Stereotype Ressentiments gegen Geflüchtete, Migranten, Muslime und immer stärker auch gegen Juden nehmen sich Raum, radikale Parolen werden fast salonfähig, scheinen sie doch eine Lösung der gesellschaftlich-politischen Probleme in Deutschland zu versprechen. Im Interview nehmen Prof. Dr. Iris Mandl-Schmidt, Leiterin der Abteilung katholische Theologie/Religionspädagogik an der PH Schwäbisch Gmünd und außerplanmäßige Professorin, und Wolfgang Schmidt, evangelischer Pfarrer in Schwäbisch Gmünd, Stellung zum Umgang mit Menschen mit rechtsradikaler Gesinnung.
Wie reagieren Sie persönlich, wenn Ihnen ein Satz wie „Deutschland den Deutschen“ oder „Die bekommen viel mehr Unterstützung vom Staat, als wir“ begegnet?
Mandl-Schmidt: Das sind zwei unterschiedliche Aussagen, in beiden Fällen reagiere ich erst einmal interessiert. Zum ersteren: An der nicht zu überhörenden Abgrenzung interessiert mich das dahinterstehende Motiv. Ist sich die Person des historischen Hintergrunds bewusst, der mit der Parole aufgerufen wird? Sollte sich ein wirkliches Gespräch entwickeln, würde ich versuchen, die Person für ein anderes Bewusstsein zu gewinnen und angesichts einer konkreten Fragestellung eine Lösung zu finden - ohne rigide Abgrenzung.
Zum zweiten Zitat würde ich sagen: Derartige Erfahrungen muss man ernstnehmen. Es gibt Menschen, denen begegnet Migration im Alltag viel schmerzhafter als anderen. Wer auf öffentliche Einrichtungen, Räume oder Verkehrsmittel angewiesen ist, hat auf Migration einen anderen Blick als wohlsituierte, möglicherweise privatkrankenversicherte Idealisten, die das Sozialwesen und Gesundheitswesen nicht in jeder Hinsicht mit anderen teilen. Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, müssten in politischen Gremien vertreten sein.
Schmidt: Mit der Unterscheidung, dass der erste Satz eine Parole ist und der zweite eine Behauptung, versuche ich nicht gleich in den Sog der Provokation zu geraten. Dabei schließt ein differenziertes Vorgehen nicht aus, die Parole für gefährlich zu halten und in der Behauptung das Problematische zu sehen. Was mir wichtig ist, ist nicht gleich in den Schlagabtausch zu geraten, wohl wissend, dass dieser gerade überall gesucht wird und einem ständig angetragen ist.
Warum ist es wichtig, Menschen mit rechtsradikaler Gesinnung ernst zu nehmen?
Schmidt:Menschen mit einer rechtsradikalen Gesinnung ernst zu nehmen, heißt, mit ihnen in der Sache scharf zu streiten. Man nimmt sie nicht dadurch ernst, sie zu pathologisieren oder ihnen eine Opferrolle zuzuschreiben. Sie ernst nehmen, bedeutet dann auch, den Unterscheid zwischen einer konservativen und einer rechtsradikalen Einstellung nicht zu verwischen und herausfinden zu wollen, ob es momentan ein Vakuum des Konservativen gibt, weshalb manche sich versucht sehen, sich rechtsradikal zu verorten. Das ändert aber nichts daran, einer rechtsradikalen Gesinnung in aller Klarheit zu widersprechen.
Mandl-Schmidt: Jeder Mensch ist ernst zu nehmen. Aber Sie meinen es wahrscheinlich anders: warum ist rechtsradikale Gesinnung nie auf die leichte Schulter zu nehmen? Die Antwort liegt auf der Hand der Geschichte: Wir Deutschen wissen, was diese Gesinnung schon einmal anrichtete. Seit dem Holocaust sind wir bleibend jüdischen Menschen auf Menschlichkeit und Sicherheit verpflichtet. Antisemitismus darf in Deutschland in keiner Weise toleriert werden, Antisemitismus und Rassismus müssen in Deutschland an der Wurzel bekämpft werden.
Wie können deren Argumente, zum Beispiel fehlende Arbeitsplätze, Wohnungsmangel, aufgefangen werden?
Mandl-Schmidt:Mit Arbeitsplätzen und Wohnungen.
Schmidt:Argumente sind immer willkommen! Wenn es um Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit geht, muss man mit jedem darüber reden können und sich dem politischen Wettbewerb stellen.
Was möchten Sie als Christin/Christ dazu sagen?
Mandl-Schmidt: Für Christinnen und Christen ist Leben etwas Heiliges. Rechtsextreme, linksextreme oder religiös-extremistische Gruppierungen bedrohen das Leben und sind daher mit dem christlichen Anliegen nicht vereinbar. Gleichzeitig ist wichtig, dass Christinnen und Christen offen für den einzelnen Menschen bleiben. Jesus war integrativ, er hatte keine Berührungsängste mit Personen wie Besatzern, Kollaborateuren, Normalbürgern, Armen, Reichen, Frauen (in der Antike keine Selbstverständlichkeit), Kindern. Einen ehemaligen Kollaborateur (Zöllner) holte er in seinen Zwölferkreis. Jesus war originell und menschlich. Er würde auch mit Extremisten reden, ohne Extremismus zu befürworten.
Schmidt: Als gläubiger Mensch habe ich die Möglichkeit, dem polemisch-politischen Schlagabtausch mit Distanz gegenüberzutreten. Diese Distanz speist sich auch aus einem solchen Wort, in dem sinnbildlich vom Balken im eigenen Auge gesprochen wird, statt immer gleich den Splitter in der Sichtweise des Anderen zu suchen. Diese Distanz bleibt aber nicht in der Zurückhaltung, weil es am Ende darum geht, sich in den wichtigen Fragen zu einer Haltung durchzuringen und eine Position zu vertreten. Diese Haltung kann dann aber auch durchaus konservative Gesichtspunkte berücksichtigen.
Wie können wir es schaffen, rechtsextremes Gedankengut wieder zu wandeln in ein gutes, Menschen achtendes, tolerantes, vielfältiges und wertschätzendes Miteinander über die Ländergrenzen hinweg?
Schmidt: Rechtsextremistischem Gedankengut muss widersprochen sein. Allerdings sollte man konservative Sichtweisen wie Treue, Verlässlichkeit, aber auch Anerkennung erbrachter Leistung sowie Respekt vor dem, was redlich erworben werden konnte, nicht permanent verdächtigen oder gar diffamieren. Man sollte also die Aufmerksamkeit darauf richten, dass die Debatte von der eigenen Seite aus auf gutem Niveau geführt wird und nicht durch ein herabsetzendes und unfaires Verhalten genau das erzeugt wird, wovor man sich fürchtet.
Mandl-Schmidt:Mit jedem einzelnen Menschen muss immer menschenwürdig umgegangen werden. Wichtig ist auch, dass die Gesellschaft nicht in Einzelgruppen zersplittert. Wir brauchen von allen das Bemühen um das Gemeinsame. Alle sollten immer wieder die eigenen Ansichten kritisch überprüfen und nicht nur in der eigenen Blase leben. Im Alltag brauchen wir ein offenes, nachbarschaftliches, korrektes und aufmerksames Miteinander aller. Dann müssen wir aber auch die konkreten ökonomischen und ökologischen Probleme lösen, damit die Menschen belastbar bleiben.