Heidrun Lieb, wie sehen Sie das?
Ich sehe viel Verbindendes. Immer wieder haben wir sogar die gleichen Themen mit anderen Schwerpunkten und Studiogästen – beispielsweise das Thema Prostitution und welche Hilfsangebote es hierfür gibt.
War die Sendung von Anfang an gleich konzipiert? Was hat sich geändert, Herr Turrey?
Der Anspruch ist gleich geblieben: Kirche ins Gespräch zu bringen und darüber zu berichten, wenn Kirche im öffentlichen Gespräch ist, wie beispielsweise über sexualisierte Gewalt in den Kirchen. Anfangs hatten wir in den Aufnahmestudios ein wenig mehr Fläche, so dass auch schon mal eine Sternsingergruppe ihren Segen im Studio gesungen hat oder wir zur Fußball-WM eine Torwand aufgebaut hatten. Diese Elemente gibt es heute nicht mehr, aber wir haben weiterhin eine Mischung aus guten Gesprächen und Fotos oder Filmeinspielern, um eine abwechslungsreiche und interessante Sendung zum jeweiligen Thema zu gestalten.
Was wissen Sie über Ihr Publikum, Herr Schmitt?
Unser Publikum besteht aus einer vielfältigen Gruppe von Menschen, die sich für soziale und gesellschaftliche Themen sowie für emotionale Lebensgeschichten interessieren. Da "Alpha & Omega" unter anderem auf RegioTV und BibelTV ausgestrahlt wird, erreichen wir eine breite Zuschauerschaft, die sowohl regional als auch überregional verteilt ist. Diese Zuschauer schätzen tiefgehende Diskussionen und den Austausch zu wichtigen Fragen des Zusammenlebens, des Glaubens und der Ethik. Viele unserer Zuschauer sind vermutlich aktive Mitglieder ihrer Kirchengemeinden und haben ein starkes Interesse an Themen, die das alltägliche Leben und die gesellschaftlichen Herausforderungen betreffen. Sie suchen nach inspirierenden Geschichten und praktischen Beispielen, die zeigen, wie christliche Werte im Alltag gelebt werden können. Zudem haben sie ein großes Bedürfnis nach Gemeinschaft und Verständnis in einer komplexen und oft herausfordernden Welt.
Nach welchen Kriterien suchen Sie ihre Gesprächspartner und Themen aus, Herr Turrey?
Sie müssen etwas zu sagen haben, glaubwürdig und authentisch erzählen können und keine Angst vor der Kamera haben. Die Themen sollten zum Nachdenken und Weiterdiskutieren anregen und durchaus auch Service-Charakter haben wie z.B. wie kann ich mein spirituelles Leben stärken oder was macht mir Hoffnung in schwierigen Lebenssituationen? Wichtig ist auch, nicht nur die schwierigen Seiten von Kirche und Religion darzustellen, sondern auch die lebensfrohen, hilfreichen, schönen Aspekte: Glaube soll keine Angst machen, sondern befreien – All you need is love!
Frau Ditzen, Sie sind die Redaktionsleiterin der evangelischen Seite. Wie entscheiden Sie?
Bei der Auswahl der Themen schauen wir uns zum einen das aktuelle soziale und politische Geschehen an und versuchen es auf Württemberg herunterzubrechen. Wir versuchen Themen immer anhand von Menschen und ihren Geschichten zu erzählen. Wenn es zum Beispiel um die Inflation in Deutschland geht, interessiert es uns, wie es den Menschen geht, die auf Tafelläden angewiesen sind. Unsere Themen sind dabei bunt gemischt, von Traumdeutung über Pflegenotstand, Zwangsheirat, Energiekrise, Militärseelsorge, Trauerarbeit oder auch Kirche und Sport. Zum anderen sind wir immer auf der Suche nach authentischen Geschichten und Menschen, mitten aus dem Leben . Dabei steht der Mensch bei uns im Mittelpunkt. Er kann uns erzählen, wie er mit einer Krise umgegangen ist und was ihm in dieser Zeit Kraft gegeben hat. Mit unseren Themen und Gästen möchten wir auch Mut machen und den Zuschauer: innen das Gefühl geben „Hey, du bist mit deinem Problem nicht alleine!“.
Welche Sendung war Ihr persönlicher Höhepunkt, Frau Lieb?
Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir zum Beispiel eine Frau, die als 13-Jährige zwangsverheiratet wurde – in Deutschland. Das war emotional sehr schwer auszuhalten. Gleichzeitig war ich fasziniert von der inneren Stärke meines Studiogastes. Es hat mich tief beeindruckt, wie sie es geschafft hat, sich daraus zu befreien und ein glückliches Leben aufzubauen. Oder ein ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule in Windenden. Er war damals im Klassenzimmer, als der Amokläufer reinstürmte und neben ihm Klassenkameraden erschoss. Sechs Jahre nach dem Amoklauf war er bei mir in der Sendung. Seine Erzählung hat Gänsehaut in mir ausgelöst.
Und von katholischer Seite, Herr Turrey?
Da gibt es, zum Beispiel, eine Sendung mit Ordensfrauen, die diskutiert haben, wie lebensecht das Nonnen-Musical „Sister Act“ ist, mit einem Zweitliga-Fußballer, der erzählte, wie er seinen Glauben auch auf dem Platz lebt, oder auch die Sendung mit „Miss Germany“, die verriet, warum sie Schönheits-OPs ablehnt. Sehr viel Spaß hat es auch gemacht, mit einem katholischen Pfarrer, der in seiner Freizeit Reggae-Musik macht, einen Videoclip aus einem seiner Songs zu drehen.
Gibt es Tabuthemen in der Sendung, Herr Turrey?
Nein, Tabuthemen gibt es nicht. Wir überlegen vorher, wie wir ein „schwieriges“ Thema mit wem darstellen und besprechen wollen. Wir haben dann auch Gäste in der Sendung, die sich kritisch äußern, aber das sind oft ja auch Kirchenmitglieder. Und wenn wir z.B. Bischof Fürst in der Sendung hatten und es um sexuellen Missbrauch oder mehr Schöpfungsbewahrung ging, hat er sich durchaus auch kritisch geäußert.
Wie ist das bei den evangelischen Sendungen, Frau Lieb?
Tabuthemen gibt es bei uns ebenfalls nicht. Auch wir laden Menschen ein, die sich beispielsweise kritisch gegenüber der Institution Kirche äußern. Ebenso haben wir uns in Sendungen mit sexualisierter Gewalt oder der Segnung homosexueller Paare in der evangelischen Kirche auseinandergesetzt.
Welcher war der für Sie persönlich schwierigste Moment in einer Sendung, Frau Lieb?
Ich glaube, der schwierigste Moment war einmal bei der Sendungsvorbereitung. Es ging um das Thema Tod. Ich hatte eine Dokumentarfilmerin zu Gast, die ihre krebskranke Freundin mit der Kamera begleitet hat bis zum Tod. Diesen Dokumentarfilm habe ich zur Vorbereitung auf die Sendung angesehen. Ich musste weinen, obwohl ich die Frau nicht kannte. Das ging mir unglaublich nahe.
Kennen Sie solche Momente auch, Herr Turrey?
„Schwierige“ Momente können sein, wenn zum Beispiel ein Vater über den frühen Tod seines Kindes berichtet, aber das sind oft auch die dichtesten und intensivsten Sendungen.
Wen hätten Sie noch gerne in Ihrer Sendung, Herr Turrey?
Papst Franziskus und Martin Luther im Gespräch, vielleicht macht es die KI eines Tages möglich.
Und wer wäre Ihr Favorit, Frau Lieb?
Michael Patrick Kelly! Ich finde seine Lebensgeschichte faszinierend – vom musikalischen Kinderstar übers katholische Kloster bis hin zu einem Leben im meist eher oberflächlichen Musik-Business. Darüber würde ich gerne mehr erfahren.
Gab es in den letzten 25 Jahren auch „Sendekatastrophen“, Frau Lieb?
Es war Hochsommer und die letzte Aufzeichnung an dem Tag. Nachdem wir fertig waren, kam der Regisseur ganz zerknirscht zu uns und hat sich fast nicht getraut zu sagen, was passiert war: Die gesamte 30minütige Sendung wurde nicht aufgezeichnet, es gab einen technischen Defekt. So mussten wir nochmal ran, um halb zehn Uhr abends – müde, erschöpft und recht verschwitzt. Die Maske war bereits im Feierabend. Das war sehr herausfordernd – hat aber am Ende geklappt.
Wie fällt Ihr Fazit nach 25 gemeinsamen Jahren aus, Herr Turrey?
Ich bin dankbar für die vielen Begegnungen und das Zusammentreffen mit so vielen inspirierenden Menschen aus dem Raum der Kirchen. Es macht mir immer noch große Freude, die Sendung vorzubereiten und zu moderieren, auch wegen der unglaublichen Vielfalt an Menschen und Themen, ob es um Religion im ARD-Tatort geht, um Bier und Religion oder religiöse Aspekte in den Büchern von Astrid Lindgren.
Macht Ihnen die Sendung nach so vielen Jahren auch noch Spaß, Frau Lieb?
Die Sendung macht mir nach 16 Jahren immer noch unglaublich Spaß und ist für mich sehr erfüllend. Mir gefällt auch die große Vielfalt an Themen, die wir in unseren Sendungen umsetzen: von Suizid über Pflegekinder bis hin zu Krebstherapien.
Dazu kommt, dass wir ein wirklich großartiges Team sind und seit so vielen Jahren zusammenarbeiten. Jede Sendung ist das Ergebnis von Teamwork und die Stimmung bei der Aufzeichnung ist jedes Mal wundervoll.
Hat die Sendung eine Zukunft? Wie sieht diese aus, Herr Turrey?
Die Sendung hat Zukunft, weil auch die Kirche Zukunft hat. Die Diskussion über den Stellenwert von Kirche und Religion wird noch stärker werden, und wir können mit dieser Sendung zeigen, wie das Christentum unsere Gesellschaft geprägt hat und immer noch prägt und wie sehr es sich lohnt, ein Leben aus dem Glauben heraus zu gestalten. Glaubwürdige Vorbilder für ein solches Leben wollen wir auch in Zukunft ins Studio holen und Kirche im besten Sinne „ins Gespräch bringen“.
Wohin soll sich die Sendung weiterentwickeln, Herr Schmitt?
Auch ich glaube fest daran, dass "Alpha & Omega" eine vielversprechende Zukunft hat. Unser Ziel ist es, weiterhin spannende und relevante Themen aufzugreifen, die die Gesellschaft bewegen. Dazu gehören aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen, ethische Fragestellungen, sowie inspirierende Lebensgeschichten und innovative Projekte, die zeigen, wie christliche Werte in der modernen Welt umgesetzt werden können. Wir möchten die Zusammenarbeit zwischen den evangelischen und katholischen Partnern weiter vertiefen und stärken, um noch stärker ökumenisch zusammenzuwachsen. Dies bedeutet, dass wir noch mehr gemeinsame Projekte und Initiativen starten und vermehrt Gäste einladen, die verschiedene christliche Perspektiven und kulturelle Hintergründe repräsentieren.