Glauben

Wechselvolle Wallfahrtstradition

Die Kapelle St. Anna in Mulfingen

Rast für Körper und Seele: Radfahrer machen gern Halt an der St.-Anna-Kapelle in Mulfingen. Foto: drs/Guzy

Die St.-Anna-Kapelle in Mulfingen erlebte historische Aufs und Abs. Der Gedenktag der Heiligen spielt im Ort aber bis heute eine große Rolle.

Zwei Radfahrer steigen vor der St.-Anna-Kapelle ab. Durch die offen stehende Tür schauen sie in das Kirchlein hinein. Mit dem Finger folgt einer der beiden den Verästelungen auf dem Blatt am Eingang. Dieses berichtet vom „Gnadenjahr 1597/98“: „Es haben Heilung beim St. Annabrunnen obige Wallfahrer gefunden.“ Nach den beiden legt eine Radlergruppe aus Laudenbach einen Zwischenstopp an der Kapelle ein und lässt sich an dem Holzkreuz vor dem Gebäude fotografieren. „Die Anna-Kapelle ist ein wichtiger Bezugspunkt“, sagt Pfarrer Ingo Kuhbach.

Das Jahr 1510 ist als Ursprung der Kapelle in der Nähe einer Quelle überliefert. Ob es das Jahr der Grundsteinlegung oder Fertigstellung ist, ist nicht ganz klar, erklärt Kuhbach. Als Pfarrer von Mulfingen hat er sich in die Geschichte des religiösen Ortes vertieft. So gehört Kuhbach auch zu einer Handvoll Leuten, die auf Anfrage Führungen in der Kapelle bieten.

Kuhbach hat sich außerdem mit der Figur der Mutter Anna befasst, insbesondere aus kulturgeschichtlicher Sicht. „Anna war um 1500 die beliebteste Heilige“, erklärt er. Anna ist Marias Mutter und damit die Großmutter von Jesus. Viele Legenden erzählen von ihrem Leben. Kuhbach führt aus: „Sie steht für Familie und Miteinander – und dafür, auch in schwierigen und angespannten Familienverhältnissen nie die Hoffnung aufzugeben.“

Der Quelle an der Kapelle wurde heilende Wirkung zugesprochen. Das Blatt am Eingang, das an einen Stammbaum erinnert, nennt die Namen der Geheilten und ihre Krankheiten: „offenes Fussleiden“, „langwieriges Augenleiden“, „Aussatz“. Aus der Zeit Ende des 16. Jahrhunderts sind Akten mit Heilungsberichten erhalten, wie Kuhbach weiß.

Damals wurde die Wallfahrt neu gefestigt, nachdem sie zwischenzeitlich abgeflaut war und die Kapelle einem Förster zur Nutzung überlassen worden war. In den folgenden Jahrhunderten erlebten das Wallfahrtswesen und die Heiligenverehrung an dem Ort ein Auf und Ab. Auch die Quelle soll unregelmäßig geflossen und immer wieder einmal versiegt sein.

Richtig Aufschwung nahm die Wallfahrt am 26. Juli, dem Gedenktag der heiligen Anna, zuletzt im Kaiserreich und noch einmal nach dem Zweiten Weltkrieg, berichtet Kuhbach. Bis vor 40 oder 30 Jahren – so genau weiß es laut dem Pfarrer keiner mehr – war das Patrozinium ein marktähnliches Fest mit Devotionalien-Ständen rund um die Kapelle.

Aber bis heute ziehen die Gottesdienste am 26. Juli mehrere Hundert Gläubige nicht nur aus der direkten Umgebung an, wie Kuhbach den Anna-Tag beschreibt. Etliche kämen auch von auswärts, zum Beispiel aus dem Stuttgarter Raum, um so wie einst ihre Eltern oder Großeltern an der Kapelle zu beten. Wegen Corona wird diesmal allerdings alles etwas anders aussehen als gewohnt. 

Mit der Wiederbelebung der Wallfahrt zum St.-Anna-Tag in den 1870er Jahren wurde die Kapelle auf die heutige Größe ausgebaut. Das Bauwerk, dessen Ausmaße ursprünglich wohl nur den Altarraum umfassten, erfuhr im Laufe der fünf Jahrhunderte mehrere Veränderungen. Anfang des 20. Jahrhunderts zum Beispiel wurde irgendwann der Außenputz abgeschlagen, damit das Mauerwerk atmen konnte, vermutet Kuhbach. Das verlieh der Kapelle das heutige Erscheinungsbild.

Vor zehn Jahren fand die letzte Renovierung statt. Die Kapelle wurde innen aufgefrischt. Kuhbach setzte sich damals dafür ein, dass vier runde Deckenbilder unter der Farbschicht freigelegt wurden. Sie illustrieren die Geschichte der heiligen Anna.

Außen, an der Böschung im Umfeld der Kapelle, ist in jüngster Vergangenheit eine kleine Grotte angelegt worden. Dort können Betende vor einer Madonna aus Stein eine Kerze in den Sand stecken, damit sie das aus Brandschutzgründen nicht in der Kapelle tun.

Draußen vor dem Eingang gibt es seit 1960 außerdem einen Brunnenstock. Nach dem Drücken des seitlichen Schalters fließt Wasser aus dem Hahn. Das Quellwasser, dem wundertätige Kraft nachgesagt wurde, war in früheren Jahrhunderten über die Region hinaus begehrt. Das Blatt am Eingang nennt zum Beispiel Nürnberg als Heimatort eines Geheilten.

An der gegenüberliegenden Wand hängen Täfelchen aus den 1980er und 1990er Jahren. Auf ihnen steht, dass auf die Fürsprache der heiligen Anna Hilfe und Trost zuteil wurden. Im Buch für die Gebetsanliegen, weiter innen in der Kapelle, sind nur wenige Tage alte Bitten um Gesundheit oder beispielsweise um einen guten Verlauf der „OP der Schwester“ zu lesen.

Die Kapelle St. Anna in Mulfingen und der St.-Anna-Tag

Die Kapelle ist gut zu erreichen. Sie liegt am Rande von Mulfingen auf der linken Seite der Jagst. Die Kapelle ist tagsüber geöffnet. Von Mai bis Oktober findet normalerweise jeden Freitagabend ein Gottesdienst in dem Kirchlein statt. Wegen Corona und der engen Platzverhältnisse im Inneren gibt es diese Gottesdienste in diesem Jahr allerdings nicht.

Auch das Patrozinium am St.-Anna-Tag am 26. Juli findet unter Schutzvorkehrungen statt. So fällt die sonst übliche Prozession von der Kapelle zur Ortsmitte weg. Für die Freiluft-Gottesdienste um 8.15 Uhr, 9.45 Uhr, 19 Uhr und 20.30 Uhr gelten die gängigen Abstandsregelungen und Vorsichtsmaßnahmen.

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