Pilgern kann Menschen öffnen. Hier sprechen andere manchmal mit mir über Dinge, die sie sonst niemandem erzählen. Außerdem findet man einen anderen Zugang als im Gottesdienst zu Menschen, die nicht gläubig sind.
In der Gruppe unterwegs zu sein, ist auch ein Mittel gegen Einsamkeit: Oft pilgern Menschen mit, die keine Beziehung haben – bei manchen ist der Partner verstorben. Bei der letzten Diözesanwallfahrt waren auch einige dabei, die nicht allein verreisen und gerne einfach unter Menschen sein wollten. Sie haben die Kommunikation gesucht. Wenn sich wildfremde Menschen einander anvertrauen, dann ist für mich Gott im Spiel.
Welche Teile des Martinuswegs sind Sie selbst schon gelaufen?
So genau kann ich das gar nicht sagen. Ich war bei allen Diözesanwallfahrten dabei, auch in Szombathely in Ungarn und in Tours in Frankreich. Für mich war die letzte die Schönste – da waren wir in Worms,Mainz, Trier, Luxemburg und Speyer. Ich war auch beim Bischofspilgern und, soweit es ging, immer beim Samstagspilgern dabei. Dabei konnte ich die Menschen kennenlernen, die sich in den verschiedenen Regionen um den Martinusweg kümmern.
Wie sind Sie denn zu Ihrer Arbeit beim Martinusweg gekommen?
Wie die Jungfrau zum Kinde! (lacht) Mein Schwiegersohn hat damals den Ausschlag gegeben. Ich erinnere mich genau – am 27. Februar 2012 gab es eine Veranstaltung im Martinihaus übers Pilgern. Er hat gesagt: „Geh hin, das ist was für dein Rentendasein.“
Mein Mann und ich sind zusammen hingegangen. Es gab tolles Essen – aber wir wussten die ganze Zeit nicht genau, was die Veranstaltung eigentlich genau zu bedeuten hatte. Letztlich stellte sich heraus, dass es die Gründungsversammlung für den Martinusweg war. Nachdem wir uns den Bauch vollgeschlagen hatten, konnten wir aber schlecht wieder aufstehen und gehen. Der ehemalige Generalvikar Werner Redies suchte Vereinsmitglieder für die St. Martinusgemeinschaft.
Einige Männer waren schon dabei, aber er bestand darauf, noch mindestens eine Frau mitaufzunehmen. Es waren viele Rottenburger Frauen vor Ort – aber es war wie im Elternorden, alle haben nach unten geguckt. Mein Mann hat mir mit seinem Blick ein „Wehe“ zugeworfen – und als ich gefragt wurde, ob ich mir das Amt vorstellen kann, hab ich halt „Ja“ gesagt. Ich wurde gleich zur Vorsitzenden gemacht!
Das klingt nach einer sehr spontanen Entscheidung…
Ja – und ich hätte nie gedacht, dass das solche Ausmaße annehmen würde. Aber ich habe es nie bereut. Ich sehe das Amt wirklich als Ehrenamt – ich bin geehrt. Es hat mich im Laufe der zwölf Jahre geprägt und selbstbewusster gemacht; ich konnte immer schon gut mit Menschen umgehen, aber das hat mir noch mehr Stärke gegeben. Außerdem ist mir der heilige Martin als Person sehr wichtig. Er ist auf Menschen zugegangen. So sehe ich mich ein stückweit – besonders für die, die eher am Rand stehen oder eine Beeinträchtigung haben. Für sie haben wir besondere Pilgerangebote konzipiert.
Was sind denn Ihre konkreten Aufgaben?
Ich bin nicht nur Vorsitzende der Martinusgesellschaft in der Diözese, sondern in ganz Deutschland. Zu Beginn haben wir im Team am Schreibtisch die Wege geplant – die Idee war ja, Martinskirchen miteinander zu verbinden. Dazu war viel Kommunikation mit den anderen Diözesen notwendig. Hier ist uns zugutegekommen, dass Herr Redies ein großes Netzwerk besitzt. Die Pioniere sind dann die europäische Mittelroute abgelaufen, mein Mann war da auch dabei. Ich bin sehr dankbar, dass er mit an Bord ist – er ist auch zuständig für die Übernachtungsquartiere auf der Route.
Der Aufbau des Weges war also eine große Aufgabe, bei der es viele Kleinigkeiten zu beachten gibt. Ich verschicke Einladungen, bereite Sitzungen vor, schaffe Kontakte, stehe Menschen mit Rat und Tat zur Seite, die auf dem Weg pilgern wollen. Und ich kümmere mich um die Organisation von besonderen Angeboten – dieses Jahr beispielsweise zum ersten Mal das Lamapilgern. Das haben wir zusammen mit einer evangelischen Pfarrerin angeboten.
Außerdem kümmere ich mich um die Öffentlichkeitsarbeit und bestücke die Homepage.
Also eigentlich ein Fulltime-Job – und bestimmt nicht immer einfach?
Nein, besonders, was den Bürokratismus angeht – die Behörden sind oft im Weg gestanden. Aber jetzt haben wir 2200 Kilometer Weg zusammengeführt, 14 Mitgliedsländer arbeiten im Sinne des heiligen Martin, mit Sitz in Tours. Seit der Entstehung der Mittelroute 2014 gehören wir der Europäischen Föderation an.
Wow! Wie fühlt es sich an, das alles geschafft zu haben?
Ich habe es ja alles nicht alleine geschafft, sondern mit vielen Weggefährten. Aber auf unsere gemeinsame Leistung bin ich stolz – es gibt mir eine innere Befriedigung, dass Menschen jetzt auf dem Martinusweg unterwegs sind. Neben dem Jakobsweg ist er schließlich der zweite Kulturweg Europas.