Sie bieten eine Gruppe für Frauen aus der Ukraine an – was passiert hier?
Hintergrund ist ein von der Caritas Bodensee-Oberschaben konzipiertes Projekt, indem es um psychologische Flankierung und um das rechtzeitige Erkennen von Traumafolgestörungen geht. Das Angebot besteht aus zwei gleichrangigen Teilen. Der eine ist ein offenes Treffen immer donnerstags zwischen 15 und etwa 17.30 Uhr im Integrationszentrum in der Liebfrauenstraße 25 in Weingarten. Der zweite Teil findet immer montags, zwischen 15 Uhr und etwa 17.30 Uhr in einem Raum im „14 Nothelfer“ statt. Die Zusammenarbeit mit den Diensten der Caritas ist dabei eine wichtige Unterstützung. So können kurze Wege zu den Integrationsfachkräften aber auch zu der psychologischen Beratungsstelle hergestellt werden.
Wie gestalten Sie die Nachmittage?
Am Donnerstag sitzt die Gruppe am großen Tisch zusammen. Jede Frau erzählt, wie es ihr gerade geht, was sie beschäftigt, bedrückt, vielleicht auch freut. Da spielt dann das gegenseitige Zuhören und Anteilnehmen eine wichtige Rolle. Es werden aber auch Fragen gestellt zu durchaus auch ganz alltäglichen Dingen: Wohin könnte man mit den Kindern zum Grillen gehen? Wo kopiere ich Arbeitsblätter zum Sprachelernen? Gibt es irgendwo Yogastunden, an denen ich teilnehmen könnte?
Die Stunden am Montag sind Einzelgesprächen vorbehalten, die manchmal zehn Minuten gehen, manchmal auch eine halbe Stunde. Da kann vertieft werden, was in der Gruppe anklang, aber entweder zu privat ist oder auch zu komplex und zu schwer für diesen Rahmen. Da sprechen wir über traumatische Erfahrungen. Zusammen mit einer Übersetzerin schaffe ich Raum für Emotionen und ich unterstütze die Menschen dabei, ihre Ressourcen zu spüren und auch, banal gesagt, darin, in der Spur zu bleiben, im Jetzt und hier aktiv zu sein und nicht in Angst und Schrecken abzurutschen.
Welche Themen kommen da auf?
Sehr bedrückende. Es sind zum Beispiel Geflüchtete aus Mariupol da, aus Vororten von Kiew. Eine Dame wird im Herbst 80 Jahre alt. Sie hatte einmal ein schönes Leben. Jetzt ist alles zerstört. Ihr Mann, ihr Sohn und ihr Enkel sind tot. Sie ist ganz allein. Oft ist die Angst um Angehörige geradezu lähmend, die in der Ukraine geblieben sind oder in einem jetzt russisch besetzten Gebiet leben müssen. Die Angst um Männer, die an der Front kämpfen, sorgt für schlaflose Nächte. Und oft geht es um irrationale Schuldgefühle, die beispielsweise eine junge Frau beschäftigen: „Sind wir Menschen in Mariupol schlechte Menschen, weil uns diese Katastrophe passiert?“
Eine andere sagt, sie fühle sich schlecht, weil sie in Deutschland in Sicherheit sei, aber ihre Schwester nicht. Es gibt Menschen, die haben Schreckliches mitansehen müssen. Viele Frauen sind extrem besorgt, wie ihre Kinder mit allem fertig werden und ob sie es schaffen werden, in Deutschland Fuß zu fassen, Freunde zu finden, in der Schule klar zu kommen – zunächst ja ohne Sprachkenntnisse.
Wie können Sie da helfen?
Man muss, um helfen zu können, wissen, dass Menschen eine ungeheure Überlebenskraft besitzen, dass tief in einem jeden die Fähigkeit ist „Trotzdem Ja zum Leben zu sagen“, wie der Psychiater und KZ-Überlebende Viktor Frankl es ausgedrückt hat. Heute weiß man aus vielen Studien, die unter anderem an der Uni Konstanz vom Kompetenzzentrum Psychotraumatologie erstellt wurden, wie wichtig gerade die Phase unmittelbar oder kurz nach traumatisierenden Ereignissen ist. Also die Phase, bevor schwere Traumafolgestörungen wie das Posttraumatische Belastungssyndrom zu Tage treten. Mit Einfühlsamkeit, aber auch Fachkenntnissen zur Wirkung von traumatischen Ereignissen kann man entscheidend dabei helfen, dass Menschen innere Sicherheit zurückgewinnen und sich wieder handlungsfähiger fühlen. Mein Ziel ist es, zu verstehen, zu stabilisieren und zu den vereinbarten Zeiten verlässlich da zu sein. Ich bestärke die Menschen darin, aktiv zu sein und Dinge zu tun, bei denen sie sich zumindest für eine Zeit besser fühlen. Spazierengehen. In einem Café sitzen, Stricken, Gymnastik – so etwas kann das sein. Und natürlich in die Donnerstag-Gruppe kommen. Einige verbieten sich alles, was schön ist. Sie haben das Gefühl, es darf ihnen nicht gut gehen, wenn es ihrem Land so entsetzlich schlecht geht. Jede eigene Aktivität stärkt aber. Das Angebot ist eingebettet im Integrationsnetzwerk der Caritas, was den Menschen niederschwellige Zugänge zu weiteren Angeboten ermöglicht. Somit übernehmen sie frühzeitig Eigenverantwortung.
Ist die Gruppe auch für Ukrainerinnen von außerhalb offen?
Ja, das ist sie. Erst vor kurzem hat eine Frau, die von Anfang an zur Gruppe kommt, beim Einkaufen eine 75-jährige Ukrainerin mit ihrer schwer behinderten Tochter getroffen. Mutter und Tochter sind in Ravensburg untergekommen, aber sehr einsam. Sie kamen am Donnerstag dazu – und beide weinten, weil es ihnen so gut tat, über alles zu sprechen – mit Menschen, die ihre Sprache verstehen. Es kommen auch Frauen die in Weingarten privat untergekommen sind und für die das Angebot ein wichtiger Treffpunkt ist.
Findet dort manchmal auch noch mehr als Sprechen statt?
Das ist sogar ein wichtiger Aspekt der ganzen Sache. Einmal hat das Hoftheater in Baienfurt eingeladen – das war eine schöne Gelegenheit, einen neuen Ort kennenzulernen. Daraus ergab sich dann auch eine Einladung in ein Theaterstück mit viel Musik, zu dem Frauen und auch Männer und Kinder mitkamen. Einmal wurde im Integrationszentrum ukrainisch gekocht und dann auch für die dort angestellten Sozialarbeiterinnen aufgetafelt. Und vor zwei Wochen war die Atemtherapeutin Sabine Batzill da. Sie leitete an, wie man sich bei hohem Stress durch richtiges Atmen beruhigen kann. Viele der Frauen atmen sehr flach – ein typisches psychosomatisches Symptom bei hoher seelischer Anspannung.
Welche Qualifikation bringen Sie mit?
Ich habe lange als Journalistin gearbeitet, elf Jahre davon, bis 2019, beim Magazin stern in Hamburg. Mein Themengebiet war vor allem Psychologie. Ich bin vielen Menschen nach katastrophalen Ereignissen begegnet – und habe gesehen, wie ungeheuer wichtig die psychologische Flankierung ist. Parallel zu meiner journalistischen Arbeit habe ich umfangreiche Ausbildungen in Gesprächstherapie, Krisenintervention und Traumatherapie absolviert und bereits in einem Projekt in Hamburg mit Geflüchteten aus Syrien aber auch in einer Privatpraxis gearbeitet. Bei Bedarf vermittle ich schwer betroffene Personen an das Zentrum für Psychiatrie, an Ärzte oder Kinderpsychologen.