Corona

"Unerträglich aggressives Verhalten"

Bild: Heinz Heiss

Thomas Krieg, Leiter der katholischen Krankenhausseelsorge in Stuttgart, erlebt in der vierten Corona-Welle mehr Aggression in den Kliniken.

Jeden Tag kommen neue Covid-Patienten auch auf den Intensivstationen an. Die meisten von ihnen sind ungeimpft. Thomas Krieg, Leiter der katholischen Krankenhausseelsorge, berichtet von seiner Arbeit und den aktuellen Herausforderungen: „Triage ist ein Thema, mit dem wir uns im Ethikkonzil beschäftigen, aber sie muss Gott sei Dank noch nicht umgesetzt werden.“

Als Krankenhausseelsorger ist Thomas Krieg für alle da: ob geimpft oder ungeimpft, ob evangelisch oder katholisch, ob jung oder alt, ob gläubig oder nicht. Seit Anfang 2020 leitet er die Krankenhausseelsorge in Stuttgart. Er hat die Pandemie in den Kliniken von Beginn an miterlebt. „Am Anfang war Schutzkleidung knapp und wir wussten wenig darüber, wie sich das Virus verbreitet“, erinnert sich der Pfarrer. „Inzwischen haben wir viel dazu gelernt und können besser damit umgehen. So können wir jetzt wieder direkt und besser bei den Erkrankten sein.“ Auch seine Impfung habe ihm wieder mehr Sicherheit gegeben.

Kein Miteinander, nur Forderungen

Was sich deutlich verändert habe, sei die Stimmung: „Wir erleben bei einigen Ungeimpften ein unerträgliches aggressives Verhalten und eine enorme Erwartungshaltung. Es gibt kein Miteinander, sondern nur Forderungen. Das stelle ich immer wieder mit Erschrecken fest.“

Diese Einzelnen machen ihm die Arbeit als Seelsorger schwer. „Da ist man schon mal fassungslos und muss lernen mit der eigenen Gefühlslage und der eigenen Wut umzugehen. Das geht nicht nur mir oder meinen Kolleginnen so, sondern natürlich auch dem medizinischen Personal.“

Er erlebt Covid-Erkrankte, die beatmet auf der Intensivstation liegen und die Krankheit noch immer leugnen. Es gebe aber auch diejenigen, die einsichtig seien und sagen: „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich doch impfen lassen.“

 

Da ist man schon mal fassungslos und muss lernen,
mit der eigenen Gefühlslage und der eigenen Wut umzugehen.

Thomas Krieg

 

In den Kliniken werden die Besuchszeiten wieder mehr eingeschränkt. „Bei Sterbenden versuchen wir, sie mit den Angehörigen zu verbinden, so dass sie – sofern das noch möglich ist – über Abstand und Glasfenster miteinander in Kontakt kommen können.“ Das größte Problem sei die Personalnot. Auch da habe die Arbeit der Seelsorger zugenommen: „Wir sind für die Menschen da, damit sie sich aussprechen können.“

Noch sei in den Stuttgarter Kliniken keine Triage, also keine Behandlung priorisiert nach Überlebenschancen, notwendig. „Wir beschäftigen uns im Ethikkonzil damit. Wenn es nicht mehr anders geht, wenn die Kliniken voll sind, müssen solche Entscheidungen her“, ist sich Thomas Krieg sicher. „Noch ist es nicht so weit und ich hoffe, dass es nicht so weit kommt, aber man kann es natürlich nicht vorhersehen. Vor acht Wochen wussten wir auch nicht, dass sich die Lage noch einmal so extrem zuspitzt.“

Aktuell unterstützen sich die Kliniken in Deutschland gegenseitig. Dank des Verteilsystems geht es noch nicht darum, wer überleben darf und wer nicht. „Momentan versucht man jeden Patienten zu retten“, berichtet Thomas Krieg.

Vor Gott sind alle gleich

Als Theologe weist er darauf hin, dass vor Gott alle gleich seien und dass es für Gott keine Rolle spiele, ob der Mensch geimpft war oder nicht. „Alle sind bei Gott gleich willkommen. Da bin ich mir sicher. Und trotzdem haben wir alle eine Verantwortung gegenüber uns und unseren Mitmenschen.“

Thomas Krieg berichtet, dass er bei diesem inneren Konflikt über seinen eigenen Schatten springen müsse. Zum Beispiel dann, wenn er daran denkt, dass durch eine höhere Impfquote viele Aufnahmen in der Intensivstation hätten verhindert werden können.

Mit dem Wissen, dass Gott für alle gleich da ist, besucht Thomas Krieg weiterhin alle Covid-Patienten und ist gleichermaßen für sie da.

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