Hat sich die Stimmung bei der Polizei seit den tragischen Vorfällen in diesem Jahr geändert? Beschreiben Sie bitte die Sorgen und Ängste innerhalb der Polizei.
Es herrscht seitdem große Betroffenheit und die Anteilnahme und Trauer innerhalb der Polizei war und ist flächendeckend sehr hoch. Polizeibeamte wissen um die Gefährlichkeit ihres Berufs und das erhöhte Risiko, das Leben im schlimmsten Fall zu verlieren. Demgegenüber steht eine erstklassige Ausbildung und das absolute Vertrauen in die Kolleg:innen während eines Einsatzes. Die Polizei ist mit ihren Spezialeinheiten auf Großereignisse hervorragend vorbereitet.
Wie helfen Sie und Ihre Polizeiseelsorgekollegen, um mit solchen Tragödien klar zu kommen?
Als erstes bieten wir eine aufsuchende Seelsorge: Einfach Da-Sein. Wir sind zum Beispiel bei Todesnachrichtüberbringungen mit Polizeiführung bei den betroffenen Familien dabei und haben auch eine Kooperation mit der Psychosoziale Beratung. Für die Kolleg: innen bieten wir eine Dienstgruppenbegleitung in die standardisierte Nachbereitung an.
Wie gehen Sie persönlich mit solchen extremen Situationen um?
Mein Blick richtet sich auf die Betreuungspersonen, insbesondere auf unsere Kräfte aus der Polizeiseelsorge. Meine Aufgabe ist es, Seelsorge für die Seelsorger:innen zu leisten, ihnen Unterstützung anzubieten, immer ein offenes Ohr für sie zu haben. Und ihnen auch mal den Rücken freizuhalten, indem ich zum Beispiel Parallelveranstaltungen zur Entlastung der eingesetzten Kollegen übernehme. Ich biete auch Supervision und Nachbereitung an.
Und wer hilft Ihnen bei der Verarbeitung solcher extremen Vorfälle?
Vor allem das Kollegium und meine Familie, aber auch die Supervision und eine geistliche Begleitung.
Bevor Sie im April zum Landespolizeidekan in Baden-Württemberg ernannt wurden, waren Sie bereits seit 10 Jahren Polizeiseelsorger. Was hat sich für Sie persönlich geändert?
Der Fokus meiner Arbeit liegt weiterhin auf der Basisarbeit der Polizeiseelsorge. Natürlich haben sich aber sowohl die Erwartungshaltung seitens mir vertrauter Polizeiführer als auch mein Rollenprofil und meine eigenen Erwartungen an mich geändert. Ich habe heute einen neuen Blick für die Zusammenhänge. Ebenso hat sich mein Wirkungsfeld vergrößert. Mein Blick geht jetzt zusätzlich auf die Kolleg: innen in Baden statt bisher ausschließlich auf die in Württemberg-Süd. Auf meiner Browser-Startseite sehe ich die Polizeimeldungen für gesamt Baden-Württemberg.
Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus?
Die Vielfalt der Aufgaben ist unglaublich. Bei mir ist kein Tag wie der andere und oft ergeben sich durch Akutanfragen kurzfristige Wochenplanänderungen und veränderte Arbeitszeiten. Montag ist mein Bürotag. Dienstag und Mittwoch habe ich Seminartage als Lehrbeauftragter für Berufsethik an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg am Campus Villingen-Schwenningen. Donnerstags unterrichte ich Berufsethik an der Polizeischule - ab September wieder verstärkt. Freitags arbeite ich im Bereich der Langzeitbetreuung in der Einzelseelsorge. Dazu kommen meine regionalen Zuständigkeiten bei einer direkten, einsatzbezogenen Alarmierung durch die Koordinationsstellen der Polizei wie etwa der Psychosozialen Beratung oder dem Führungs- und Lagezentrum. Wir haben ja keine zentrale Stelle der Einsatzleitung Polizeiseelsorge, das ist nicht wie bei der Notfallseelsorge, die über eine Integrierte Leitstelle informiert wird. Danach kommt die Nachbereitung dieser Einsätze.
Was haben Sie von Ihrem Vorgänger übernommen? Was haben Sie geändert?
Ich habe kein Sekretariat, keine Geschäftsstelle mehr, und mache alles in Eigenregie. Das ging vorher nicht. Mein Vorgänger ist Pfarrer einer sehr großen Seelsorgeeinheit in der Erzdiözese Freiburg mit einem hohen Deputat an Berufsethik. Mein Ziel ist, durch schnelle Vernetzung und kürzere Kommunikationswege, aber auch durch ökumenische Begegnungen mit dem gesamten Kollegium in Baden-Württemberg dazu beizutragen, die gegenseitige Wertschätzung zu steigern, Kompetenzen zu teilen sowie Defizite zu erkennen und zu benennen.
Wie empfinden Sie als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Kirchlichen Arbeit in der Polizei in Baden-Württemberg, die Zusammenarbeit zwischen den katholischen und evangelischen Kolleg: innen?
Auf regionaler Ebene leben wir ein tägliches ökumenisches Miteinander in Selbstverständlichkeit der Wertschätzung. Konfession spielt bei unserer Arbeit eine untergeordnete Rolle. Herausfordernd bleibt seit vielen Jahren die sich verändernden Personalstrukturen in den vier Kirchen in Baden-Württemberg. Personalmangel und Personaleinsparungen zwingen uns dazu, die Tätigkeitsfelder auf ein realistisches Maß zu reduzieren, auch wenn der Bedarf vorhanden ist.
Wie sehen Ihre nächsten Montate im Amt aus? Haben Sie neue Projekte und Konzepte?
Nach den beiden Großschadenslagen brauchte ich Zeit, mich zu sortieren. Ich habe vor, mehr Antrittsbesuche bei wichtigen Entscheidungsträgern zu planen und den Austausch und die Begegnung weiter zu fördern und einfordern, also Thema Gastfreundschaft. In den eigenen Reihen stehen Personalveränderungen an. Ich habe die Vision, eine tragfähige Polizeiseelsorge in unseren Arbeitsfeldern entwickeln zu können und dabei verlässlicher Partner der Polizei zu bleiben.