Katholikentag

Und weiter?

Zukuntsfähige Seelsorgeeinheiten: Was bleibt vom Kirchentwicklungsprozess in der Diözese Rottenburg-Stuttgart? Darum ging's beim Dialog-Forum.

In der Diözese Rottenburg-Stuttgart fand seit 2015 unter dem Motto „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten gestalten“ (KiamO) ein Kirchenentwicklungsprozess statt. Dabei hatte die Diözesanleitung die 273 Seelsorgeeinheiten damit beauftragt, sich zukunftsfähig aufzustellen und neben der „Kirche am Ort“ auch „Kirchen an anderen Orten“ in den Blick zu nehmen und zu gestalten. Dokumentiert wurde dieser Prozess auf Ebene der Seelsorgeeinheiten in Form eines „Abschlussberichts zum Entwicklungsplan Pastoral“. Die einzelnen Berichte der Seelsorgeeinheiten wurden im Anschluss vom Institut für Angewandte Forschung (IAF) der Katholischen Hochschule Freiburg wissenschaftlich ausgewertet.

Doch was kam raus? Hat es sich gelohnt? Welche Ent­wicklungsfelder zeigen sich, welche Wachstums­felder sind entstanden? Und vor allem wie geht es weiter? In dem Dialog-Forum „Fünf Jahre diözesaner Entwicklungsprozess – und weiter?“ standen die Autorinnen und Autoren der Auswertungsstudie, aber auch die Verantwortlichen für die diözesane Kirchenent­wicklung Interessierten Rede und Antwort. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Johannes Reinmüller, Pfarrer auf der Projektstelle Innovatives Handeln und Neue Aufbrüche in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Für Diözesanratssprecher Dr. Johannes Warmbrunn steht fest: „Wir brauchen Kirchenentwicklung. Sie ist der Motor der Kirche und sie soll uns helfen, den Kernauftrag der Kirche wieder wahrzunehmen: nämlich von Gott zu reden.“ Die Rede von Gott sei verlorengegangen. Der Auftrag in der Kirche sei nicht, schöne Strukturen und schöne Projekte zu machen. Vielmehr sei der Auftrag, in erster Linie den Glauben zu feiern und zu verkünden.

Des Weiteren gehe es um den karitativen  Auftrag sowie darum Gemeinschaft zu bilden. Die beiden letzten funktionieren immer ganz gut, so Warmbrunn, die beiden ersten – Feiern und Verkünden des Glaubens – so gut wie gar nicht. Warmbrunn zitierte Paracelsus, dessen Botschaften sich auch auf die Kirche übertragen ließen. Erstens, allein die Dosis mache das Gift. Man dürfe nicht zu viel aber auch nicht zu wenig tun und zweitens, wenn man Therapie mache, dann müsse man den Kern des Problems erreichen. Man dürfe nicht am Kern des Problems vorbeiarbeiten. Und genau dies geschehe in der Kirche, so Warmbrunn. Es reiche nicht an den Strukturen zu arbeiten, vielmehr müsse man eine Vorstellung von Gott entwickeln, „die zu uns passt und die gut und groß genug ist.“

Mit dem Projekt der Kirchenentwicklung, das im Diözesanrat aufgesetzt wurde, sei man ein Wagnis eingegangen. Auch wenn nicht der große Erfolg erzielt worden sei, so sei Vieles gelungen. Deshalb habe sich der Prozess gelohnt. Dass Kirchenleitung und Kirchenvolk zu diesen Kernanliegen wieder ins Gespräch kommen, und gemeinsam um Ziele ringen, sei wichtig und solle fortgesetzt werden.

Zutrauen in die frohe Botschaft und das Erleben von Glaube

Veronika Rais-Wehrstein, Diözesanrätin und Präsidiumsmitglied, ergänzte, sie habe viel Gutes in der Kirche erlebt. Doch müsse man nach vorne schauen. Die Studie habe gezeigt, was fehle und was es brauche, damit die Kirche weiterleben könne - wieder mehr Zutrauen in die frohe Botschaft und das Erleben von Glaube. Glaube brauche ein Gesicht, so Rais-Wehrstein. Wichtig sei nicht das große Reden von Gott, sondern das Erleben - das Erfahren nicht nur in Worten sondern in Taten.

„Wir müssen bei der Haltung der Menschen ansetzen, unsere Räume verlassen, hin zu den Menschen gehen und fragen, wie wir ihnen dienen können.“ Es brauche Kümmerinnen und Kümmerer, die erkennen, wo sich was entwickelt. Und es brauche einen Bischof, der Reformen zulässt.

Dr. Dr. Michael Ebertz, Professor für Sozialpolitik, freie Wohlfahrtspflege und kirchliche Sozialarbeit an der katholischen Hochschule Freiburg, der den Kirchenentwicklungsprozess zusammen mit Janka Stürner-Höld wissenschaftlich ausgewertet hatte, erklärte, es gehöre zum Habitus wissenschaftlicher Arbeit, dass man den Auftraggebenden nicht nach dem Munde rede, sonst komme keine Entwicklung zu Stande, „dann bleibt es so, wie es ist“. Deshalb sei es wichtig, dass man methodisch, sauber, nachvollziehbar zu Ergebnissen komme und den Auftraggebern präsentiere.

„Wir gingen fair und schonungslos vor. Und haben die Finger oft in Wunden gelegt“, so Ebertz. Wenn Kirche nur Karussell fahre, anstatt nach vorne zu gehen, dann habe dies etwas Tragisches. Es brauche den Blick von außen, von Wissenschaftlern, Experten usw., um zu sehen, wo die Kirche stehe, wie sie wahrgenommen werde. Dieser fremde Blick müsse eine stärkere Gewichtung bekommen und verbindlicher gehört werden.

Blick auf den eigenen Kirchturm ist sehr festgefahren

Janka Stürner-Höld, Sozialarbeiterin, Sozialpädagogin, Akademische Mitarbeiterin und Co-Autorin der Studie, hatte die Aufgabe, die Ergebnisse der Studie in der Fläche, in den Seelsorgeeinheiten vorzustellen und für die Veränderungsprozesse zu werben. Ihre Beobachtung dabei war, es gab großen Veränderungswillen bei Wenigen und keinen Veränderungswillen bei Vielen.

Sie wies nochmals auf die Besonderheit des Entwicklungsprozesses hin. So gab es keine vorbestimmten Ziele, die es zu erreichen galt, vielmehr hatten die pastoralen Orte die Freiheit, ihre Ziele selbst zu bestimmen. An vielen Orten führte jedoch genau diese Freiheit zu Schwierigkeiten. Eigenständig Zielsetzungen zu formulieren, stellte viele Orte vor eine enorme Herausforderung. Hilflosigkeit, Überforderung und letztlich Enttäuschung waren die Folge.

Festzustellen sei, so Stürner-Höld, dass der Prozess sehr viel wollte, aber der Blick auf den eigenen Kirchturm, in die eigenen Kirchenmauern doch sehr festgefahren sei. Den Blick für neue Orte zu öffnen, tatsächlich in die Veränderung zu gehen, falle offensichtlich unheimlich schwer. Doch gab es auch Felder, in denen der Prozess etwas vorangebracht habe und wo Entwicklung möglich sei. Wo Ressourcen mobilisiert und Synergieeffekte geschaffen werden konnten.

Fokussierung auf Zusammenarbeit in Seelsorgeeinheiten und diakonische Projekte

Ein solches Wachstumsfeld sei die Zusammenarbeit in den Seelsorgeeinheiten. Ein weiteres Feld seien Diakonische Projekte, durch Zusammenschlüsse und Vernetzung könne hier einiges bewegt werden. Insgesamt sei zu sagen, so Stürner-Höld, “Es tut sich etwas. Es gibt Oasen, wo etwas aufblühen kann. Offensichtlich muss man eben den richtigen Samen finden.“

Man wolle aus den Ergebnissen des Prozesses lernen und habe sich deshalb auf allen Ebenen mit der Studie auseinandergesetzt, erklärte Dr. Christiane Bundschuh-Schramm, Theologin und in der Diözese Rottenburg-Stuttgart verantwortlich für Kirchenentwicklung und somit auch für den Diözesanen Entwicklungsprozess „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten gestalten“.  Mit dem Diözesanrat habe man sich darauf geeinigt, dass es eine Fokussierung auf die Wachstumsfelder geben solle, wo Entwicklung möglich sei. So solle sich Kirche im Sinne von Diakonie und Vernetzung über den eigenen Tellerrand hinausbegeben, sich mit Partnerinnen und Partnern vernetzen und im sozialen Raum arbeiten.

Ein weiteres Thema setze den einzelnen Menschen und seinen Glauben in den Mittelpunkt. Zudem soll es um die zeitgemäße Engagement- und Ehrenamtskultur gehen, bei der der Mensch im Zentrum stehe. „Hier heißt es genau hinschauen, wo gelingt uns der Kulturwandel, welche Schritte sind zu tun. Dabei wird ganz entscheidend sein, wie verbindlich wir mit diesen Schwerpunkten werden“, so Bundschuh-Schramm.

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