Ukraine

„Viele Frauen und Kinder sind alleine auf der Flucht“

Sylvia Frank aus der Hauptabteilung Weltkirche versucht derzeit, mit Projektpartnern in der Ukraine Kontakt aufzunehmen. Bild: DRS/Thomas Broch

Sylvia Frank aus der Hauptabteilung Weltkirche versucht derzeit, mit Projektpartnern in der Ukraine Kontakt aufzunehmen. Bild: DRS/Thomas Broch

Im Interview spricht Regionalreferentin für Mittel- und Osteuropa, Sylvia Frank, über die aktuelle Lage in der Ukraine.

Sylvia Frank ist Regionalreferentin für Mittel- und Osteuropa in der Hauptabteilung Weltkirche des Bischöflichen Ordinariats der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Im Interview berichtet sie über die aktuellen Hilfen für die Menschen in der Ukraine und über die Rückmeldungen, die sie von dort erhält. 

Frau Frank, welche Hilfsprojekte werden aktuell durch die Diözese Rottenburg-Stuttgart in der Ukraine unterstützt?

Gestern haben wir mit Unterstützung von Caritas International ein Hilfsprojekt im Gebiet von Kharkiv und Dniopr in Höhe von 200.000 Euro bewilligt; für besonders bedürfte und vulnerable Senioren und deren Familien in dieser Region, die kaum die Möglichkeit haben zu fliehen. Weiter haben wir das Krankenhaus der Erzdiözese Ivano-Frankivsk ‚St. Lukas‘ bei der Beschaffung einer medizinischen Sauerstoffversorgung unterstützt und eine weitere Anfrage zu einem mobilen Beatmungsgerät für dieses Krankenhaus liegt vor. Aktuell hat uns heute ein Hilfsgesuch aus der Erzdiözese Ivano-Frankivsk im Westen der Ukraine für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen erreicht. Die Erzdiözese Ivano-Frankivsk ist ein langjähriger und guter Partner von uns.

Worin besteht für die Tätigkeit der Hauptabteilung Weltkirche in den kommenden Tagen und Wochen die größte Dringlichkeit bei der Hilfe für die Ukraine?

Wir versuchen, mit unseren Partnern vor Ort in Kontakt zu kommen und den Bedarf zu ermitteln. Die größte Dringlichkeit in der aktuellen Situation ist die Versorgung der Menschen auf der Flucht, diese benötigen Lebensmittel, Hygieneartikel, Transportmöglichkeiten und Unterkünfte. Danach muss man weitersehen, wenn sich die Situation vor Ort besser einschätzen lässt.

Die große Frage derzeit ist, was genau die Pläne Putins sind. Wie erleben die Menschen in der Ukraine diese Situation?

Die Menschen sind geschockt. Der Angriff wird als Aggression gegen das ukrainische Volk wahrgenommen. Der Präsident Selenskj hat die Ausreise für Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren verboten und sie zum Wehrdienst einberufen. Viele Frauen und Kinder sind deshalb alleine auf der Flucht.

Wie sind die Rückmeldungen, die Sie aktuell von Ihren Projekt-Partnerinnen und Partnern in der Ukraine erhalten?

Unsere Projektpartner vor Ort bitten vor allem um unsere Solidarität und Unterstützung, insbesondere bei der Bewältigung der Flüchtlingswelle, die in Richtung der Westukraine unterwegs ist.

Im Fernsehen sieht man die langen Autoschlangen auf dem Weg in Richtung Westen. Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Flüchtenden?

Ein Priester der Erzdiözese Kiew berichtete gestern aus dem Stau und erzählte, dass er und seine Frau nach Ivano-Frankivsk flüchten. Er stand für zwei Kilometer zwei Stunden im Stau. Die Straßen sind verstopft und es ist kein Vorankommen möglich. Manche Menschen lassen das Auto stehen und gehen zu Fuß weiter oder suchen eine andere Mitfahrgelegenheit.

Was wissen Sie von Vorbereitungen auf die zu erwartende Flüchtlingswelle im Westen der Ukraine, in den Nachbarländern und auch in Deutschland?

Die Diözesen im Westen der Ukraine haben bereits im Vorfeld, als es sich abgebildet hat, dass eine Invasion möglich ist, begonnen, Häuser und Unterkünfte für die Flüchtlinge aus dem Osten der Ukraine bereitzustellen. Ebenso die Nachbarländer Polen, Rumänien und die Tschechische Republik. Gestern sind bereits die ersten Flüchtlinge in den Nachbarländern angekommen, teilweise mit dem Zug oder auch zu Fuß.

Haben die Menschen, mit denen Sie in Kontakt sind, geglaubt, dass es zu der russischen Invasion kommt?

Es wurde mit einem Angriff gerechnet und die Bedrohung war im Alltag fast normal. Aber alle sind überrascht von der Heftigkeit und besonders der Schnelligkeit des Vormarsches.

2018 kam es zur Abspaltung der orthodoxen Kirche der Ukraine von der orthodoxen Kirche Russlands. Wie ist heute das Verhältnis der beiden Kirchen untereinander, auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse?

Die orthodoxe Kirche der Ukraine wird nach wie vor nicht von der orthodoxen Kirche Russlands und deren Oberhaupt, Metropolit Kyrill II, anerkannt. Allerdings gibt es in der Ukraine den ‚Allukrainischen Rat der Kirche und Religionsgemeinschaften‘, dem auch die beiden orthodoxen Kirchen angehören. Dieser Rat gab gestern eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie die Streitkräfte und alle Verteidiger bei der Verteidigung der Ukraine segnen und an die religiösen und politischen Anführer appellieren, alles Mögliche zu tun, um die Offensive des russischen Aggressors zu stoppen.

Zur Person

Sylvia Frank arbeitet seit fast 31 Jahren im Bischöflichen Ordinariat. In der Hauptabteilung Weltkirche ist sie seit 2007 für die Länder in Mittel- und Osteuropa zuständig. In ihrer Freizeit reist die Mutter dreier erwachsener Kinder gerne in die Länder des Balkans, nach Skandinavien und Osteuropa.

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