Notfallseelsorge

Präsent sein, wenn das Unfassbare passiert

Trauer darf sich in verschiedenen Ausdrucksformen zeigen. Symbolbild: DRS

Regina Wacker ist Notfallseelsorgerin in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Erzdiözese Freiburg und Ansprechpartnerin für trauernde Angehörige.

Plötzlich steht die Zeit still und das Unfassbare passiert. Ein geliebter Mensch stirbt und verlässt uns für immer – erwartet oder unerwartet, angekündigt oder unangekündigt. Zurück bleiben Schmerz, Leere und viele unbeantwortete Fragen.

Das Leben ist endlich, nichts anderes erwarten wir. Wenn aber ein junger Mensch stirbt, fühlt sich das so an, als würde dieser Tod gegen alle natürlichen Regeln verstoßen. Warum? Fragen dann die Eltern, Geschwister und Freunde. Warum Du?

Regina Wacker ist Referentin für Notfallseelsorge in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Erzdiözese Freiburg. Sie kennt den Umgang mit der Einsamkeit und Verzweiflung der Angehörigen nach dem Tod eines Kindes oder Jugendlichen – ob nach einer Krankheit, nach einem Unfall oder wenn sich der junge Mensch selbst das Leben nimmt. Im Interview erzählt sie, wie sie als Notfallseelsorgerin den Menschen in ihrer Not beistehen kann.

Frau Wacker, wer kommt auf Sie zu und bittet Sie um Hilfe?

Die Notfallseelsorge wird im Einsatzgeschehen von Rettungsdienst, Feuerwehr oder Polizei alarmiert. Das geschieht über die Leitstellen in unseren Stadt- und Landkreisen. Als Notfallseelsorgende haben wir Funkmeldeempfänger damit wir rund um die Uhr erreichbar sind und die im Einsatzfall dann durch die Leitstelle ausgelöst werden.

Was kann man von Ihnen erwarten, was nicht?

Wir unterstützen Menschen, die akut von einer Notsituation betroffen sind. Das sind meist die ersten Stunden nach einem Unglücksfall, in der die Menschen noch gar nicht wirklich fassen können, was passiert ist. Das ist die Zeitspanne, in der erst mal ausgehalten werden muss, was so unaushaltbar scheint, was man gar nicht wahrhaben möchte, was einen plötzlich und unerwartet trifft. Unsere Aufgabe sehen wir in dieser Akutphase darin, bei den Menschen zu sein, sie nicht alleine zu lassen, zu zeigen, dass da jemand ist, der das mit aushält und mitträgt. Unser Dienst endet dann, wenn Familienangehörige oder Freunde herbeieilen, um zu unterstützen.

Wie kann den Eltern, Geschwistern, Schüler:innen, Lehrer:innen, und engen Freunden geholfen werden, wenn das Unfassbare passiert?

Aus meiner Sicht ist es am wichtigsten, dass es Unterstützung gibt von Mensch zu Mensch. Menschen, die ansprechbar sind, die Beziehung anbieten, die nicht werten und mit schnellen Lösungsvorschlägen kommen. Menschen, die begleiten und mit aushalten, dass es auf manche Fragen oder Ereignisse keine einfachen Antworten gibt.

Und wie ist es, wenn ein Jugendlicher freiwillig sein junges Leben beendet? Wie unterstützen Sie, wenn sich ein junger Mensch suizidiert?

Das ist eine wirkliche Ausnahmesituation. Für alle Beteiligten. Das möchten wir nicht wahrhaben, da taucht unversehens die Frage nach dem „Warum?“ auf, die sich jedoch nicht beantworten lässt. Von daher ist es in solchen Situationen manchmal nötig, Verständnis dafür zu wecken, dass weder den Verstorbenen noch irgendjemand anderem die Schuld für den Suizid zugeschoben werden kann. Und auch hier ist das Da-Sein und die Verzweiflung mit auszuhalten unsere wichtigste Aufgabe. In der weiteren Einordnung und Verarbeitung der Trauer können dann Beratungsstellen, Onlineberatung, Telefonseelsorge, Gemeindeseelsorge unterstützend tätig sein.

Was gibt es für Hilfestellungen und Angebote in der akuten Phase, in den ersten Wochen, direkt nach einem Unglück?

Im Falle des Suizids eines jungen Menschen gibt es mit Blick auf die Mitschüler: innen zunächst die Schulpsychologischen Beratungsstellen, die Begleitungsangebote machen und auch in der Akutsituation in den Schulen präsent sind. Was die jeweilige Familie benötigt, kann ganz unterschiedlich sein. Auch hier ist es wichtig, dass es Gesprächsangebote gibt, die offen sind. Und Personen die selbst in schwierigen Lebenssituationen sind, sollten besonders im Blick sein.

Wie sind Schulen auf den Umgang mit Krisenereignissen vorbereitet?

In den Schulen gibt es Krisenteams, die sich mit dem Thema "Umgang mit Krisen" beschäftigen und sich abstimmen, welche Aufgabe im Ereignisfall vom wem übernommen wird. So hat die Schulleitung eine andere Aufgabe als die Beratungslehrer: innen oder der Sicherheitsbeauftrage, die Schulsozialarbeit eine andere als die Klassenlehrer: innen. Die Notfallseelsorge kann dann als externe Unterstützung dazugerufen werden.

Ist es leicht, Unterstützung anzubieten und sich den Menschen, die sich in einer Extremsituation befinden, anzunähern?

Leicht ist dafür vermutlich das falsche Wort. Unser Dienst der Notfallseelsorge ist aus dem Bedürfnis heraus entstanden, dass Menschen nicht alleine bleiben sollen, wenn sie plötzlich und unerwartet einen geliebten Menschen verlieren. Oft gelingt daher die Annäherung an Betroffene mit dem Satz „Ich bin jetzt für Sie da.“ oder „Ich habe jetzt Zeit für Sie.“


Und dann braucht es oftmals Ermutigung, Unterstützung anzunehmen, mit anderen über die Situation zu sprechen, nicht alleine zu bleiben mit all den Gedanken, Sorgen, Ängsten. Mit Blick auf die erste Zeit können Trauerangebote sicherlich dienlich sein oder auch Einzelbegleitungen bei denen die Betroffenen sich aufgehoben, gesehen, geachtet fühlen. Trauer darf sich in verschiedenen Ausdrucksformen zeigen: Schreiben, Malen, Zeichnen, eine Kerze, ein Trauer-Ort, ein Erinnerungsbuch, alles was bei der Verarbeitung und der Einordnung des Unglücks hilft.

Wie sieht die Betreuung aus, wie können Betroffene zurück in den Alltag finden?

Es gilt, präsent zu sein, ansprechbar und geduldig zu sein. Begleitende sollten sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Betroffenen orientieren und gerne dürfen ganz unterschiedliche Bewältigungsstrategien angeboten/angesprochen werden: Manch eine möchte reden, ein anderer braucht viel Bewegung, wieder andere eher Ruhe, Musik oder etwas ganz anderes - das kann und darf sehr individuell sein.

Kontaktdaten Notfallseelsorge
Notfallseelsorge Baden-Württemberg: www.nfs-bw.de
Telefonseelsorge: 0800-1110111 oder 0800-1110222
Nummer gegen Kummer: 116111


Mehr Infos zur Notfallseelsorge auch in den Kapellengesprächen - Staffel 2 "mit dir, für dich, bei dir": Klicken Sie HIER:
 

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