Stark steigende Flüchtlingszahlen, Populismus, schwindendes Vertrauen in die Institutionen von Staat und Gesellschaft, verbunden mit dem Rückzug vieler Menschen ins Private, Klimakrise, Politikverdrossenheit, Ukraine-Krieg, Zukunftsängste und eine stetig zunehmende Komplexität des Lebens – Kirchen, Kommunen und Landkreise stehen in diesen Monaten vor großen Herausforderungen.
Zum ersten Mal nach der Corona-Pandemie haben sich deshalb jetzt Landräte aus der Region im Rottenburger Bischofshaus zum Austausch mit der Diözesanleitung getroffen. Danach zog der Tübinger Landrat Joachim Walter, in Personalunion Präsident des Landkreistages Baden-Württemberg, ein positives Fazit: "Das war gut angelegte Zeit – es hat sich gelohnt!"
Im Schulterschluss und auf Augenhöhe
Bischof Dr. Gebhard Fürst zeigte in seiner Einführung auf, in welch rasend schnellem Tempo sich die Welt seit dem letzten Treffen im März 2017 weitergedreht hat: "Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich auch wegen ihres Umganges mit dem sexuellen Missbrauch in einer teilweise selbstverschuldeten tiefen Krise, der Synodale Weg mit all seinen Themen von der Machtteilung bis zur Geschlechterfrage hat zu lebhaften Diskussionen, aber auch tiefen Verwerfungen bis hinein in die Gemeinden geführt – dazu kommt ein ganzes Bündel weltweiter Krisen, die miteinander kommunizieren, und ein schwindelerregender Transformationsprozess, der viele überfordert."
Nur im Schulterschluss zwischen Kirche, Politik und Gesellschaft, im Dialog auf Augenhöhe, so der Bischof, ließen sich die großen Probleme der Zukunft meistern.
"Wenn's brennt, muss man löschen!"
Von Seiten der anwesenden Landräte bekam die Diözese viel Lob für ihren Einsatz für Geflüchtete; rund 150 Millionen Euro hat sie in den vergangenen zehn Jahren in Maßnahmen in den Herkunftsländern sowie hier bei uns investiert. Inzwischen, so Günther-Martin Pauli (Zollernalbkreis), sei man aber längst an der Grenze des Machbaren angelangt. 30 Prozent aller Asylbewerber innerhalb der EU landeten in Deutschland, da "unsere Sozialstandards eine starke Sogwirkung entwickeln". Leider fänden die Hilferufe der kommunalen Ebene in Berlin nur wenig Gehör – weshalb Pauli die Kirchen aufforderte, die Appelle an die Regierungspolitik zu verstärken: "Wenn’s brennt, muss man löschen!"
Auch der Ludwigsburger Landrat Dietmar Allgaier bedankte sich für "das sehr enge Miteinander mit den Dekanaten vor Ort" und nannte das "Türöffner-Projekt" der Caritas zur Vermittlung von Wohnraum einen "Leuchtturm". Aber inzwischen seien viele ehrenamtliche Helfer an der Basis müde geworden. Weihbischof Matthäus Karrer verwies in diesem Zusammenhang auf die laufende Ehrenamtskampagne der Diözese: „Was wir jetzt brauchen, ist der Schulterschluss aller gesellschaftlich relevanten Gruppen, um die Selbsthilfe vor Ort zu stärken."
Klimainitiative der Diözese vorgestellt
Ein eigener Themenblock war am Donnerstag dem Klimawandel und der ökologischen Krise gewidmet, die nach Überzeugung von Bischof Dr. Fürst ganz direkt dazu führt, dass immer mehr Menschen im Globalen Süden ihr Zuhause verlassen, um in Europa eine bessere Zukunft zu suchen. Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb stellte als Leiterin der Hauptabteilung Kirche und Gesellschaft die Klimainitiative der Diözese vor.
Landkreistagspräsident Walter sah abschließend "viele weitere Probleme, die wir miteinander zu bewältigen haben". Für die Zukunft wünsche er sich eine "konsequente Aufgaben- und Standort-Kritik, weniger Regulierung der kommunalen Basis – und ein konsequentes Festhalten am rationalen Diskurs und der Orientierung an der Sache". Als positives Beispiel für ein gedeihliches Miteinander führte er die Tatsache an, dass die Diözese dem Landkreis im vergangenen Jahr die ihr gehörende Villa Hügel in Tübingen mietfrei zur Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine zur Verfügung gestellt hat.