Friedensglocken

Wie eine Glocke die Menschen verbindet

Wie eine Glocke die Menschen verbindet

Deutsch-tschechische Freundschaft bei der Glockenweihe am Sonntag in Tübingen-Lustnau mit den Initiatoren Theo und Tilla Keplinger (ganz links) und Hemma und Johannes Längle (Mitte), Pfarrer Ulrich Skobowsky (2.v.l.), Schwester Faustina Niestroj und der von Peter Stanke (2.v.r.) angeführten Delegation aus Trébom. Foto: DRS/Thomas Brandl

Das Projekt „Friedensglocken für Europa“ geht in die nächste Runde: Eine Delegation aus Tschechien ist zu Gast bei der Weihe in Tübingen.

„Gott spielt in unserem Leben keine Rolle – er führt Regie!“ Die Geschichte der Kirchenglocke aus dem einstmals oberschlesischen Thröm könnte als bester Beleg für den Satz aus der Predigt von Pfarrer Ulrich Skobowsky am Sonntagmorgen in St. Petrus in Tübingen-Lustnau stehen. Im Jahr 1511 gegossen, soll sie jetzt im Alter von genau 511 Jahren in ihre Heimat zurückkehren – 80 Jahre nachdem Wehrmachtssoldaten sie im Zweiten Weltkrieg aus dem Turm geholt hatten, und nach 65 Jahren unfreiwilligem Dasein als „Leihglocke“ mitten im Schwabenland. Zur Weihe der neuen Glocke für St. Petrus – sie wird die 511 Jahre alte aus Thröm ersetzen – war eigens eine Delegation aus dem heute zur Tschechischen Republik gehörenden Trébom nach Tübingen gereist.

Mit dem Projekt „Friedensglocken für Europa“ hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart im letzten Jahr ein Ausrufezeichen der Versöhnung gesetzt. Bischof Gebhard Fürst brachte die erste von insgesamt 54 Leihglocken aus den ehemals deutschen Ostgebieten persönlich nach Pišt, das früher Sandau hieß, zurück zum Auftakt des auf sechs Jahre angelegten Projektes. Die Glocke aus dem nur wenige Kilometer von Pišt entfernten Trébom war im Zweiten Weltkrieg ebenso mit tausenden anderen auf dem „Glockenfriedhof“ im Hamburger Sandtorhafen gelandet. Viele wurden eingeschmolzen und für die Rüstungsindustrie verwendet, je nach Kategorie taugten sie aber nicht zur Herstellung von Waffen. Ungefähr 80 000 Glocken wurden zerstört, eingeschmolzen oder zertrümmert. Nach Kriegsende verblieben 1300 Glocken aus den Ostgebieten in Westdeutschland – die politische Situation verhinderte eine Rückführung. Im März 1952 kamen 67 Glocken im Zugwaggon in der Diözese Rottenburg-Stuttgart an und wurden nach und nach auf neu entstehende katholische Gemeinden, viele davon mit Flüchtlingspfarrern, verteilt. Die Herkunft der alten Glocken verlor sich meist im Dunkel der Vergangenheit.

Als die erste der „Friedensglocken“ im Oktober 2021 von Aichtal-Grötzingen nach Pišt überführt wurde, war Theo Keplinger, langjähriger Kirchengemeinderat in St. Petrus, mit dabei, um erste Kontakte zur Gemeinde St. Georg in Trébom zu knüpfen. Inzwischen war in Tübingen bekannt, woher die Glocke aus ihrem Kirchturm stammte. Dabei entstand sehr schnell eine persönliche Freundschaft zu Peter Stanke, einem Deutschstämmigen, der unter anderem in St. Georg den Mesnerdienst verrichtet. Gemeinsam mit Ehefrau Tilla und dem Ehepaar Hemma und Johannes Längle trieb Keplinger sein Herzensprojekt voran, überzeugte den Kirchengemeinderat und ging erfolgreich auf Sponsorensuche für zwei weitere Glocken, die künftig das Geläut in Lustnau verschönern werden; alle drei wurden in der Gießerei Bachert in Neunkirchen gegossen. Die Kosten für den Guss der Ersatzglocke und den Transport der alten Glocke nach Tschechien übernimmt die Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Möglichst zeitnah soll diese nun aus dem Turm in Lustnau genommen werden. Geplant ist, dass im Frühsommer 2023 insgesamt fünf Glocken in das Bistum Ostrau-Troppau abgegeben werden. Neben Lustnau sind Beimerstetten, Hemmingen, Roigheim und Schwenningen von dieser Aktion betroffen. Aus dem Gebiet des heutigen Bistums Ermland im Norden Polens sind zwei Glocken für die Rückführung bestimmt: Eine stammt aus Frombork/Frauenburg und hing bis zum letzten Herbst in Grötzingen, die andere aus Żegoty/Siegfriedswalde wird zurzeit noch in Oberesslingen geläutet. Dort gibt es daneben noch eine zweite Leihglocke, die aus dem Bereich des Bistums Elbląg stammt, einem Suffraganbistum des Erzbistums Ermland. Angestrebt wird, die Übergabe dieser einen Glocke aus dem Bistum Elbląg mit der Rückführung der zwei Glocken in das Erzbistum Ermland zu verbinden.

Bei der Weihe am Sonntag nannte Schwester Faustina Niestroj vom „Friedensglocken“-Team der Diözese das große Engagement der Kirchengemeinde St. Petrus „modellhaft für alle anderen, die noch kommen“. Innerhalb nur eines Jahres sind zwischen Tübingen und Trebom sehr herzliche Beziehungen entstanden. So verwundert nicht, dass deshalb gleich mehrere Familien aus Tschechien angereist waren – und sogar gleich zwei Ministranten für den gemeinsamen Gottesdienst mitgebracht hatten. Tief bewegt zeigte sich auch Josef Hartmann, gebürtiger Thrömer, der 1942 als neunjähriger Ministrant hatte mit ansehen müssen, wie die Soldaten sämtliche Glocken aus dem Kirchturm seines Heimatdortfes im „Hultschiner Ländchen“ herunter holten – bis auf das Sterbeglöcklein. Der heute 89-Jährige wurde 1946 mit seiner Familie vertrieben und lebt seitdem in Stuttgart. „Einfach großartig“ sei die jetzt geplante Rückführung in die Heimat – „ich bin glücklich, dass ich das noch erleben darf!“

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