Ausstellung

Räume aufschließen für eine bewohnbare Kirche

Tabernakel, Altar, Ambo - und Laufband: Kunstschaffende wollen das Potenzial von Kirchenräumen neu ausloten. Eine Ausstellung in der Wengenkirche in Ulm zeigt die Bandbreite der Veränderungsmöglichkeiten sakraler Räume. Foto: DRS/Jerabek

Wie können Kirchen auch zukünftig Menschen Heimat bieten? In einer Ausstellung geben Kunstschaffende Impulse für die Transformation von Kirchenräumen.

„Wenn christliche Gemeinschaften und Gemeinden als kirchliche Organisationsform in der heutigen diversen Gesellschaft präsent bleiben und nicht zu einer exotischen Sekte verkümmern wollen, müssen sie sich ändern; sie müssen sich zusammen mit ihren Räumen ändern", ist der Bonner Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Albert Gerhards überzeugt. Wie das aussehen kann, davon handelt die Ausstellung „Kirche Raum Gegenwart" der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst e.V. (DG), die in St. Michael zu den Wengen zu sehen ist. Sie ist zugleich Startschuss für das „Zukunftsprojekt Wengenkirche", mit dem sich die Gemeinde auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen einstellen will.

Die Corona-Pandemie, die Energiekrise und die Krise der Kirche „beschleunigen den Wandlungsprozess, in dem wir uns als Gesellschaft und als Kirche befinden", sagte Pfarrer Dr. Michael Estler bei der Ausstellungseröffnung. Weil Unterhalt und Verwaltung von Kirchenimmobilien zunehmend als Last und Überlastung empfunden würden, gelte es, neue Blickwinkel einzunehmen und die Chance zu nutzen, „diese Räume im wahrsten Sinne des Wortes aufzuschließen“ und – einem Impuls von Bischof Dr. Gebhard Fürst folgend – die Kirche in eine „bewohnbare Kirche“ zu transformieren, damit Menschen weiterhin Sinn finden, Hoffnung schöpfen und Beheimatung erfahren könnten, sagte Estler.

Über Kirchenräume neu nachdenken

Die Ausstellung will dazu anregen, über Kirchenräume neu nachzudenken. Zum einen zeigen ausgewählte Beispiele von Transformationen der vergangenen zwölf Jahre aus Baden-Württemberg und Bayern die Bandbreite und den Variantenreichtum an Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten sakraler Gebäude. Die vorgestellten Projekte reichen von einem neuen Raumkonzept (St. Fidelis, Stuttgart) oder dem Umbau zur Jugendkirche (Rogatekirche, München-Ramersdorf), über die Umwidmung einer Kirche zum Ausstellungsraum (St. Josef, Burghausen) bis hin zur Umgestaltung in eine Wohnanlage (St. Elisabeth, Freiburg-Zähringen) oder den Einbau eines Kolumbariums (St. Johannes d. T. und St. Martin, Schwabach).

Zum anderen werden vier Projekte vorgestellt, die in naher Zukunft „aufgeschlossene Kirchenräume" ermöglichen sollen, also Kirchen, die liturgische Orte bleiben und sich gleichzeitig für Neues öffnen. Kunstschaffende und Architekten haben Ideenskizzen für neue Nutzungskonzepte erarbeitet. Mit St. Michael zu den Wengen in Ulm und St. Martin in Leutkirch sind zwei der vier beteiligten Gemeinden aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Für die Wengenkirche hat das Künstlerduo „Empfangshalle" mit Corbinian Böhm und Michael Gruber in seinem Entwurf die besondere Lage berücksichtigt. Einerseits befindet sich die Kirche in Nachbarschaft zur zentralen Fußgängerzone und zum neu gestalteten Areal „Sedelhöfe“ mit Geschäften, Gastronomie und exklusiven Wohn- und Büroräumen; andererseits ist der Platz vor der Kirche Treffpunkt für Menschen, die an anderen Stellen der Stadt unerwünscht sind.

Mehr „Sichtbarkeit" und „Öffnung nach außen"

Mit ihrem Entwurf wollen die Künstler die „Sichtbarkeit" der Kirche verbessern und eine „Öffnung nach außen" erreichen. Die Beobachtung, dass in der Umgebung Fitnessbegeisterte auf ihre Kosten kommen, hat sich das Duo zunutze gemacht und „transformiert": Ein Passivlaufband in der Kirche hinter dem Altar lädt „zu einer besonderen Art von zunächst körperlicher, aber auf einer weiteren Ebene geistiger und sozialer Fitness" ein, wie Benita Meißner, Geschäftsführerin und Kuratorin des DG Kunstraums, im Ausstellungskatalog schreibt. Beim Lauftraining werden auf einem Videobildschirm Pilgerrouten abgespielt. Die aufgewandte Körperenergie generiert Strom, der wiederum zum Erwärmen von Tee oder einer Mahlzeit für Bedürftige genutzt werden kann.

„Laufkundschaft" wird hier denkbar weit ausgelegt: Stille suchende Menschen, die praktisch zu jeder Tageszeit zufällig oder gezielt in die Kirche kommen, um vor dem Tabernakel zu beten, teilen sich das Haus Gottes mit „Fitnessbegeistern" auf virtueller „Pilgerfahrt". Für Pfarrer Estler ist das Laufband „ein Zeichen dafür, dass wir uns als Kirche und auch als Gemeinde bewegen müssen". In dem „Empfangshalle"-Entwurf angedacht ist ferner, dass die beim „Pilgern" im Fitnessstudio der Wengenkirche erzeugte Energie über eine LED-Anzeige am Kirchturm ablesbar sein könnte. Und auch für den Gemeindesaal haben die Künstler verschiedene Ideen entwickelt, wie eine Belebung und Öffnung aussehen könnte.

Erneuerung - aus welchem Geist?

Dass die Aufgabe der Erneuerung anspruchsvoll ist, Fragen aufwirft und auch mal überfordern kann, daran erinnerte die frühere Bundesministerin Annette Schavan in einem Impuls. Es müsse deutlich werden, „aus welchem Geist Erneuerung erfolgt und was uns dabei leitet". Es gelte, den Sinn für Solidarität in Zeiten der Ungewissheit zu schärfen und die Werke der Barmherzigkeit neu zu entdecken, sagte Schavan in der Wengenkirche. Diözesanbaumeister Dr. Thomas Schwieren wies in einem moderierten Gespräch auf die Herausforderung hin, vor der die Diözese und die einzelnen Gemeinden angesichts des großen Bestands an Gebäuden stehen. Weil man in Zukunft nicht alle Gebäude werde halten können, gelte es in den nächsten Jahren die Chance zu nutzen, um vieles anzuschauen, wo und wie eingespart, Unverzichtbares gestaltet und Gebäude abgegeben werden könnten. An der vom Scherer-Ensemble unter Leitung von Thomas Müller musikalisch umrahmten Ausstellungseröffnung nahmen auch der Leiter der Hauptabteilung Kirchliches Bauen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Domkapitular Dr. Klaus Krämer, und Ulms Baubürgermeister Tim von Winning teil.

In einer Kreativecke am Wengenportal können Interessierte ihre Ideen, Vorschläge und Meinungen zum Zukunftsprozess der Wengenkirche zu Papier bringen. Außer dem Laufband steht auch ein Sofa im Altarraum bereit und zeigt, wie sich die Ausstellungsmacher eine „bewohnbare Kirche" vorstellen. Die Präsentation ist bis 20. April, täglich von 10 bis 17 Uhr, zugänglich. Anschließend wird sie in Leutkirch zu sehen sein.

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