Klinikseelsorger können nicht mehr einfach über die Stationen gehen und Patienten besuchen, dennoch gehen sie ans Krankenbett, wenn sie gerufen werden – mit den erforderlichen Schutzmaßnahmen. Sie sind auch da, wenn Ärzte oder Pflegekräfte ein offenes Ohr brauchen. Und sie versuchen den Menschen beizustehen, die wegen des Besuchsverbotes nicht zu ihren Angehörigen in die Klinik dürfen. Thomas Krieg, der seit Anfang des Jahres die katholische Krankenhausseelsorge leitet, stellt fest: „In den vergangenen Wochen hat sich das Leben in den Krankenhäusern komplett verändert.“
Szenen, die Thomas Krieg so noch nie erlebt hat
In diesen Tagen spielen sich Szenen ab, die Thomas Krieg noch nie erlebt hat. Ein an Covid-19 erkrankter Mensch liegt im Sterben. Zwei Angehörige dürfen zusammen mit Ärzten und Pflegerinnen zu dem Mann ins Patientenzimmer. Vor dem Krankenhaus aber warten zehn weitere Angehörige, die verzweifelt und ratlos sind und die nicht eingelassen werden dürfen.
Thomas Krieg und seine Kollegin Schwester Sylvia Maria gehen nach draußen, reden mit den Menschen, holen einen Arzt nach draußen, der den Angehörigen erklären kann, wie es um den Zustand des Patienten bestellt ist. „Das ist eine schwierige Situation für alle Beteiligten, für die Angehörigen genauso wie für den Arzt. Als Seelsorger versuchen wir, für die Menschen da zu sein und das bestmögliche aus dieser schwierigen Lage zu machen.“
Die Seelsorger sind bei den Angehörigen vor der Klinik geblieben, um sie zu beruhigen und ihnen zumindest ein wenig Trost zuzusprechen. „Der Umgang mit Sterben und Tod ist auch im normalen Klinikbetrieb eine Herausforderung, aber in dieser Zeit der Corona-Pandemie in einem noch viel stärkeren Maße.“
Arbeit hat sich stark verändert
Die tägliche Arbeit der Klinikseelsorger hat sich in den vergangenen Wochen stark verändert. Über die Stationen zu gehen, bei den Patienten an die Tür zu klopfen und sie zu fragen, wie es ihnen geht, ist schon lange nicht mehr möglich. Dennoch versuchen Thomas Krieg und seine katholischen Kolleginnen und Kollegen in den Stuttgarter Krankenhäusern da zu sein, wenn die Patienten sie rufen oder wenn Ärzte und Pflegekräfte auf sie zukommen.
„Wir telefonieren mit den Patienten oder nehmen per Videochat Kontakt auf. Wir gehen aber auch ans Krankenbett, wenn kranke Menschen dies ausdrücklich wünschen“, sagt der 57-Jährige. Als Priester spendet er auch weiter die Krankensalbung, wenn der Wunsch an ihn herangetragen wird. Die strengen Hygienestandards und die Schutzvorkehrungen gelten dann auch für die Klinikseelsorger.
Das Seelische und das Spirituelle darf nicht zu kurz kommen
Die Hygienestandards sind es denn auch, die die Situation bei Covid-19-Patienten schwieriger machen. „Da sind wir im Moment in der zweiten Reihe, weil die Ärzte und Pfleger rein müssen und für sie die Schutzkleidung ausreichen muss“, sagt Thomas Krieg. Aber auch da gelte: Wenn der Patient den dringenden Wunsch äußere, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger zu sprechen, tue man gemeinsam mit den Ärzten und Pflegekräften alles dafür, dies auch möglich zu machen.
„Gerade in dieser schwierigen Zeit dürfen das Seelische und das Spirituelle nicht zu kurz kommen. Wir sind, wie Jesus uns dies vorgelebt hat, herausgefordert, den Menschen, der an Corona erkrankt ist, zu sehen, und nicht nur das Covid-Virus. Das heißt, wir müssen gerade in dieser Zeit, in der wir uns nicht körperlich in die Arme schließen können, Wege finden, welche die liebende Umarmung Gottes für unsere Nächsten ausdrücken können“, sagt Thomas Krieg.
Auch wenn die Corona-Pandemie auf den ersten Blick etwas anderes erwarten lässt, stellen Thomas Krieg im Marienhospital und auch seine Kolleginnen und Kollegen in den anderen Stuttgarter Krankenhäusern fest, dass die Anfragen in den vergangenen Wochen eher gesunken als gestiegen sind. Aus dem einfachen Grund: viele Betten sind für Covid-19- Patienten freigehalten worden, die sonst üblichen Operationen wurden zurückgefahren. „Viele Krankenhäuser haben erst jetzt wieder angefangen, die Zahl der Operationen langsam zu erhöhen. Dann werden wieder mehr Patienten in den Krankenhäusern sein und auch wir Seelsorger werden wieder mehr Anfragen bekommen.“
Auch für Ärzte und Pflegekräfte da
Auch für die Ärzte und Pflegekräfte in den Kliniken sind die Seelsorger da: Im Marienhospital gibt es eine Hotline für die Klinikmitarbeiter, an der sich Thomas Krieg und seine Kolleginnen Ursula Kaiser und die Ordensfrau Sylvia Maria Schäfer beteiligen.
Zu den Ärzten und Pflegekräften gehen sie mit Mundschutz und Abstand auch weiter auf die Stationen, um zu fragen, wie es ihnen geht. „Wir erleben, dass auch Ärzte und Pflegekräfte verstärkt das Bedürfnis haben, mit jemandem über die Ausnahmesituation zu reden“, sagt Thomas Krieg. Deshalb waren die Klinikseelsorger auch bei der Erweiterung des Labors dabei, die notwendig geworden war, um mehr Coronafälle testen zu können. „Der Containerbau ist auf den Namen des heiligen Sebastian geweiht worden, der Heilige, den zu Pestzeiten viele Menschen angebetet haben“, erzählt Thomas Krieg.
Sollte sich die Situation in den Kliniken wegen Covid-19 verschärfen und die Zahl der Todesfälle stark ansteigen, so haben die Klinikseelsorger den Ärzten und Pflegekräften einen Sterbesegen an die Hand gegeben. „Abschiedsrituale sind wichtig, sie helfen, mit der Situation umzugehen und von dem Menschen auf eine gute Weise Abschied zu nehmen. Die Entscheidung, ob sie den Segen sprechen, liegt selbstverständlich bei den Ärzten“, sagt der Leiter der katholischen Krankenhausseelsorge.
Seelsorger auch für Alten- und Pflegeheime erreichbar
Die Krankenhausseelsorge ist fest in den Stuttgarter Krankenhäusern angesiedelt. Die Seelsorger sind vor Ort. Um auch in den Alten- und Pflegeheimen als Kirche in Corona-Zeiten da zu sein, wenn Menschen seelsorgerlichen Beistand brauchen, hat die katholische Kirche in Stuttgart in den vergangenen Wochen im Hintergrund eine Rufbereitschaft eingerichtet.
Zuständig sind zunächst die Pastoralteams der jeweiligen Gesamtkirchengemeinden vor Ort, die ohnehin Kontakt zu bestimmten Alten- und Pflegeheimen halten und die auch weiterhin unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen in die Pflegeheime gehen, wenn sie gerufen werden. Wenn das Pastoralteam vor Ort nicht mehr allen Nachfragen nachkommen kann, dann können diese über das katholische Stadtdekanat kollegiale Hilfe anfordern. Im Hintergrund stehen etwa 50 Seelsorgerinnen und Seelsorger bereit, die in einem Notfall einspringen.