Landauf, landab suchen Kindergärten Personal. Der „Direkteinstieg Kita“ soll seit vergangenem Jahr in Baden-Württemberg helfen, neue Fachkräfte zu gewinnen: Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger können in zwei statt drei Jahren sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten werden. Die „St. Martin Schulen für soziale Berufe“ in Neckarsulm gehören zu den Bildungseinrichtungen, die bei diesem neuen Qualifizierungsmodell mitmachen.
Von einer Bereicherung für die Schule spricht Britta Rieger mit Blick auf die angehenden sozialpädagogischen Assistentinnen und Assistenten. Mit einer Klasse mit 30 Schülerinnen ist der neue Ausbildungszweig im vergangenen Jahr an den „St. Martin Schulen für soziale Berufe“ – so heißen seit Kurzem die bisherigen „Katholischen Fachschulen St. Martin“ – gestartet. In diesem Herbst haben zwei Klassen mit 62 Schülerinnen und Schülern den zweijährigen Weg zur Qualifizierung begonnen.
Viele Bewerberinnen und Bewerber
Das Interesse sei groß sagt Rieger, Koordinatorin für den Ausbildungsgang an der Neckarsulmer Einrichtung. Sie verweist auf die 200 Bewerbungen, die es gab. Aus den Einrichtungen werde die Qualifizierung ebenfalls nachgefragt, nachdem sich das neue Modell mittlerweile herumgesprochen habe. Für das kommende Schuljahr sei bereits eine Klasse mit Schülerinnen und Schülern voll, berichtet Rieger.
Dabei mutet es auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich an, von Schülerinnen und Schülern zu sprechen. Denn die angehenden sozialpädagogischen Assistentinnen und Assistenten sind zumeist gestandene Erwachsene. Das Durchschnittsalter liegt laut Rieger bei 45 Jahren. Alle haben bereits eine erste Berufsausbildung. Das ist – neben zumindest einem Hauptschulabschluss – die Bewerbungsvoraussetzung.
Erwachsene mit eigenen Sorgen
Die Bewerberinnen und Bewerber für den „Direkteinstieg Kita“ bringen andere Themen in die Schule mit, als es Auszubildende üblicherweise tun. Die Betreuung der eigenen Kinder oder die Sorge um die Eltern beschäftigen die angehenden sozialpädagogischen Assistentinnen und Assistenten zusätzlich zum Schulalltag. „Jeder kommt mit seinem Rucksack“, formuliert es Ilene Stanelle. Die 43-jährige Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern stieg als Dekorateurin in die Berufswelt ein. Durch die eigenen Kinder habe sie später gemerkt, dass ihr Erziehung liege, dass sie einen guten Draht zu Kindern habe.
Nach ersten Arbeitserfahrungen, die sie sammelte, entschied sie sich, im Erziehungsbereich „richtig Fuß zu fassen“, wie Stanelle erklärt. Für die Quereinsteigerin bot sich daher der „Direkteinstieg Kita“ an.
Annette Will wählte diesen neuen Ausbildungsweg ebenfalls, um das nötige pädagogische Fachwissen zu gewinnen. Das habe ihr gefehlt, um zum Beispiel schwierige Situationen unter den Kindern zu klären, erläutert sie. Will war in ihrem ersten Beruf verbeamtete Justizsekretärin. Über die Tätigkeit als flexible Aushilfe für Kindergärten kam die 55-jährige Mutter zweier erwachsener Kinder zu der Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin.
Breites Spektrum an Berufen
Will und Stanelle haben das erste der beiden Ausbildungsjahre hinter sich gebracht. „Es ist eine tolle Schule mit vielen Impulsen“, berichtet Will von ihren Erfahrungen. Gleichwohl mussten sich beide zu Beginn in ihre neue Rolle einfinden. Sie musste „lernen zu lernen“, sagt Stanelle. Sie habe ihren Kindern gesagt, dass sie jetzt auch Klassenarbeiten machen müsse. Ihre Kollegin Will hat das Lernen „ins Privatleben integriert“. Das Niveau in der Klasse sei hoch, sagt sie. Stanelle ergänzt: „Man merkt, dass jeder in der Klasse die Ausbildung wirklich möchte.“
Und sie sind nicht die Einzigen. Offenbar möchten Menschen aus sehr unterschiedlichen Berufsgruppen in den pädagogischen Bereich wechseln. So ist laut Rieger im neuen Ausbildungsjahrgang beispielsweise ein Ingenieur und ein Koch zu finden. Die persönlichen Gründe, den „Direkteinstieg Kita“ zu wagen, sind den Aussagen der Koordinatorin nach vielfältig: Manche wollten eigentlich schon immer in den Erziehungsberuf; andere nutzen die Tatsache, dass ihre eigenen Kinder erwachsen sind, zur beruflichen Veränderung; wieder andere haben genug von der Ellenbogen-Mentalität in der freien Wirtschaft.
Jede Woche Schule und Praxis
Ob der pädagogische Bereich aber tatsächlich etwas für die Wechselwilligen ist, klären Bewerbungsgespräche. Für die nehme sie sich viel Zeit, sagt Rieger. Wer über den „Direkteinstieg Kita“ die verkürzte Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin oder zum sozialpädagogischen Assistenten beginnen möchte, braucht außerdem einen Arbeitsvertrag mit einer Kindertageseinrichtung. Denn Theorie und Praxis seien eng verzahnt, sagt Rieger. Sie zeigt den Wochenplan: Im ersten Jahr sind drei Tage Schule und zwei Tage Praxis vorgesehen, im zweiten Jahr drei Tage Praxis und zwei Tage Schule. Die angehenden sozialpädagogischen Assistentinnen und Assistenten werden von ihren Einrichtungen nach öffentlichem Tarifvertrag bezahlt.
Die Assistentinnen und Assistenten unterstützen die Erzieherinnen und Erzieher. Diese haben dabei die abschließende Verantwortung, grenzt Rieger die beiden Berufsgruppen voneinander ab. Nach den Prüfungen im kommenden Sommer gehören Will und Stanelle zu den ersten über den „Direkteinstieg Kita“ neu ausgebildeten Fachkräften. Neben der Arbeit in Kindergärten kann unter anderem auch die Ganztagesbetreuung an Grundschulen ein Tätigkeitsfeld für sie sein.