Katholikentag

"Wir machen Kunst in Krisenzeiten stark"

v.l. Dr. Melanie Prange (Leitung Diözesanmuseum Rottenburg), Weihbischof Gerhard Schneider, Sebastian Schmid (Kurator „St. Maira als“). Foto: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Eva Wiedemann

Beim Katholikentag in Stuttgart sind ab 27. Mai in St. Maria erstmals prämierte Werke des Kunstwettbewerbs "Vulnerable – Verletzlich" zu sehen.

Der Wettbewerb war auf eine große Resonanz gestoßen: Rund 600 Künstlerinnen und Künstler bewarben sich, 25 junge Kreative wurden ausgewählt. Sie setzten sich auf unterschiedlichste Art und Weise mit der Vulnerabilität, also der Verletzlichkeit, des menschlichen Lebens auseinander.

"Die Pandemie und zuletzt nun auch der Krieg in der Ukraine haben uns brutal aus vermeintlichen Selbstverständlichkeiten des Lebens herausgerissen", sagt Weihbischof Dr. Gerhard Schneider, in dessen Zuständigkeit auch der Bereich Kunst in der Diözese Rottenburg-Stuttgart fällt. "Es fällt schwer, diese vielzitierte 'Zeitenwende' in Worte zu fassen. Für uns als Kirche ist es wichtig, gerade in Krisenzeiten wie diesen die Kunst stark zu machen. Die Kunst bietet Wege an, sich in dem unbekannten und immer wieder unfassbaren Geschehen unserer Zeit auszudrücken, zu finden und zu orientieren – gerade auch dort, wo Worte dies nicht mehr vermögen."

Mit einem Schritt zwei Kilometer Wegstrecke erzielen

Dementsprechend vielfältig sind die Werke auch in ihrer Darstellungsform. So zeigt Simon Pfeffel mit seiner Videoperformance "Mit einem Schritt", mit der er einen der ersten Preise erzielen konnte, wie er die rund zwei Kilometer weite Strecke vom Stuttgarter Hauptbahnhof zu St. Maria mit nur einem Schritt zurückgelegt hat. "Dazu hat sich der Künstler das eine Bein nach oben gebunden und sich dann hüpfend und humpelnd durch die Königsstraße gekämpft", berichtet Sebastian Schmid, Theologe und Kurator von St. Maria als, der neben neun weiteren Personen Teil der interdisziplinären Wettbewerbs-Jury war.

Schmid: "Simon Pfeffel war klar, dass er es ohne die Hilfe von Fremden nicht schaffen würde. Trotzdem hat er niemanden um Hilfe gebeten. Nur wenn sich die Stuttgarter Passanten und Passantinnen angeboten haben, ihn zu unterstützen, hat er sich tragen oder stützen lassen. In der Ausstellung sind Videoaufnahmen dieser eindrucksvollen Aktion zu sehen, in der er sich fremden Menschen ausgeliefert hat."

Leitwort des Katholikentags steht auch für gemeinsam verletzlich sein

Die Leiterin des Diözesanmuseums in Rottenburg, Dr. Melanie Prange, die für den Wettbewerb verantwortlich und ebenfalls Jurymitglied war, freut sich, dass die Ausstellung nun während des Katholikentags eröffnet wird. "Zum Leitwort 'leben teilen' des Katholikentags passen unsere Kunstwerke besonders gut, weil alle Menschen verletzlich sind, weil Verletzlichkeit geradezu das wesentliche Moment des menschlichen Daseins ist und Gott sich dieser Verletzlichkeit ausgesetzt hat. Gemeinsam sind wir verletzlich und besonders in der Gemeinsamkeit ebnen sich Wege zur Heilung. Das Motto des Katholikentags bringt wesentliche Gedanken unseres Wettbewerbs- und Ausstellungsthemas noch einmal auf den Punkt."

Dass auch die Kirche selbst verletzlich ist, will Kriz Olbricht mit seinem Kunstwerk zeigen. Dafür hat er fünf Trennkeilgarnituren in die Wand von St. Maria geschlagen. Das handelt es sich um eine Art Nägel, die normalerweise Risse in Steinen erzeugen.

"Es hat viel Überzeugungsarbeit gekostet, bis der Künstler diese Trennkeile in die Wand der Kirche hauen durfte", berichtet Schmid. "Allein die Vorstellung, es könnte ein Riss in der Kirchenwand entstehen, hat bei manchen fast schon Panik erzeugt. Am wenigsten Angst hatte die Gemeinde selbst." Der Kirchengemeinderat habe sofort verstanden, worum es Olbricht gehe. "Schließlich stehen die fünf Nägel im Altarraum für Fragen wie: Wie ernst nimmt die Kirche das Kreuz? Wagt sie es, sich selbst verletzlich zu machen? Riskiert sie die eigene Struktur, um sich auf die Seite der Verwundeten zu stellen?", erläutert der Theologe weiter.

Ausstellung vom 27. Mai bis 24. Juli in Stuttgart zu sehen

Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung dürfen sich auf neun weitere Kunstwerke freuen, die vom 27. Mai bis 24. Juli in St. Maria zu sehen sind. Dr. Prange freut sich, dass die ausgestellten Werke zu neuen Sichtweisen anregen: "Die Diözese hat sich bewusst dafür entschieden, eine Frage zu formulieren und sich von den Antworten junger Kreativer herausfordern zu lassen – sich also verletzlich und offen zu machen. Ganz besonders vor dem Hintergrund, dass Kirche selbst für schlimmste psychologische und körperliche Verwundungen verantwortlich zeichnet. Kreative ernst zu nehmen und ihnen keine Vorgaben zu machen, ermöglicht eine ernsthafte Beschäftigung mit religiösen Gehalten, biblischen Texten und existentiellen Fragen. Die künstlerischen Resultate sind überraschend, inspirierend, deutungsoffen und zeugen von der Tiefe der Auseinandersetzung. Ein Ergebnis, das für die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken von Kirche und Kunst zu betonen ist."

Preisverleihung bei der Vernissage am 27. Mai

Die Preisverleihung des Vulnerable-Wettbewerbs findet bei der Vernissage der Ausstellung am Freitag, 27. Mai, um 19.30 Uhr mit Bischof Dr. Gebhard Fürst und den Mitgliedern der Jury in St. Maria statt. Dort wird auch ein Teil der Kunstwerke bis Sonntag, 24. Juli, ausgestellt.

Zusätzlich wird es zwischen dem 19. Juni und dem 28. August eine Tandemausstellung im Diözesanmuseum Rottenburg mit dem anderen Teil der prämierten Werke geben. Die Vernissage dieser Ausstellung mit Weihbischof Dr. Gerhard Schneider beginnt am Sonntag, 19. Juni, um 15 Uhr.  

Weitere Informationen finden Sie online: https://dioezesanmuseum-rottenburg.de/vulnerable-preistraegerinnen/

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