassenheit aus Gott und auf ihn hin.

Auf den Spuren von Sieger Köder

Ein Zeuge dieser gläubigen Gelassenheit ist Sieger Köder (1925-2015). Viele der Werke, die der berühmte Malerpfarrer in und für seinen Geburtsort Wasseralfingen – heute zweitgrößter Stadtbezirk von Aalen – geschaffen hat, atmen großes Gottvertrauen, spirituelle Tiefe und Kenntnis menschlicher Lebenslagen, aber auch viel Humor und etwas schwäbischen Knitz. Davon kann etwa Maria Preisinger erzählen, ehemalige Mesnerin von St. Stephanus und als „Krippelesfrau“ eine von vielen Helferinnen des Malers und Sieger-Köder-Expertin, die die Teilnehmer durch die erste Station der Exkursion führte. Auch wenn die Pfarrkirche mit dem eindrucksvollen „Wasseralfinger Altar“, den Kreuzwegstationen und weiteren Werken Köders wegen Renovierungsarbeiten derzeit nicht besichtigt werden kann, lädt schon allein sein Schaffen an der Fassade zum Staunen und Meditieren ein.

Da ist etwa das Hauptportal in der Westfassade, dessen Gestaltung die apokalyptische Vision des heiligen Johannes, die „Geheime Offenbarung“ vom Sieg des Reichs Gottes über das antichristliche Weltreich, zum Thema hat. Die Front der Türflügel aus getriebenem Kupferblech zeigt die apokalyptische Madonna und den Erzengel Michael, der den Drachen in Gestalt zweier skulpturalen Bronzegriffe in die Schranken weist. Köders Gedanke sei es gewesen, dass die Kirchenbesucher beim Öffnen des Portals „das Böse am Kragen packen und besiegen“, erzählt Maria Preisinger. Doch sei dies – das wusste der Seelsorger Köder sehr gut – „gar nicht so einfach“: Im Sommer sind die Griffe zu heiß, im Winter zu kalt… Doch über allem menschlichen Mühen thront in der Mitte des Bogenfeldes das apokalyptische Lamm auf dem Buch mit sprichwörtlichen sieben Siegeln.

Auf besondere Weise begegnen kann man Sieger Köder an seiner Büste, die sein Freund, der Ellwanger Bildhauer Rudolf Kurz so trefflich geschaffen hat. Wer die Büste entlanggeht, die Augen auf Köders Antlitz gerichtet, entdeckt, wie sich sein etwas kritischer Blick merklich aufhellt: „Auf einmal fängt er an zu lächeln“, sagt Maria Preisinger.

Ein „Glaubenslicht“ ist vielen Besuchern das Auferstehungskruzifix, das zum Sieger-Köder-Weg in Wasseralfingen gehört. Christus scheint sich hier von einem gedachten Kreuz zu lösen, die eben noch ausgestreckten Arme nehmen einen umarmenden Gestus ein, ein goldener Schein umstrahlt die Konturen seines Leibes. Die imposante Stahlwand, an der dieser Bronzeguss hängt, hat Rudolf Kurz konzipiert und künstlerisch akzentuiert. Ein guter Ort, um einen Text zu meditieren, der für Wolfgang Steffel einer der schönsten Texte von Sieger Köder ist. Der Seelsorger schreibt ihn im Buch von Patriz Hauser: „Philipp Jeningen, Ein Jesuit, wie er im Buche steht“:

Ein Kreuz aufrichten

Die Krankheit ist ein Kreuz. Wenn wir daraus eine Zeit der Besinnung machten, in der wir nachdenken können über uns und unser Leben –
wir hätten das Kreuz aufgerichtet.

Wenn unsere Kinder oft so ganz anders werden – es ist ein Kreuz. Wenn wir uns in sie hineindenken können und Großmut zeigen und sie nie allein lassen –
wir hätten ein Kreuz aufgerichtet.

Wenn wir erfahren müssen, dass viele sich von der Kirche abwenden – das ist ein Kreuz. Wenn wir treu bleiben in Gedanken, Worten und Werken –
wir hätten das Kreuz aufgerichtet.

Wenn wir Angst haben und keinen Sinn mehr sehen und schier verzweifeln – das ist ein Kreuz. Wenn wir trotz allem anfangen zu beten, lange, auch wenn es lange dunkel bleibt –
wir hätten das Kreuz aufgerichtet, wie einen Wegweiser nach Ostern.

Sieger Köder in: Patriz Hauser: Philipp Jeningen, Ein Jesuit, wie er im Buche steht. Schwabenverlag Ostfildern 1995.

Lohnend ist ein Abstecher in die aus dem dem 14. Jahrhundert stammende St.-Stephanus-Kapelle, die von den Einheimischen liebevoll „Altes Kirchle“ genannt wird. Im Mittelpunkt der wertvollen Ausstattung zählt der spätgotische Altar des Ulmer Meisters Martin Schaffner (um 1478–nach 1546). Wie Maria Preisinger zu berichten weiß, bewunderte Sieger Köder schon als Kind und Ministrant diese Werke, zeichnete sie nach, was in ihm den Wunsch geweckt habe, „au amol so a Moler zu werda“. Der zu Ehren des Pfarrers und Künstlers gestaltete Sieger-Köder-Weg vereint die Werke Köders mit Arbeiten befreundeter Künstlerkollegen.

Dichter, Journalist und Musiker

Ein berühmter Sohn Aalens, auch wenn er nicht aus Aalen stammte, ist Christian Schubart (1739 bis 1791), dem die zweite Station der religiös-kulturellen Exkursion gewidmet war. In einem kurzweiligen Vortrag gestaltete Michael Steffel, Leiter der Aalener Stadtbibliothek, eine Spurensuche im Leben des zu seiner Zeit immens populären Dichters, Journalisten und Musikers. Schubart verlebte seine Jugendjahre in der freien Reichsstadt Aalen, der längste Zeitabschnitt seines Lebens, den er an einem Ort verbrachte.

Was sich auf der Webseite der Stadt recht neutral liest – „Der Feuerkopf Schubart verstieß in Lebensweise und Freiheitsdurst gegen die Konventionen seiner Zeit“ – schilderte Michael Steffel sehr lebendig und facettenreich. Schubart galt als unstet, als Frauenheld und Säufer. Seine wenig diplomatische Lust am Kritisieren brachte ihm zwar viel Berühmtheit ein, aber auch Schwierigkeiten. Der württembergische Herzog Carl Eugen ließ ihn auf dem Hohenasperg bei Ludwigsburg in Kerkerhaft nehmen, auf dass er sein Gewissen erforsche und sein Leben ändere.

„Was für Schubart der tragische Wendepunkt seines Lebens war“, sagt Steffel, „das war freilich – so zynisch das auch klingen mag – ein Glücksfall für die Überlieferungsgeschichte von Schubarts Liedschaffen“. In diese Zeit fällt zum Beispiel „Die Forelle“, sein berühmtestes Gedicht, das er zuerst selbst und später der Komponist  Franz Schubert vertonte.Köstlich zu lesen sind Schubarts Briefe, etwa an seinen Schwager Christian Gottfried Boeckh.

Das älteste Aalener Wirtshaus, die „Bierhalle“ der früheren Brauerei „Grüner Baum“, galt der nächste Abstecher der Reisegruppe – und Schubart saß, wenn auch nur in Form eines Wandbildes, mit am Tisch. Hier weilte der schwäbische Dichter des öfteren.

Einblick in den römischen Alltag

Einer Entdeckungsreise in die Welt der Römer vor 1800 Jahren sowie zu den wichtigsten Fundplätzen entlang des Limes war der Nachmittag vorbehalten. Das größte Museum am Unesco-Welterbe Limes in Süddeutschland gibt einen tiefen Einblick in den römischen Alltag und in das Leben am und mit dem Grenzwall, das Verständnis von Grenzen und Herrschaft und in die Religiosität der Römer.

Vom Limesmuseum ist es nur ein kurzer Spaziergang zur St.-Johann-Kirche, die Steinquader des römischen Reiterkastells im Fundament hat. Als profunde Kennerin dieser nach Johannes dem Täufer benannten Kirche skizzierte Elisabeth Keiner die Geschichte dieses vermutlich im 9. Jahrhundert erbauten und im 13. Jahrhundert und nochmals 1561 nach Osten erweiterten und erneuerten Gotteshauses, das sie liebevoll „Kirchle“ nennt.
 

Den Abschluss der Exkursion bildete das Römerhotel Treppach, über dessen Gelände früher schnurgerade der Grenzwall verlief. Malerpfarrer Sieger Köder malte hier ein humorvolles Wandbild mit Wein und Bier trinkenden Wachsoldaten. - Und da ist sie wieder: die Lebenskunst am Limes, die verbunden mit einer Gelassenheit aus Gott und auf ihn hin ein gangbarer Weg in dieser unsicheren, merkwürdigen Zeit ist.

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