Anlässlich des ersten Jahrestags des kriegerischen Angriffs Russlands auf die Ukraine haben Bischof Dr. Gebhard Fürst und Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl einen Stuttgarter Aufruf zum Frieden verfasst. Mitunterschrieben wurde der Aufruf von Erzpriester Dimitrios Katsanos, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Baden-Württemberg (ACK). Darin verurteilen sie den Bruch des Völkerrechts durch Russland und die schweren Menschenrechtsverletzungen an der ukrainischen Bevölkerung. Explizit richten die Unterzeichner sich an Kyrill, den Patriarchen von Moskau. Dieser solle sich mit der russisch-orthodoxen Kirche dem Friedensgebet anschließen und sich auf die Seite der ukrainischen Opfer des Kriegs stellen.
Der Aufruf hat folgenden Wortlaut:
„Heute vor einem Jahr, am 24. Februar 2022, begann der Krieg in der Ukraine, mit dem Russland das Völkerrecht brach und an der ukrainischen Bevölkerung schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Dieser Tag hat das Gesicht Europas verändert. Der Angriffskrieg Russlands hat unendliches Leid über dieses Land gebracht: Mehrere zehntausend Opfer in der Zivilbevölkerung, über hunderttausend Soldaten, die bei der Verteidigung der Ukraine ums Leben kamen, über eine Million Menschen, vornehmlich Frauen und Kinder, die vor der Zerstörung ihrer Heimat fliehen mussten und auch in Baden-Württemberg Schutz gesucht haben. Dazu kommt die planvoll betriebene Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur, die das weitere Überleben in der Ukraine immer schwieriger macht.
Zahlreiche Menschen haben sich in ganz Europa mit den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine solidarisiert und ihnen in den letzten Monaten geholfen: Durch private Unterbringung von Geflüchteten, durch Hilfskonvois oder durch Spenden. Dass mitten in Europa ein Krieg tobt, ist eine Katastrophe. Um der Ohnmacht und dem Schmerz über diesen Krieg etwas entgegenzusetzen, haben die Kirchen in ganz Europa in den letzten Monaten immer wieder zum gemeinsamen Gebet aufgerufen. So auch heute. In ökumenischer Verbundenheit kommen wir heute zusammen und bringen alles, was uns bestürzt und Angst macht, vor Gott.
Die Kirchen wollen damit der Welt einen Dienst erweisen. Christinnen und Christen sind davon überzeugt, dass die Kraft des Gebets Menschen trösten und diese Welt verändern kann. Daher halten wir uns an das Wort Jesu: „Wachet und betet allezeit!“ Und wir feiern gemeinsam heute hier in Stuttgart ein ökumenisches Friedensgebet.
Die Kirchen Europas sind im Gebet verbunden und bringen gemeinsam das Unrecht, das in der Ukraine geschieht, vor Gott. Daher rufen wir heute die Kirchen dieser Stadt und dieser Region zum gemeinsamen Beten für den Frieden auf. Und wir rufen Kyrill, den Patriarchen von Moskau auf, sich mit der russisch-orthodoxen Kirche den vielen gemeinsamen Friedensgebeten anzuschließen und sich in seiner Heimat endlich auf die Seite der ukrainischen Opfer dieses Krieges zu stellen. Wir appellieren an diesem Tag an die russische Regierung, diesen Krieg sofort zu beenden.
Mit unserer Stimme wollen wir Unrecht anprangern und Leid klagen – im Namen der vielen Opfer dieses Krieges – auch auf russischer Seite. Wir halten fest, dass es Frieden ohne Gerechtigkeit in der Ukraine nicht geben kann.
Wir rufen alle Menschen guten Willens dazu auf, wachsam und nüchtern für Frieden in der Ukraine einzutreten, und ermutigen alle, mit Empathie und Besonnenheit an den Debatten über Krieg und Frieden teilzunehmen. Das schließt auch den Streit um Waffenlieferungen mit ein.
Schließlich versprechen wir, auch über diesen Tag hinaus mit den Friedensgebeten fortzufahren – besonders für die Opfer dieses Krieges.
‘Wachet und betet allezeit‘“