Klinikseelsorge

Verwundbarkeit und Macht

Die Referentin steht am Pult vor einer Leinwand und gestikuliert.

Professorin Dr. Hildegund Keul spricht in Heiligkreuztal über Vulnerabilität und Rituale - Foto; DRS/Waggershauser

Klinikseelsorgende der Diözese tauschen sich bei ihrer Jahrestagung in Heiligkreuztal über Vulnerabilität bei sich und anderen aus.

Sie sind da, trösten, hören zu oder halten manchmal auch nur schweigend die Hand. Seelsorgende in Kliniken suchen Menschen auf, die eine körperliche Verletzung oder Beeinträchtigung haben. In dieser Situation ist häufig auch das Innere, die Seele, besonders verwundbar. Fachleute sprechen von Vulnerabilität. Verwundbarkeit und Verletzungen gibt es aber ebenso bei Angehörigen, bei Ärzten und Pflegekräften sowie bei den Seelsorgenden selbst. Zu „Machtwirkung und Gefährdung durch Vulnerabilität“ tauschten sich die Seelsorgenden im Krankenhaus und Gesundheitswesen auf ihrer Jahrestagung diese Woche in Heiligkreuztal aus.

Wie bleiben wir in unserer Verwundbarkeit berührbar und können menschlich handeln? An dieser Frage orientierte sich Professorin Dr. Hildegund Keul in ihren Vorträgen und Impulsen. Nicht nur bei einem plötzlichen Notfall bestehe die Gefahr, dass aus der erhöhten Verwundbarkeit Gewaltsamkeit wächst, warnte die Würzburger Dozentin für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft. Da sei man schnell bereit, andere zu verletzen, um sich selbst zu schützen. „Menschlich bleiben und handeln, damit die Machtwirkung von Vulnerabilität in eine kreative Richtung geht“, formuliert Keul das christliche Anliegen.

Auch Natur und Demokratie sind vulnerabel

Die zunehmende Erdbevölkerung brachte Keul vor Jahren dazu, sich mit Vulnerabilität von Menschen, aber auch der Verletzlichkeit von Landschaften im Zeichen des Klimawandels oder der Verwundbarkeit der Demokratie zu beschäftigen. „In der Theologie geht es ebenfalls um Verwundbarkeit“, stellte die Professorin fest. „Wenn Gott Mensch wird, lässt Gott sich auf die menschliche Verwundbarkeit ein.“ Und gerade in der Ostererfahrung der jungen Kirche zeige sich, wie aus zerbrochenen Hoffnungen in Gemeinschaft Neues wachsen kann. In die konkrete Situation passende Rituale vom Kerzenanzünden bis zum Sterbesegen könnten dabei heilend wirken.

Was nehmen Verantwortliche und Teilnehmende von der Tagung mit?

Gerade wenn wir uns schwach fühlen, suchen wir nach Resilienz, nach etwas, an dem wir uns festhalten können. Stirbt beispielsweise ein Kind und ich trete als Seelsorger den Eltern gegenüber, da suche ich selber nach einem Geländer, an dem ich mich festhalten kann, weil ich selber schwach bin. Ich habe das Gefühl mich retten zu müssen, weil ich die anderen retten muss. Diese Tagung sagt mir: Loslassen. Du wirst ein natürliche Dasein haben, das den Menschen hilft. Loslassen heißt: Nicht wissen wie, es nicht in der Hand haben.

Pfarrer Dieter Sasser
Seelsorger im St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg

Mir ist bei der Tagung aufgefallen, dass wir mit sehr vielen vulnerablen Gruppen zu tun haben. Das sind nicht nur die Patienten, sondern auch Angehörige und die Mitarbeiter, die im Krankenhaus arbeiten. Sie sind sehr verletzlich im Bezug auf das, wie mit ihnen umgegangen wird. Mir ist auch deutlich geworden, wie sehr meine eigenen vulnerablen Anteile eine Rolle spielen in der Krankenhausseelsorge. Da kann eine Solidarität entstehen zwischen Patienten und Seelsorgenden - dadurch, dass beide offen sind und sich zeigen mit ihren vulnerablen Seiten.

Pastoralreferentin Ursula Kaiser
Klinikseelsorgerin im Marienhospital Stuttgart

Mit welcher Haltung gehen wir zu diesen Menschen hin, für die wir versuchen hilfreich zu sein? Da war für mich ein wichtiger Punkt, die eigene Vulnerabilität behutsam ins Spiel zu bringen in einer Kommunikation auf Augenhöhe. Wo zwei verwundbare Menschen sich begegnen, geschieht Pfingsten, etwas, was nicht mehr in unserer Gewalt steht, etwas, das heilsam ist. Eine Seelsorge, die den Menschen zugewandt ist und ihre Grenzen achtet, erlebe ich als sehr hilfreich - nicht nur für kirchlich Sozialisierte, sondern für alle, denen wir begegnen.

Pastoralreferent Edmund Zwaygardt
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Seelsorgenden im Krankenhaus und Gesundheitswesen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Seelsorger am SLK Klinikum am Gesundbrunnen in Heilbronn

Das Thema Vulnerabilität kam aus den Reihen der Mitglieder. Wir haben mit sehr vielen vulnerablen Menschen zu tun. Manche haben gesagt, sie bräuchten etwas mehr Handwerkszeug, um ihre eigene Haltung zu reflektieren, und aus dem Bedürfnis, verletzte Menschen nicht noch mehr zu verletzen. Auf Frau Keul als Referentin kamen wir durch ihre Bücher.

Pastoralreferentin Sabine Mader
In der diözesanen Hauptabteilung Pastorale Konzeption unter anderem für Seelsorge im Krankenhaus und im Gesundheitswesen zuständig und zuvor selbst Klinikseelsorgerin in Esslingen

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