Ruf und Rat

Was, wenn Weihnachten nicht wie im Bilderbuch abläuft?

Gabriele Stark und Bernd Müller von „Ruf und Rat“ haben im Advent viel mit Menschen Kontakt, die dem Weihnachtsfest mit großen Sorgen entgegenzittern.

Gabriele Stark und Bernd Müller von „Ruf und Rat“ haben im Advent viel mit Menschen Kontakt, die dem Weihnachtsfest mit großen Sorgen entgegenzittern.

Gabriele Stark und Bernd Müller von „Ruf und Rat“ haben im Advent viel mit Menschen Kontakt, die dem Weihnachtsfest mit Sorgen entgegenzittern.

Der Onkel trinkt gerne ein Gläschen zu viel, die Cousine leugnet Corona und der Schwiegervater ist Impfgegner: von weihnachtlicher Stimmung keine Spur. Was tun, wenn das familiäre Weihnachtstreffen so gar nicht den Heile-Welt-Vorstellungen entspricht? Boykottieren oder hoffen, dass es dennoch besinnlich wird? Gabriele Stark und Bernd Müller von „Ruf und Rat“ haben im Advent viel mit Menschen Kontakt, die dem Weihnachtsfest mit großen Sorgen entgegenzittern.

„Es sind Beziehungskonflikte innerhalb der Familie, worunter Menschen furchtbar leiden“, erzählt Bernd Müller, Leiter der katholischen Telefonseelsorge. „Dieses Jahr kommt noch der Aspekt unserer Endlichkeit dazu: Sind wir alle genug geschützt? Gefährde ich womöglich die, die ich liebe?“, ergänzt Gabriele Stark, Leiterin der Beratungsstelle „Ruf und Rat“. Jedes Jahr melden sich um die Weihnachtstage herum mehr Menschen als sonst bei der Telefonseelsorge. Während ältere Leute zum Hörer greifen, suchen Teenager und junge Erwachsene das Gespräch oft per Chat. Und dennoch sind es 2021 andere Belastungen.

„Ich nehme bei unseren Klienten eine große Erschöpfung wahr“, berichtet Gabriele Stark. „Diese erneute Ungewissheit, was kommt da noch auf uns zu und wie entwickelt es sich weiter, trifft uns alle. Menschen, deren Grundgerüst aber vorher schon zerbrechlich war, leiden nun besonders darunter.“ Bernd Müller empfiehlt allen, sich Zeit zu nehmen. Egal, wie und mit wem man Weihnachten feiere, solle man auch Zeit für sich selbst und für stärkende Beziehungen einplanen. So könne man Lebensenergie sammeln und der Erschöpfung entgegensetzen.

Verhärtete Fronten nicht an Weihnachten klären

Gabriele Stark beobachtet neue Konfliktthemen bei Menschen, die in ihrer Familie Impfgegner oder Verschwörungstheoretiker haben und bei denen die Fronten stark verhärtet sind. „Für mich stellt sich die Frage: Muss es dann an Weihnachten gelingen, diese Fronten zu überwinden?“, so die Psychologische Psychotherapeutin. Unter dem Erschöpfungsaspekt gelte es auch darauf zu achten, was man sich wie lange zumuten möchte.

Eigene Erwartungshaltung hinterfragen

Wer mit zu hohen Erwartungen zu einem Familientreffen gehe, könne nur enttäuscht werden. Nicht nur Eltern würden dazu tendieren, in der Vorstellung von einem friedlichen und harmonischen Fest zu schweben. „Da kommt es zwangsläufig zu Spannungen“, so Bernd Müller. „Es kann helfen, innezuhalten und zu spüren, was einem selbst guttut.“ Auch negative Erwartungen könne man hinterfragen. „Dann kann Weihnachten auch Quelle werden.“

Gestaltungsmöglichkeiten nutzen

Bei ihrer Beratung möchte Gabriele Stark die Menschen an ihre Selbstheilungskräfte heranführen. „Ich selber kann Dinge im Kleinen verändern. So können wir wieder Herr und Frau über unsere Lage sein,“ so die Leiterin der Beratungsstelle. Und weiter: „Wenn ich mich nicht traue, Entscheidungen zu treffen, dann übernehmen das andere für mich.“ Ziel sei es, sich den Situationen nicht auszuliefern, sondern sie zu gestalten und handlungsstark zu werden. Man könne im Einzelnen schauen, was die richtigen Schritte, das richtige Verhalten und die richtige Kommunikation sei.

Boykott als letzte Möglichkeit

„Wenn man weiß, dass die anderen ‚scharfe Klingen‘ zur Krippe mitbringen, kann es klüger sein, nicht zu kommen und sich nicht verletzten zu lassen“, sagt Bernd Müller. „Welche Konsequenzen hätte es, nicht zum Familienfest zu kommen?“ fragt Gabriele Stark. Was wären die Folgen des Rückzugs? Wäre man dann alleine und würde es einem dadurch bessergehen? „Dieses Jahr liegt Weihnachten für Menschen in schwierigen Familiensituationen günstig: Es ist ‚nur‘ ein langes Wochenende. Das kann entlasten“ Auch da gelte die Devise, sich ins Geschehen einzubringen und so Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. „Grundsätzlich finde ich es wichtig, die Kommunikation nicht abzubrechen und sich nicht in der Wut, in der Trauer oder in der Depression zu isolieren“, so Bernd Müller.

Mehr Demut dem Leben gegenüber

Weihnachten 2021 hat laut Gabriele Stark auch eine Chance: „Ich erlebe mehr Demut dem Leben gegenüber.“ Mit Gottesdiensten, Sport- und Freizeitangeboten sowie Kulinarischem gibt es außerdem mehr Möglichkeiten als 2020, die Feiertage zu gestalten. Den Geist von Weihnachten solle man jedenfalls nicht mit den Scherben der Familienkonflikte unter den Teppich kehren.

Ruf und Rat

Zu „Ruf und Rat“ gehören zum einen die katholische Telefonseelsorge und zum anderen die Psychologische Beratungsstelle. Die Telefonseelsorge ist unter der Nummer 0800 111 0 222 auch an den Feiertagen rund um die Uhr kostenlos erreichbar.

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