Soziales

Ohren auf und los geht’s

Ulrike Eichkorn, Christa Gaiser und Heike Schönherr sprechen über ihre ehrenamtliche Tätigkeit in den Zentren des Zuhörens in Horb und Freudenstadt..

Im Interview (von links): Ulrike Eichkorn, Christa Gaiser und Heike Schönherr. Bilder: Christoph Schülke

Ehrenamtliche der Zentren des Zuhörens in Horb und Freudenstadt berichten: Christa Gaiser, Ulrike Eichkorn und Heike Schönherr im Interview.

Jemandem zuhören. Ohne den Zwang, einen Rat geben oder eine Diagnose stellen zu müssen. Einfach nur mit offenen Ohren anwesend sein und versuchen, das Gesagte zu verarbeiten. Das klingt nach einem verlockend einfachen Job – bis plötzlich oder fast unbemerkt ein Drahtseilakt der Worte beginnt, bei dem auch der Zuhörer die Balance halten muss. Mitarbeiterinnen aus den Zentren des Zuhörens erleben Zweifel und Zwiespälte, aber oft auch das Gefühl, jemandem von einer Last befreien zu können. Über ihre Eindrücke berichten Ulrike Eichkorn  aus Rexingen sowie Christa Gaiser und Heike Schönherr aus Horb. Seit vielen Jahren arbeiten sie beim Zentrum des Zuhörens, öffnen ihre Ohren für die Anliegen der Besucher, die mit Alltagssorgen, ungelösten Konflikten oder einfach nur einem verzwickten Briefwechsel mit Behörden oder Firmen zu ihnen kommen

Was hat sie dazu bewogen, beim Zentrum des Zuhörens mitzumachen?
Christa Gaiser: Ich bin damals in Rente gegangen und habe nach einer ehrenamtlichen Arbeit gesucht. In der Zeitung  habe ich über das Zentrum des Zuhörens in Horb gelesen. Ich dachte, das wäre etwas für mich. Früher habe ich bei der AOK gearbeitet und viel mit Formularen zu tun gehabt. Diese Erfahrung wollte ich im Zentrum des Zuhörens beim Papiertiger einbringen.
Ulrike Eichkorn: Auch ich habe eine ehrenamtliche Arbeit gesucht und das Zentrum des Zuhörens hat mich angesprochen. Gleich die erste Runde war nett, und es gefiel mir besonders, dass es immer zwei Zuhörer sind, die sich einem Besucher widmen. Es ist schön zu sehen, wie jeder etwas anders reagiert, wie jeder eine andere Sicht hat. Und man merkt, dass es den Menschen leichter ums Herz wird, wenn sie über ihr Thema sprechen können.
Heike Schönherr: Ich hatte nach sinnvollen, das heißt nach gesellschaftlichen Aufgaben gesucht, die über Familie und Hobby hinausgehen. Hinzu kam noch mein Interesse an sozialen Fragen und menschlichen Schicksalen. Ich habe auch Freude am Schreiben von Briefen jeglicher Art, zum Beispiel Behördenbriefe oder Bewerbungen. Daher arbeite ich vor allem beim „Papiertiger“ mit.
 
Sie sind seit mehreren Jahren Mitarbeiterinnen im Zentrum des Zuhörens. Hat sich die Klientel in dieser Zeit verändert? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Christa Gaiser: Ja. In den ersten Jahren haben wir öfter Besuch von älteren Frauen bekommen, auch aus den Ortsteilen. Wir haben zusammen Tee getrunken, und sie haben über ihre Sorgen erzählt, bei denen es auch viel um die Familie ging. Das hat ihnen schon gereicht. In den Jahren danach war die Formular-Hilfe immer stärker nachgefragt.
Ulrike Eichkorn: Es gibt aber auch viele Leute, die begleitet man über einen längeren Zeitraum, und bei denen bekommt man mit, wie sie sich entwickeln. Das ist oft toll, wenn man sie in der Stadt trifft und sie einem erzählen, wenn etwas geklappt hat. Oft erlebe ich, dass die Leute sehr dankbar sind. Und nach wie vor bringen die Leute Briefe mit, die oft ein Vorwand sind, ins Gespräch zu kommen.
Heike Schönherr: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei vorschnellen Urteilen Vorsicht geboten ist. Es sind Menschen, die in Not sind. Hinter den Schicksalen steht oft eine Verstrickung vielfältiger Bedingungen, schwierige Lebensumstände. Es gibt auch komplizierte Persönlichkeiten mit physischen und psychischen Erkrankungen. DerUmgang mit ihnen hat mir zu einer vertrieften  emotionalen Erkenntnis verholfen: Jederm Mensch hat Anspruch auf Respekt und Hilfe.

Ist es nicht manchmal frustrierend, sich Nöte und Sorgen anhören zu müssen ohne etwas Konkretes
tun zu können? Stößt man da nicht auch an Grenzen? Wie gehen Sie damit um?

Christa Gaiser: Manchmal bin ich etwas unzufrieden. Ich glaube zwar schon, dass dem Besucher allein schon geholfen ist, wenn er reden kann. Aber der Eindruck, dass es nicht hilft, kommt manchmal schon. Man muss lernen, damit umzugehen. Oft kommt die Hilfe aber an, und beim Dienst hat sich schon einiges ergeben, was später dann im Alltag weitergegangen ist. So habe ich zum Beispiel schon bei Sprachproblemen weiterhelfen können – mit gemeinsamem Zeitung lesen. Es gibt inzwischen auch Leute, die mich mal daheim anrufen. Mir macht's Spaß, ich mache es gern.
Ulrike Eichkorn: Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass es Menschen leichter ums Herz wird, wenn ihnen jemand einfach nur zuhört. Dann hake ich mit Fragen nach und werde konkreter. Letztlich ist der Mensch der uns etwas erzählt immer nur eine einzelne Seite einer Geschichte, an der auch andere beteiligt sind. Ich als Zuhörerin muss da neutral bleiben.
Christa Gaiser: Manchmal fühle ich mich hilflos, wenn jemand etwas erzählt, was sich als Lüge entpuppt, oder wenn von vorneherein klar ist, dass ein Hilfesuchender seine Versprechungen wahrscheinlich nicht halten wird.
Ulrike Eichkorn: Als die Flüchtlinge kamen, hatte ich das Gefühl, jetzt kommt es sehr geballt. Es gab viele Kindergarten-Anträge auszufüllen und auch die Familienzusammenführungen waren ein großes Thema.
Heike Schönherr: Ich habe Freude am arbeiten im Team. Und im Team kann man sich auch über Probleme der Besucher austauschen. Aber es gibt auch Gespräche über die verschiedensten persönlichen und allgemeinen Themen.

Ein wichtiger Aspekt beim Zentrum des Zuhörens ist die Schweigepflicht. Deshalb die Frage im Allgemeinen: Gibt es auch mal brenzlige Situationen, in denen sich die Zuhörerinnen bedroht fühlen?
Ulrike Eichkorn: Die Schweigepflicht ist total wichtig. Wir machen auch den Besuchern immer wieder klar, dass nichts von den Gesprächen nach außen dringt. Richtig bedroht gefühlt habe ich mich noch nie, es gibt aber Situationen, die ein bisschen unangenehm sind.
Christa Gaiser: Auch mir bedeutet die Schweigepflicht viel – aber ich kann sagen, dass ich mich während meiner Arbeit noch nie bedroht gefühlt habe.

Wie sehen Ihre Zukunftswünsche für die Zentren des Zuhörens und seine Besucher aus?
Christa Gaiser: Es gibt viele Dinge, die sind einfach nicht gerecht. Dass es bürokratische Hürden gibt, ist auf der einen Seite gerechtfertigt, um Betrug zu verhindern. Aber Menschen, die weniger gebildet sind, haben einfach weniger Chancen, ihre Möglichkeiten wahrzunehmen. Sie tun sich auch schwer, zu uns zu kommen. Und wenn sie dann kommen, ist es oft zu spät. Dann stecken sie schon in einem Mahnverfahren, das man leicht hätte verhindern können.
Heike Schönherr: Ich wünsche mir eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der räumlichen Ausstattung.
 

 

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