Ein kirchenpolitisch aktuelleres Thema hätte sich der Stuttgarter Stadtdekan Dr. Christian Hermes kaum heraussuchen können für seinen "Talk am Dom" vor gut besetzten Rängen am Donnerstagabend im Haus der katholischen Kirche: "Queer und katholisch: eine Zerreissprobe".
Anderthalb Stunden lang diskutierte Hermes mit Dr. Ursula Wollasch, seit Herbst 2022 Ansprechpartnerin der Diözese Rottenburg-Stuttgart für Trans-Menschen, also solche, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, über den angemessenen Umgang der Kirche mit der Queer-Community.
Eimal mehr ausgegrenzt und diffamiert
Zum Auftakt der Deutschen Bischofskonferenz diese Woche in Wiesbaden hatte der päpstliche Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterović, gegen die "Gender-Ideologie" gewettert, die für manche in der Kirche an die Stelle des biblischen Bildes nach der Genesis in 1. Mose 1,27 ("Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.") getreten sei.
Damit sorgte er für erheblichen Flügelschlag weit über die katholische Kirche hinaus. Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer warf dem Vatikan-Botschafter vor, mit seinen Worten Entsetzen ausgelöst zu haben "nicht nur bei Menschen, die sich dadurch persönlich zutiefst getroffen fühlen, weil sie sich einmal mehr von einem Repräsentanten der katholischen Kirche ausgegrenzt und diffamiert fühlen müssen".
Niemand hat das Recht, eine Identität infrage zu stellen
Da lag die Frage von Dekan Hermes an die promovierte Theologin und Sozialethikerin nahe, ob "queere Menschen überhaupt noch etwas von der katholischen Kirche erwarten". Ursula Wollasch berichtete aus ihrer Beratungspraxis, wie sehr es sie berühre, wenn erwachsene Frauen und Männer vom oft jahrelangen Kampf mit sich selbst erzählten, von Suizidgedanken und "einer anderen Identität, die irgendwann nicht mehr zu verdrängen ist". Dafür verdienten sie Respekt.
Wie sehr das Thema inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, habe ihr letzten Sommer eine persönliche Begegnung im Freibad gezeigt, wo eine andere Schwimmerin "im gleichen Badeanzug wie ich da stand – aber mit Vollbart". Für die Sozialethikerin steht deshalb fest: "Es gibt nicht nur Mann und Frau. Sondern auch etwas dazwischen." Niemand habe das Recht, diese andere Identität infrage zu stellen, selbst wenn sie von vielen als Provokation empfunden werde. Dekan Hermes sieht das genauso: "Transmenschen sind keine Dämonen, keine Freaks, keine Monster!"
Ehrlichkeit, Mut und die Bereitschaft, Menschen anzunehmen
Und wie soll dann ein fairer, ehrlicher Umgang aussehen? Für Ursula Wollasch ist dies kein Thema für eine einzelne Person wie sie selbst mit einer befristeten Projektstelle, sondern eines für die Leitung der Diözese insgesamt: Diese müsse sich der queeren Menschen annehmen und sie in die vorhandenen Strukturen integrieren: "Diese Leute sind längst da. Aber sie möchten sich gerne vernetzen."
Das Gebot der Stunde sei Ehrlichkeit, gepaart mit Mut und der Bereitschaft, den Weg der Inklusion zu gehen und die Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Derzeit gebe es für sie nur medizinische und psychologische Hilfe. Ihr Traum, so Wollasch, sei, dass sich Caritas und Pastoral zusammenschließen und bei Bedarf ein kirchliches Netz von Dienstleistungen ausspannen – bis hin zu spirituellen Begleitungen und Segensfeiern.