Martin Doll ist Bildungsreferent auf dem Michaelsberg bei Cleebronn und im Bischöflichen Jugendamt für die Weiterentwicklung der Tage der Orientierung zuständig. Zum neu angelaufenen Schuljahr erklärt der 42-jährige Sozialpädagoge im Interview, wie dieses spezielle Format Klassengemeinschaften stärken kann.
Worum geht es bei den Tagen der Orientierung?
Bei uns auf dem Michaelsberg geht es um Sozialkompetenzen. Wir arbeiten mit den Schüler:innen an der Klassengemeinschaft.
An wen richtet sich das Format?
Es ist offen für alle Schularten. Es richtet sich an Schüler:innen ab der achten Jahrgangsstufe. Meistens kommen die neunten Klassen zu uns.
Wann nutzen diese das Angebot?
Die Tage der Orientierung werden von den Klassenlehrer:innen gebucht. Typische Themen sind Konflikte in der Klasse, die Frage, wie gehen wir miteinander um – zum Beispiel, wenn sich zwei Gruppen innerhalb der Klasse gebildet haben. Bei einigen Schulen gehören Tage der Orientierung fest zum Programm. Drei Gymnasien aus der Region fahren seit Jahren auf den Berg.
Wie laufen die Tage der Orientierung ab?
Die Tage der Orientierung dauern drei Tage – von Montag bis Mittwoch oder von Mittwoch bis Freitag – und werden von ehrenamtlichen Teamer:innen durchgeführt. Eine Lehrkraft begleitet die Klasse, nimmt an den Einheiten aber nicht teil. Wir haben kein festes Programm. Wir gehen stark auf die Bedürfnisse der Jugendlichen ein. Wir greifen auch Themenwünsche auf, die genannt werden: Freundschaft, Liebe, Partnerschaft, Zukunft. Wir beobachten zunächst, was innerhalb der Klasse passiert. Dann versuchen wir ein Ziel für den weiteren Verlauf zu formulieren. Am letzten Tag kommt der schwierigere Teil: das Erreichte zu festigen und in den Alltag zu transferieren. Das klappt nicht immer, oder die Schüler:innen öffnen sich gar nicht.
Was passiert bei den verschiedenen Einheiten konkret?
Die Methoden sind vielfältig. Es gibt Kennenlernspiele und kooperative Abenteuerspiele. Dabei merken wir schnell, wie eine Klasse tickt: Werden Leute vergessen? Wie geht sie mit Problemen um? Erlebnispädagogik gehört auch dazu.
Wie werden die Schüler:innen auf die drei Tage vorbereitet?
Wir besuchen die Klassen vorab. Wir erklären, was passiert, dass sich die Schüler:innen in eine andere Situation begeben. Uns ist wichtig, dass alles freiwillig geschieht: Wir zwingen niemanden zu etwas, was er nicht will. Die Schüler:innen müssen sich auch nicht absolut öffnen und Privates preisgeben. Wir erwarten aber eine gewisse Bereitschaft, die Sache auszuprobieren. Unser Mindestanspruch ist, dass die Klassen drei Tage lang Spaß haben. Wenn das klappt, wenn die Schüler:innen die Möglichkeit hatten, zu sich zu kommen, ist viel gewonnen.
Wie werden die Tage der Orientierung angenommen?
Die Nachfrage ist gestiegen. Wir haben eine Warteliste.
Woran liegt das?
Wir nehmen wahr, dass sich in letzter Zeit etwas verändert hat. Die psychischen Belastungen haben zugenommen. Von Panikattacken bis hin zu Suizidgedanken kommt alles vor – das hatten wir früher bei den Tagen der Orientierung nicht.
Die Tage der Orientierung werden von einer kirchlichen Einrichtung angeboten. Spielt das in irgendeiner Weise eine Rolle?
Wir sind offen für alle, ob mit oder ohne Konfession. Glaube kann während der Tage natürlich selbst Thema werden. Wir beten nicht mit den Schüler:innen und es gibt keinen Gottesdienst. Eine spirituelle Einheit in der Kirche auf dem Michaelsberg gehört aber dazu. Wie die Rückmeldungen zeigen, tut das den Jugendlichen gut. Die Teamer:innen sind alle christlich-katholisch sozialisiert – das ist wichtig.
Inwiefern?
Das christliche Menschenbild ist wichtig. Danach sind alle Schüler:innen wertvoll. Mit den christlichen Werten im Hintergrund arbeitet man ganz anders miteinander. Für die Teamer:innen sind die Tage der Orientierung sehr anspruchsvoll und intensiv. Sie sind nonstop beschäftigt. Wenn die Jugendlichen Pause haben, überlegen und besprechen die Teamer:innen bereits die nächsten Schritte. Es ist wichtig, dass sie viel mitbringen, nicht nur hohe Methodenkompetenz.
Der Michaelsberg ist ein besonderer Ort. Hat das Einfluss auf die Arbeit?
Die Jugendlichen können abends nicht einfach in die Stadt gehen. Der Berg bietet viele Orte, an denen man Einheiten machen kann. Wir haben zum Beispiel eine Wiese, Schafe – und einen sogenannten Schreistein. Dort können die Jugendlichen alles, was sie belastet, einfach in die freie Landschaft herausschreien.