Hochschule

Theologisch den Dingen auf den Grund gehen

Prof. Dr. Saskia Wendel. Bild: Friedhelm Albrecht / Universität Tübingen

Fundamentaltheologin Prof. Dr. Saskia Wendel über ihren Lehrstuhl an der Universität Tübingen und ihre Passion für Theologie und Philosophie.

Prof. Dr. Saskia Wendel hat seit 2021 den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen inne. Am Freitag, 30. Juni, hält sie ihre Antrittsvorlesung. Vorab haben wir mit ihr über Grundsatz und Glauben, aktuelle Herausforderungen in der Lehre und ihre Passion für Theologie und Philosophie gesprochen.

Warum begeistert Sie die Fundamentaltheologie?

Ich spreche von meinem Fach gerne von theologischer Grundlagenwissenschaft, weil "Fundamentaltheologie" für manche Außenstehende häufig nach "fundamentalistisch" klingt, dabei ist die Aufgabe des Faches ja genau das Gegenteil. Fundamentaltheolog:innen haben zum einen die Aufgabe, die Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens, die "Hoffnung, die uns erfüllt", (1 Petr 3,15) vor sich selbst und vor anderen vernünftig zu rechtfertigen, und dies im Rückgriff auf ein diskursives Verfahren. Diese vernünftige Rechtfertigung jedoch ist nicht mehr mit der früheren "Verteidigung des Glaubens" (Apologetik) identisch; es geht nicht primär um Verteidigung des Eigenen, etwa verbunden mit der Abwehr und Exklusion des Anderen.

Ein Wechsel der Perspektive?

Es geht darum, sich von anderen religiösen Traditionen, aber auch nichtreligiösen Sinndeutungen, herausfordern, anfragen und gegebenenfalls auch in bestimmten Gehalten bereichern zu lassen – und umgekehrt. Der Diskurs ist auf Augenhöhe und in wechselseitiger Anerkennung und Respekttoleranz zu führen.

Wie gelingt das?

Hier gehört wesentlich auch die Bereitschaft hinzu, eigene Traditionen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls auch zu verändern, sie also gerade nicht im Durchgang durch kritische Einwände hindurch schlichtweg als "wahr" zu erweisen, zumal Glaube nicht identisch ist mit einem bloßen "Für-wahr-halten" von in Sätzen gegossenen Glaubenslehren, und Wahrheit im Begründungsdiskurs von Glaubensüberzeugungen auch nicht die zentrale Kategorie darstellt.

Keine bloße Rechtfertigung der theoretischen Lehre?

Gerechtfertigt wird ein Setting von Glaubenspraxen, die wiederum durch konkrete Überzeugungen geprägt sind. Daran schließt sich die andere Aufgabe des fundamentaltheologischen "core business" an: die Kritik der eigenen Traditionen und die Bereitschaft zur Transformation konkreter Gehalte, nicht nur unter der Hinsicht von Kohärenz und Konsistenz, sondern vor allem auch unter der Maßgabe der normativen Richtigkeit. An diesem Punkt hat Fundamentaltheologie eine praktisch-politische Aufgabe, denn die Gehalte sind ja von praktischer, ethischer, politischer Bedeutung.

Die Kernbotschaft wiegt also immer schwerer als die Tradition?

Was Herrschaftsstrukturen und Gewalt legitimiert, was offen ist für missbräuchliche Rezeption, was eine Praxis der Exklusion, der Diskriminierung, was Ungleichheit und Unrecht rechtfertigt und befördert, kann und darf nicht als Teil christlicher Glaubenspraxis gelten und gerechtfertigt werden. Zugleich ist es meines Erachtens unabdingbar, dasjenige, wovon man bleibend mit guten Gründen überzeugt sein kann, auch in den öffentlich-politischen Diskurs hineinzutragen und als Motivationen etwa für eigenes politisches Engagement sichtbar zu machen.

Eine große Aufgabe.

In all dem liegt für mich ein besonderer Reiz: der Reiz am spekulativen Denken, am philosophischen Diskurs, der ja auch den fundamentaltheologischen Diskurs wesentlich geprägt hat und auch weiterhin prägt, mittlerweile deutlich bereichert durch sozialwissenschaftliche Bezugnahmen, der Reiz, tatsächlich ans "Eingemachte" zu gehen, im positiven Sinn radikal, an die Wurzel gehend die Grundlagen von Religion und Glaube zu durchdenken und zu diskutieren.

Wo liegen denn Ihre (theologischen) Wurzeln?

In meiner Heimatstadt Ludwigshafen war ich sehr früh kirchlich engagiert, zunächst in der Kinder- und Jugendarbeit der evangelischen Innenstadtgemeinde, dann – nach Öffnung des Ministrant:innendienstes auch für Mädchen – parallel auch in der katholischen Pfarrgemeinde St. Ludwig und in der KJG und im BDKJ Ludwigshafen/Rhein und der Diözese Speyer. Ich bin also seit meiner Kinder- und Jugendzeit konfessionell "zweisprachig" unterwegs, und das prägt sowohl meine Spiritualität als auch meine Theologie. Aus diesem Engagement erwuchs auch der Entschluss zum Theologiestudium, neben meinem Interesse am Nach- und Durchdenken von Fragen, die eng mit den Fächern Theologie, später auch Philosophie, verbunden sind.

Wollten Sie schon immer wissenschaftlich arbeiten?

Zunächst studierte ich mit dem Ziel, Journalistin zu werden – ich stamme aus einer Journalist:innenfamilie, mein Vater und mein Bruder waren beide Redakteure bei Tageszeitungen -, doch mit der Zeit kristallisierte sich das Interesse an der Wissenschaft mehr und mehr heraus und damit auch das Berufsziel einer Universitätsprofessur mit einem Profil, das meinen beiden Passionen Theologie und Philosophie am besten entsprechen kann. Das ist im Fach Fundamentaltheologie ganz klar der Fall.

Auf welche Herausforderungen freuen Sie sich besonders am Lehrstuhl in Tübingen?

Ich bin ja nun schon fast zwei Jahre hier, daher ist alles gar nicht mehr so neu, allerdings stand mein Beginn hier noch sehr unter dem Zeichen der Corona-Pandemie. Insofern beginnt Manches gefühlt tatsächlich erst jetzt. Ich freue mich auf das Zusammenwirken aller drei hier in Tübingen ansässigen Theologien – damit auch auf eine mögliche interreligiöse Ausrichtung – auf dem zukünftigen "Campus der Theologien". Ich freue mich auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kolleg:innen nicht-theologischer Fächer etwa im SFB "Andere Ästhetik" (siehe Kasten unten), an dem ich in den nächsten Jahren mitwirke. Ich freue mich darauf, an der weiteren Profilierung der Tübinger Theologien mitzuarbeiten, wiewohl dies gerade in der prekären Situation, in der sich die Theologie als Wissenschaft mehr und mehr befindet, eine große Herausforderung darstellt.

Mit welchen Problemen kämpfen Sie da?

Die Studierendenzahlen sinken, die Akzeptanz des Faches auch, und die aktuelle Situation der Katholischen Kirche (Stichwort Reformunfähigkeit) macht es der Katholischen Theologie derzeit auch nicht gerade einfach, im Gegenteil hängt uns da Manches wie eine Bleikugel am Bein. Aber auch diese Herausforderung gilt es anzunehmen.

Eine dieser Herausforderungen und einer Ihrer Schwerpunkte ist die Geschlechtergerechtigkeit.

Der Aspekt des "Frauseins" schlägt sich nicht in der Denkform nieder – Frauen denken nicht anders als Männer, und ich halte nichts von Theorien, die eine wesentliche Differenz zwischen Frauen und Männern festschreiben wollen. Doch auf der Sozialisationsebene und der Prägung durch gesellschaftlich wirkmächtige Diskurse – also das, was man "Gender" nennt, beeinflussen natürlich konkrete Erfahrungen das Leben und Denken, und diese Erfahrungen fließen in meine Theologie ganz klar ein, beziehungsweise bestimmen mein theologisches Interesse und auch Engagement. Nicht von ungefähr bin ich seit Langem auch im Feld der Feministischen Theologien unterwegs und gehört mittlerweile das Themenfeld "Gender" zu meinen zentralen Schwerpunkten, sowohl in meinem theologischen Tätigsein als auch in meinem politischen und kirchlichen Engagement.

In ihrem neuesten Buch "Die 'Leib Christi'-Metapher" schreiben Sie, am Bild der Kirche als Leib Christi scheiden sich die Geister.

Mein jüngstes Buch zur Kritik und Rekonstruktion der "Leib Christi"-Metapher ist aus dezidiert gendertheoretischer Perspektive geschrieben und vom Interesse geprägt, Diskurse zur "Leib Christi"-Metapher kritisch durchzuarbeiten, die zu kirchlichen Strukturen nebst entsprechender Praxis beigetragen haben, die nicht geschlechtergerecht sind, zugleich aber nach Wegen zu einer Rekonstruktion der "Leib Christi"-Metapher zu suchen, die nicht mehr als Legitimation für Strukturen eingesetzt werden kann, die Geschlechtergerechtigkeit entgegenstehen.

Sie halten am Freitag Ihre Antrittsvorlesung. Was wird Ihr Thema sein?

Ich werde in meiner Antrittsvorlesung über die Frage sprechen, welche Theologie Zukunft – das heißt Relevanz und Akzeptanz – besitzt. Dabei werde ich – unter anderem in Bezug auf den Philosophen Ernst Bloch und den evangelischen Theologen Jürgen Moltmann, die ja beide in Tübingen gelehrt haben – die These entfalten, dass dies nur eine Theologie sein kann, in deren Zentrum die Frage nach der Hoffnung für das zutiefst verletzliche Leben steht, sowie eine Theologie, die sich im Blick auf diesen Fokus an konkreten wissenschaftlichen Grundhaltungen orientiert beziehungsweise diese zu realisieren sucht wie etwa epistemische Bescheidenheit, intellektuelle Redlichkeit, Freimut, selbstkritisches Redigieren der eigenen Traditionen und interreligiöse Offenheit.

Damit schließt sich der Kreis.

Das Thema ist meiner Ansicht nach angesichts der derzeitigen immer prekärer werdenden Situation der Theologien hochaktuell, und diese Situation erfordert eine inhaltliche Begründung der Relevanz und Akzeptanz der Theologien und keine, die ausschließlich auf funktionale Argumente (Amtsausbildung, Konkordat usw.) beziehungsweise auf die bloße Verteidigung des derzeitigen Status Quo setzt.

Wie gefällt Ihnen denn das Leben in Tübingen?

An Tübingen gefällt mir natürlich die wunderschöne Altstadt, die Lage am Neckar. Es ist auch ein ganz eigenes Gefühl, an einem Ort mit solch einer reichen kulturellen und intellektuellen Tradition zu sein. Gut finde ich auch die durchgeführten kommunalpolitischen Maßnahmen und Angebote im Feld von Ökologie, öffentlichem Nahverkehr und so weiter, auch entsprechendes zivilgesellschaftliches Engagement.

Und die Uni?

Mir gefällt der Standort der Theologien, das "Theologicum", genauer gesagt: die kurzen Wege, alles unter einem Dach, demnächst dann auch noch mit dem Neubau, Cafeteria im Haus. Überhaupt finde ich es wunderbar, alles zu Fuß erreichen zu können, ich wohne hier zwar nicht in der Altstadt, aber in Innenstadtnähe. Mir gefällt auch die Möglichkeit, sich unter anderem auch aufgrund der kurzen Wege auch "niedrigschwellig" mit Kolleg:innen treffen und austauschen zu können.

Und noch ein Kreis schließt sich: Sie kehren ins Ländle zurück.

Mein universitäres Leben begann im Badischen in Freiburg, und ich werde es im Schwäbischen in Tübingen beschließen. Tübingen ist – man möge es mir nicht übelnehmen – als Stadt natürlich Provinz, aber mit hoher Lebensqualität, und die Universität ist wissenschaftliche Exzellenz, an ihr zu forschen und zu lehren macht enorm Freude. Und nicht zuletzt macht es auch Freude, hier an einer Universität, die in der Diözese Rottenburg-Stuttgart liegt, tätig zu sein – ein klarer und wohltuender Unterschied zu manch anderen Diözesen!

Die Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Saskia Wendel beginnt am Freitag, 30. Juni, um 17 Uhr in der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Bischof Dr. Gebhard Fürst wird der Vorlesung beiwohnen.

Zur Person

Prof. Dr. Saskia Wendel

Prof. Dr. Saskia Wendel wurde im "Babyboomer"-Jahr 1964 in Ludwigshafen am Rhein geboren und wuchs dort auf. Von 1984 bis 1991 studierte sie Kath. Theologie, Philosophie und Germanistik im Diplom- sowie im Staatsexamensstudiengang in Freiburg i. Br. und Fribourg/Schweiz und promovierte 1996 in Philosophie in Freiburg mit einer Arbeit über die Ethik des französischen Philosophen J.F. Lyotard.

Nach ihrer Promotion war sie fast sieben Jahre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster tätig, zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Philosophische Grundfragen der Theologie, dann nach der Habilitation als Hochschuldozentin. Sie habilitierte 2001 mit einer Habilitationsschrift über den Subjektbegriff in Konzeptionen Deutscher Mystik. Ihre erste Professur trat sie 2003 an der Theologischen Fakultät der Universität Tilburg in den Niederlanden an (für Systematische Philosophie und später dann auch noch zusätzlich für Fundamentaltheologie).

Nach einem einjährigen Aufenthalt als Fellow am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt übernahm Saskia Wendel 2008 die Professur für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Universität zu Köln. Dort war sie unter anderem auch stellvertretende Direktorin und Leiterin einer Klasse der a.r.t.e.s. – Graduiertenschule der Philosophischen Fakultät. Außerdem war sie – neben ihrer universitären Tätigkeit – von 2009 bis 2013 Vorsitzende des katholischen Theologinnenforums "AGENDA".

Im Oktober 2021 nahm Saskia Wendel den Ruf auf den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie in Tübingen an. Neben ihrer universitären Tätigkeit ist sie Mitglied im Fachkollegium "Theologie" der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind:

  • philosophische und theologische Anthropologie, hier vor allem Theorien der Verkörperung, Subjekt- Freiheits- und Bewusstseinstheorien, Theorien der Intersektionalität, Gender-Theorien
  • Religiöse Epistemologie und rationale Verantwortung christlicher Selbst- und Weltdeutung; Verhältnisbestimmung von Vernunft, Glaube und Offenbarung; Wissenschaftlichkeit der Theologie
  • Theologie der Religionen
  • Philosophische und theologische Gotteslehre
  • Theologien der Mystik
  • Theologieverständnis im Kontext politischer und befreiender Theologien; Religion, Theologie und Gender

Das Projekt "Prekäres Erscheinen" im Sonderforschungsbereich "Andere Ästhetik"

Gemeinsam mit Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter (Germanistische Mediävistik) leitet Prof. Dr. Saskia Wendel an der Universität Tübingen ein Teilprojekt zum Themenfeld der mittelalterlichen Mystik im Sonderforschungsbereich "Andere Ästhetik": "Im Projekt wollen wir anhand körper- und objektbezogener Äußerungs- und Darstellungsformen göttlichen Erscheinens in der christlichen Mystik den ästhetischen Implikationen der Vermittlung von Absolutem und Endlichem auf die Spur kommen: Wieviel Materialisation bedarf bzw. verträgt göttliches Erscheinen beziehungsweise dessen mediale Vermittlung? Hier spielen vor allem Körpermetaphoriken eine zentrale Rolle, die Frage, inwiefern Personen und die durch sie vollzogenen Handlungen zu einer Vermittlungsfigur göttlichen Erscheinens werden, dies aber eben in der Prekarität verkörperter Existenz. Hinzu tritt die Frage nach der Bedeutung von Artefakten (Büchern, Handschriften, liturgische Gegenstände usw.) in diesem Zusammenhang. Dies geschieht exemplarisch durch eine sprach- und korpusvergleichende Analyse von Werken zweier bedeutender mittelalterlicher Mystikerinnen: des Mechthild von Magdeburg zugeschriebenen Werks Das fließende Licht der Gottheit und der Exercitia spiritualia sowie des Legatus divinae pietatis Gertruds von Helfta."

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