Weltkirche

Starke Frauen

Guatemala 2023

Selbstbewusst tragen die Frauen ihre Forderungen vor. Bild: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Thomas Broch

Juliane Hernandez und Thomas Broch berichten über ein Projekt in der Region Champin, hoch in der Bergen der guatemaltekischen Provinz Alta Verapaz.

Die Männer bestimmen, aber die Frauen sorgen dafür, dass die Familie und das Gemeinwesen leben. Das ist einmal mehr deutlich geworden bei einem Besuch von Juliane Hernandez und Thomas Broch in Camelco in der Region Champin, hoch in der Bergen der guatemaltekischen Provinz Alta Verapaz.

Mit dabei ist auch Gertrud Frank-Wizemann, ehemalige Referentin für Mittelamerika in der Hauptabteilung Weltkirche und bestens mit den Verhältnissen in Guatemala vertraut; sie ist seit der zweiten Woche die Dritte im Bunde der kleinen Reisegruppe.

Kunstvolle Textilien

In einem Gemeinschaftshaus werden die deutschen Gäste und ihre Begleiter:innen von der Sozial-Pastoral der Diözese La Verapaz von einer Gruppe indigener Frauen der Q’ekchui‘-Maja empfangen. Diese sind Delegierte der von der Diözese geförderten Selbsthilfeorganisation von Frauen in den Dörfern der Region.

Mehr als eine Stunde Fußweg haben sie zum Teil zurückgelegt. Vor zwei Wochen hatten 34 Frauen einen Kurs in Leadership absolviert; ein großer Teil von ihnen empfängt jetzt im Wohnhaus einer der Frauen die Gäste. Auch viele Kinder sind dabei. Alle Frauen sind festlich in der Tracht ihres Volkes gekleidet. Und sie zeigen stolz die Textilien, die sie weben und besticken – wunderschöne Kunstwerke. Einen Monat lang arbeitet eine Frau an einem mittelgroßen Stück.

Klare Vorstellungen

Zunächst sind sie sehr zurückhaltend, aber dann meldet sich eine nach der anderen zu Wort – immer offener, immer selbstbewusster, mit zustimmenden Kommentaren der anderen unterstützt. Dass drei Gäste aus Deutschland zu ihnen kommen, das würdigen sie sehr; von der Regierung komme nie jemand, sagen sie. Aber die bräuchten ja auch gar nicht zu kommen. Sie versprächen viel und hielten nichts davon ein, es seien alles Lügen.

Die Frauen haben klare Vorstellungen von dem, was sie benötigen und was sie wollen: faire Preise etwa für ihre Webarbeiten, und auch für das Obst und das Gemüse, das sie auf den Markt bringen, oder auch mehr Mitbestimmung, wenn es um die Belange des Gemeinwesens geht. Auch an die anwesenden Kirchenleute stellen sie klare Forderungen: dass sie weiterhin unterstützt werden, dass ihnen Vieh zur Verfügung gestellt wird, damit sie ihre eigene Versorgung und ihren Lebensunterhalt verbessern können – und anderes mehr.

Etwas voranbringen

Es ist keine gedrückte oder angespannte Stimmung – im Gegenteil: Die Frauen sind guter Dinge, lachen viel, äußern sehr selbstbewusst und offen ihre Ansichten. Sie sind engagiert und wollen etwas voranbringen. Und sie haben politische Ziele. Es ist beeindruckend und bewegend.

Und am Ende des Treffens bewirten sie ihre Gäste großzügig – sie sind hier nicht Empfänger von Wohltaten, sondern Gastgeber. Sie mögen arm sein, aber sie sind stolz.

Gemeinschaftliche Strategie

Dieses Frauenprojekt in den abgelegenen Bergdörfern ist Teil einer breit und interdisziplinär angelegten gemeinschaftlichen Strategie der Diözese La Verapaz mit Sitz in Cubán und der diözesanen Caritas.

Deren verantwortliche Leiterin, die Ärztin Dr. Conchita Reyes, hatte schon bei beiden Institutionen gearbeitet und dabei festgestellt, dass Diözese und Caritas oft in doppelten Strukturen und Initiativen unterwegs sind; so erreichte sie es, dass daraus eine gemeinsame Sozial-Pastoral der Diözese wurde.

Immense Herausforderungen

Der Diözesanbischof Valenzuela Nuñez, der am Vormittag die deutschen Gäste empfangen hatte, ließ sich davon überzeugen, vertraut seinen Mitarbeiter:innen und unterstützt die Strategie des gemeinsamen Handelns zur Verbesserung der Lebensumstände der indigenen Bevölkerung in seiner Diözese.

Diese sind desolat. In einer ausführlichen Präsentation schilderten Conchita Reyes und ihre Kolleg:innen – ein kleines Team übrigens – die immensen Herausforderungen und die daraus erwachsenden Aufgaben.

Unterernährte Kinder

Hier können nur einige exemplarische Hinweise gegeben werden. Zu den großen Problemen gehört die Armut. 58 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, davon 41 Prozent in extremer Armut. 47 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind chronisch unterernährt, allein in der Provinz Alta Verapaz sind 1.800 Kinder akut unterernährt, also vom Hungertod bedroht.

Extrem ist die Gewalt gegen Frauen und Kinder. Zwar fehlen verlässliche statistische Daten, aber man muss davon ausgehen, dass Gewalt gegen Frauen das häufigste Verbrechen in Guatemala ist.

Gewalt und Missbrauch

Es gibt Institute, die für die Registrierung dieser Verbrechen zuständig sind, aber die sind für Frauen auf dem Land, die nicht Spanisch sprechen, praktisch unerreichbar. Anzeigen von Verbrechen gegen Frauen werden oft nicht registriert. Täglich gibt es offizielle Meldungen zu fünf verschwundenen Frauen über 18 Jahren, hinzu kommt eine Dunkelziffer unbekannter Größe.

Die – oft innerfamiliäre – Gewalt gegen Kinder und deren sexueller  Missbrauch sind immens. Allein in der Provinz Verapaz geht man von etwa 6.000 zumeist unfreiwilligen Schwangerschaften von Mädchen zwischen zehn und 19 Jahren aus, davon etwa 1.000 zwischen zehn und 14 Jahren. Bei alledem muss man mit hohen Dunkelziffern rechnen.

Zu nennen wären das Bildungsangebot und die Gesundheitsversorgung, die seit der Covid-19-Pandemie drastisch zurückgegangen sind, und vieles andere mehr. Gigantische Herausforderungen.

Politische Aufklärung

"Man soll nicht nur das Reich Gottes verkünden, sondern auch diejenigen anzeigen, die Gegner des Reiches Gottes sind", sagt Conchita Reyes. Deshalb gehört im Rahmen der diözesan-pastoralen Gesamtstrategie zu den zentralen Aufgaben der Katechisten die politische Aufklärung und die Befähigung der Menschen zur Teilhabe an demokratischen Prozessen in den unterschiedlichsten Bereichen.

Aber auch vom Netzwerk der Verteidigung von Menschenrechten ist zu sprechen, von einem Netzwerk der diözesanen Gesundheitseinrichtungen, von Programmen nachhaltiger Entwicklung und Einkommen schaffender Projekte und der Katastrophenvorsorge. Die Schulung der Frauen, deren Vertreterinnen die Gäste aus Deutschland empfangen haben, ist Teil eines umfassenden Programms zur Gendergerechtigkeit.

Bestens strukturiert

Zusammenfassend kann man die diözesan-pastorale Gesamtstrategie sowohl als bestens strukturiert und ebenso wegen ihres interdisziplinären Konzepts als höchst bedarfsgerecht bezeichnen.

Die Mitarbeiter:innen der Diözesan-Pastoral sind – bei aller fachlichen Kompetenz – keine distanzierten Schreibtischleute. Sie sind großenteils selbst Indigene und sprechen auf jeden Fall deren Sprache. Sie engagieren sich mit Herzblut für die Menschen und genießen deren Vertrauen. Das macht auch den Gästen aus Deutschland den Zugang zu diesen leicht.

Unfaire Preise

Zurück in das Bergdorf. Eine der Frauen – sie heißt Mathilde, ebenso wie ihre kleine Tochter, die mit vielen anderen Kindern das Geschehen aufmerksam begleitet und zur allgemeinen Erheiterung beiträgt – bittet die Gäste noch, ihren Garten zu besuchen, in dem sie seit 15 Jahren, gefördert durch die Caritas, Gemüse, Obst, Limonen, Gewürzkräuter und anderes mehr anbaut.

Sie versorgt damit nicht nur ihre Familie und macht sich ein Stück weit unabhängig von der Teuerung der Lebensmittel, sondern verkauft auch vieles davon auf dem Markt. Allerdings beklagt sie die unfairen Preise, die sie damit erzielt. Bis sie sich mit anderen Frauen zusammentun und gemeinsam mit ihnen eine gewisse Marktmacht für eine angemessene Bezahlung erreichen kann, ist es freilich noch ein langer Weg.

Die Familie stärken

Ihr Mann, der als Schreiner arbeitet, unterstützt ihre Aktivitäten sowohl im Frauenkomitee als auch in der Landwirtschaft. Das ist nicht selbstverständlich. Viele Männer beobachten argwöhnisch, was ihre Frauen treiben; versuchen sogar, es ihnen zu verbieten.

Die zunehmende Selbständigkeit der Frauen, verbunden mit politischen Aktivitäten und ebenso mit eigenem Einkommen, stellt manches traditionelle Rollenmuster auf den Kopf. Männer, die ihre Kritik offen äußern, werden zu den Treffen der Frauen eingeladen, um kennenzulernen, was dort wirklich geschieht. Vor allem sollen sie sehen, dass es darum geht, die Familien zu stärken, und nicht darum, Zwietracht hineinzutragen.

Einige Männer haben das verstanden und darum gebeten, selbst in der Gruppe mitarbeiten zu dürfen. Das sind wichtige Schritte auf einem langen Weg.

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