Einen Ausflug verspricht das Plakat im Eingang des Schulgebäudes. Doch wieso sind dafür eine Eintragung in Listen und Ausweisdokumente notwendig, wie nach und nach weitere Infoblätter enthüllen?
Es steht keine typische Klassenfahrt an, sondern ein Ausflug in ein betrübliches Stück Geschichte. Die achte Klasse der Bischof-von-Lipp-Schule ‒ Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum in Mulfingen versucht, ein Deportationsgeschehen nachzuempfinden. „Dabei fragen wir uns immer, wie weit wir bei den Mitschülerinnen und Mitschülern gehen dürfen“, sagt Klassenlehrer Alexander Bauer. Mit dem Projekt will die Schule auch unter den derzeitigen Bedingungen der Corona-Notbetreuung das Gedenken an den 9. Mai 1944 wachhalten.
An dem Tag wurden aus dem damaligen Kinderheim St. Josefspflege Kinder aus Sinti-Familien ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Die Kinder waren in den Jahren davor aus verschiedenen württembergischen Einrichtungen ins Mulfinger Heim eingewiesen worden. Denn ein Erlass des württembergischen Innenministeriums hatte 1938 die St. Josefspflege zur ausschließlichen Aufnahme von schulpflichtigen Sinti-und-Roma-Kindern bestimmt.
Blick auf die eigene Geschichte
Laut den Forschungen des Rottenburger Diözesanhistorikers Stephan Janker wurden über den Bahnhof Crailsheim insgesamt 40 Sinti, eine Schwangere und 39 Kinder, in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Transport traf am 12. Mai 1944 dort ein. Nur vier Kinder überlebten den Völkermord. Eva Justin, Mitarbeiterin der von Robert Ritter geleiteten „Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ Berlin, hatte das Heim in Mulfingen zuvor im Jahr 1942 besucht. Sie missbrauchte die Kinder als Untersuchungsobjekte für ihre rassenideologische Dissertation - die wenigen Einzelporträts, die von den Kindern erhalten sind, stammen aus der Dokumentation ihrer Arbeit.
„Es ist Teil unserer Kultur, daran zu erinnern“, sagt Schulleiterin Barbara Köppen. Seit 1984 gibt es eine Gedenktafel an der Fassade der St. Josefspflege – einen Hinweis gab es innen schon früher –, die heute unter anderem Trägerin der Schule ist. Das war der Ausgangspunkt. „Wir wollten unsere eigene Geschichte angehen“, erklärt Köppen. Dafür entstand in den folgenden Jahren mit vorbereitender Unterstützung der Hochschule Esslingen das Format „Erziehung nach Auschwitz“.