Seit September 2018 ist Harald Prießnitz als katholischer Seelsorger im Justizvollzugskrankenhaus und der Sozialtherapeutischen Anstalt Baden-Württemberg auf dem Hohenasperg tätig. Dort sitzen „schwere Jungs“, die Sozialtherapie machen, ebenso wie Straftäter mit Drogenproblemen oder körperlichen und psychischen Erkrankungen. Auch sie trifft die Corona-Pandemie mit der damit verbundenen Kontaktsperre. Schließlich dürfen auch Gefangene normalerweise Besuch von Angehörigen empfangen, zu Gruppentreffen mit Ehrenamtlichen gehen oder gemeinsam Gottesdienst feiern. Der Hohenasperg zählt dabei nicht zu den normalen Gefängnissen, da es sich um ein Justizvollzugskrankenhaus und eine Sozialtherapeutische Anstalt handelt. Hier ist es auch vor dem Hintergrund der Viruskrise oberstes Ziel, neben der öffentlichen Sicherheit die Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Im Interview spricht der 52-jährige Pastoralreferent Prießnitz darüber, wie er die Seelsorge trotz Pandemie bewerkstelligt.
Herr Prießnitz, wie muss man sich die aktuelle Situation auf dem Hohenasperg vorstellen?
Prießnitz: „Die Gefangenen – egal ob in Untersuchungs- oder Strafhaft – haben kaum mehr die Möglichkeit, mit Menschen von außen in Kontakt zu kommen. Das geht ja primär sowieso nur für Angehörige und Bezugspersonen. Nun dürfen aber diese gar nicht mehr kommen und selbst Gutachter und Rechtsanwälte haben nur in Ausnahmefällen Zutritt. Zudem arbeitet vor Ort nur eine reduzierte Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, da die Risikogruppen freigestellt wurden. Unterm Strich könnte man sagen, dass die Effekte, die draußen eine Rolle spielen, auf dem Hohenasperg verschärft auftreten. Schließlich müssen hier sieben Tage 24 Stunden am Stück abgedeckt werden. Zudem lassen sich die Aktivitäten wegen der Sicherheit – gleichzeitig manchmal auf Kosten der Gesundheit – nicht unendlich herunterfahren.“
Welche Auswirkungen hat das auf ihre seelsorgerlichen Angebote im Justizvollzugskrankenhaus?
Prießnitz: „Direkt betroffen waren natürlich zunächst unsere Gottesdienste. Dabei war für meine Kollegin Henrike Schmidt von der evangelischen Kirche und mich allerdings klar, dass wir diese im Justizvollzugskrankenhaus nicht ausfallen lassen können. Wir sind hier ja in der besonderen Situation, dass nur Inhaftierte Gottesdienst zusammen feiern können, die nicht raus dürfen und die auch sonst ihre Zeit zusammen verbringen. In diesem Sinne sind unsere Gottesdienste in der Regel nicht öffentlich – unabhängig von der Corona-Pandemie. Zudem war es uns möglich, die Anzahl der Mitfeiernden mit drei bis zwölf Teilnehmern gering und daher die Abstandvorgaben einzuhalten. Als Justizvollzugskrankenhaus haben wir Inhaftierte mit einer doppelten Belastung: Diese sind eingesperrt und krank zugleich. Insbesondere in der Psychiatrie sind die Inhaftierten durch die Viruskrise deutlich zusätzlich belastet und suchen Gesprächspartner, denen sie sich anvertrauen können. Deshalb haben wir auch von der Anstaltsleitung das Signal bekommen, dass wir unsere seelsorgerliche Arbeit gerade jetzt machen und mit den Inhaftierten sprechen sowie Gruppensitzungen mit entsprechendem Abstand untereinander anbieten sollen. Damit erfüllen wir eine wichtige soziale Funktion für die Inhaftierten, die mit Ausnahme von Briefen völlig abgeschnitten von der Außenwelt und ihren Angehörigen sind und gerade einmal wöchentlich ein paar Minuten telefonieren dürfen.“
Was bedeutet das für Sie persönlich, denn Sie dürfen den Hohenasperg ja verlassen und gehen zu Ihrer Familie zurück und leben einen – unter Corona-Bedingungen – ganz normalen Alltag?
Prießnitz: „Ich fühle mich stark in der Verantwortung, weil ich von außen ins Justizvollzugskrankenhaus komme. Deshalb habe ich meine Kontakte im Privaten auf ein Minimum reduziert, damit ich meiner wichtigen Aufgabe als Seelsorger nachkommen kann. Das gilt auch für mein weiteres Engagement und sogar für meine Kinder, die ich gebeten habe, ebenfalls besonders vorsichtig zu sein. Meine Frau ist selbst Krankenhausseelsorgerin. Wir beiden tragen somit die Verpflichtung den Kranken gegenüber.“
Welche Themen beschäftigen die Insassen des Hohenaspergs momentan im intensivsten?
Prießnitz: „Die ungewisse Zukunft ist bei uns ein großes Thema. Inhaftierte, die hier beispielsweise in der Sozialtherapeutischen Anstalt auf ihre Entlassung vorbereitet werden, durchlaufen normalerweise einen gestuften Prozess, bei dem sie zunächst mit Beamten, dann mit Bezugspersonen und später alleine für kurze Zeit Ausgang haben, um beispielsweise auf Jobsuche zu gehen. Dieses Programm ist aktuell eingefroren und verzögert sich auf unbestimmte Zeit.
Insgesamt verzeichnen wir deutlich mehr Anfragen für Seelsorgegespräche. Das freut uns, ist es doch ein klares Signal, dass auch unter den erschwerten Bedingungen Seelsorge notwendig und wichtig ist. Die persönlichen Krisen der Inhaftierten werden durch die Corona-Krisen-Stimmung verstärkt wahrgenommen. Parallel leisten wir auch Aufklärung über die Corona-Pandemie. Auf manchen Stationen gibt es hier Fernseher, aber die Gefangenen verstehen die Nachrichten teilweise falsch. Und jemand, der sowieso schon in einer Angstsituation ist, ist empfänglich für falsche Gerüchte. Viele stellen sich auch die Frage: Was passiert wirklich draußen? Es ist ein bisschen wie Anfang des Jahres, als uns die Bilder aus China erreichten. Da konnte auch keiner wissen, dass Ähnliches später auch bei uns Wirklichkeit wird.
Selbst die Frage, ob das Virus eine Strafe Gottes ist, wird gestellt. Ich greife dann gerne auf einen Brief von Bischof Dr. Gebhard Fürst zurück, den dieser uns Seelsorgern zur Corona-Pandemie geschickt hat, und verweise auf die Vielzahl an Projekten der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe, die aufgrund der Krise entstanden sind.“
Was nehmen Sie aus dieser schwierigen Situation mit?
Prießnitz: „Dass die Aussage ‚Not lehrt beten‘ durchaus stimmt. Aktuell erfahren wir aufgrund dieser Krise eine zusätzliche spirituelle Dichte. Die Menschen werfen ihre Verzweiflung vor Gott. Für alle, die in die Gottesdienste kommen, ist das ein sehr hohes Gut. Wir erleben einen großen Bedarf nach Religion und ich empfinde es als Privileg, Gottesdienste feiern zu dürfen.“