Bei der Protestkundgebung gegen den AfD-Landesparteitag in der Rottweiler Stadthalle betonte Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb am Samstagvormittag bei ihrer Rede, dass der Glaube an einen barmherzigen, liebenden Gott und rechtsradikale Gesinnungen nicht zusammenpassen. Nicht ohne Grund stehe in unserem Grundgesetz die unveräußerliche Würde des Menschen unverrückbar als erster Artikel über allem anderen. „Demokratiefeindlichkeit und Christsein schließen sich einfach aus. Deshalb ist die AfD für Christinnen und Christen nicht wählbar“, sagte Schieszl-Rathgeb und hielt fest: „Wer sich in kirchlichen Verbänden, in den Kirchengemeinderäten und in der Caritas engagiert, kann niemals Mitglied in einer extremistischen Partei sein.“ Die Ordinariatsrätin dankte den vielen Besucher:innen der Kundgebung und rief ihnen zu: „Egal wo und wann die Rechtsextremisten zusammenkommen: Wir stehen auf und bilden ein Bündnis. Rottweil und unser Land sind und bleiben: Bunt und vielfältig."
„Nie wieder ist jetzt!“
Kriminelle Autokraten zerstören Leben
Die Leiterin der Hauptabteilung „Kirche und Gesellschaft“ im Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart erinnerte auch an die Auschwitz-Überlebende Eva Szepesi, die vor wenigen Wochen im Deutschen Bundestag darüber sprach, was passiert, wenn wir die Augen zu machen und gefährliche Entwicklungen verschlafen. Die Schoah – der perfide geplante und organisierte Massenmord an Millionen unschuldiger Menschen – habe nicht mit Auschwitz begonnen, sondern mit Worten.
„Er begann mit Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft“, sagte Schieszl-Rathgeb und betonte: "„Nie wieder ist jetzt!“ Die AfD-Funktionäre in der Stadthalle wollten mit ihrem Parteitag den Anschein erwecken, eine demokratische Partei zu sein. Wir aber sitzen diesem Irrglauben nicht auf. Dort trifft sich keine Alternative für Deutschland. Unsere freiheitliche Demokratie ist nämlich alternativlos. Niemals wird es ihnen gelingen, sie zu unterwandern und kaputt zu machen. Wir müssen doch bloß nach Russland schauen, um zu sehen, was kriminelle Autokraten anrichten. Sie zerstören Existenzen, sie zerstören freie Länder und sie zerstören Leben."
„Wir brauchen Sie"
Und an die Vertreterinnen und Vertreter aller demokratischen Parteien gewandt beendet sie ihre Rede mit einem Appell: „Wir brauchen Sie. Wir unterstützen Sie, eine lösungsorientierte und krisenfeste Politik umzusetzen - mit offenen Augen und einem hörenden Herz für die Bürgerinnen und Bürger! Lassen sie uns auch gemeinsam dafür Sorge tragen, dass alle, die auf der Kippe stehen, die Möglichkeit haben, in die demokratische Mitte zurückzukehren.“
Traurig und fassungslos
Viele Katholik:innen aus Rottweil und Umgebung hatten sich auf den Weg zum Festplatz neben der Stadthalle gemacht, um ebenfalls Flagge gegen den AfD-Parteitag zu zeigen. Für Timo Weber, leitender Pfarrer der Seelsorgeeinheit Rottweil-Hausen-Neukirch, ist die Kooperation mit den Organisatorinn:en des Protests dabei eine, wie er sagt, "Selbstverständlichkeit". „Ich danke allen, die heute hier stehen“, sagt er und mit Blick auf die jüngste Positionierung der deutschen Bischöfe gegen die AfD hält er fest: „Ich finde es richtig und gut, wenn wir als Kirche politisch sind und das Wort ergreifen, wenn es gegen die christlichen Grundwerte geht.“ Die Deutsche Bischofskonferenz helfe damit auch den Geistlichen vor Ort. Wie viele andere Teilnehmer:innen der Kundgebung an diesem Vormittag zeigt er sich – nicht zuletzt auch mit Blick auf das im November bekannt gewordene Geheimtreffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremen bei Potsdam – traurig und fassungslos darüber, wie hart und aggressiv der Ton im Land geworden ist. Ein Zeichen ist es für ihn als Pfarrer auch, wie viele Gemeindemitglieder mit vor Ort sind.
Zweitägiges Kulturfest
Melina Knapp und Ludwig Karras von der katholischen Jugend Rottweil stimmen überein: „Ein Christ kann die AfD nicht wählen.“ Sehr gut finden beide die Erklärung der deutschen Bischöfe, dass völkischer Nationalismus und Christentum unvereinbar sind. Mit vor Ort sind auch Elias Mink und Jakob Kuhn. Die beiden Ministranten aus „Auferstehung Christi“ glauben, dass mit „Rottweil bleibt bunt und vielfältig“ ein Zeichen gesetzt wurde, dass die meisten Menschen in der Stadt gegen den Parteitag vor Ort sind. „Unsere Werte sind anders und deswegen konnte diese Veranstaltung nicht unkommentiert bleiben.“ Sehr schön findet Jakob Kuhn dabei, dass es den Rottweilern mit dem zweitägigen Kulturfest am Samstag und Sonntag zudem gelang, etwas Schönes auf die Beine zu stellen, das ganz im Gegensatz zum AfD-Landesparteitag steht.
Seitens der Veranstalter wird am Rande der Kundgebung darauf hingewiesen, dass rund 2000 Menschen auf dem Festplatz neben der Stadthalle zusammengekommen sind, um den rund 20 Redner:innen zuzuhören. Verwiesen wird auf das Kulturprogramm am Samstagnachmittag und Sonntag in der Rottweiler Innenstadt. Auch die Kirchen und die Rottweiler Wärmestube öffnen ihre Türen für Veranstaltungen. Mehr Informationen zum geplanten Kulturprogramm am Wochenende gibt es hier.
Weitere Stimmen
Ursula Deiber, Kirchengemeinderätin aus einem Rottweiler Teilort, befindet es für unerlässlich, wegen des AfD-Landesparteitags Flagge zu zeigen. Früher habe man die eigenen Eltern gefragt, weshalb sie nichts gegen die nationalsozialistische Diktatur unternommen hätten. Ein Grund mehr, sich heute klar zu äußern. Ihre Tochter Barbara Deiber ergänzt: „Und wir wollen zeigen, dass wir mehr sind.“
Sabine Geiselmann aus der Gemeinde des Heilig-Kreuz-Münsters in Rottweil verweist darauf, wie wichtig es sei, mit dem eigenen Mitmachen auch anderen Menschen zu ermutigen. „Für mich als aktive Christin geht es gar nicht anders, als hier heute Flagge zu zeigen.“ Felix Dom, Kirchengemeinderat in Heilig-Kreuz-Münster, sagt: „Ich bin hier, weil die rechte Hetze nicht mehr auszuhalten ist“ und Gabriele Leibrecht vom Pastoralteam der Seelsorgeeinheit Rottweil-Hausen-Neukirch, stellt fest: „Mir macht eine Zukunft Angst, in der die AfD mehr Einfluss haben könnte. Sigrun Mei und Manuela Hirth, ebenfalls vom Pastoralteam, freuen sich darüber, dass viele junge Erwachsene und Jugendliche mit vor Ort sind und Salome Banholzer, ehemalige Oberministrantin am Heilig-Kreuz-Münster, hält fest, dass es für sie das Mindeste sei, bei den Aktionen gegen den AfD-Landesparteitag in Rottweil mit dabei zu sein. Ihr sei es enorm wichtig, ein Zeichen gegen rechts zu setzen und das, was sie angesichts des AfD-Landesparteitags mitbekommt, mache ihr „Angst um unsere Zukunft“.