In den vergangenen Jahren haben Katholikinnen und Katholiken des Dekanats Mühlacker ein Wohnbauprojekt für geflüchtete Menschen in der irakischen Erzdiözese Erbil unterstützt. Nun plant das Dekanat vom 18. bis 28. März 2022 eine Reise dorthin und bietet damit die ganz besondere Gelegenheit, Irakisch-Kurdistan, die Menschen dort, ihre Heimat, ihre Geschichte und ihren Glauben kennenzulernen. Im Interview sprechen Dekan Claus Schmidt und Dekanatsreferent Christoph Knecht über das Hilfsprojekt, die besonderen Beziehungen zwischen Mühlacker und Erbil und natürlich über die geplante Reise.
Wie kam es zum Kontakt mit der Erzdiözese Erbil und dazu, dass Sie im Dekanat Spenden für den Bau des Wohnkomplexes für Flüchtlinge dort gesammelt haben?
Knecht: Auslöser waren die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die in den Jahren 2015/2016 auch zu uns nach Mühlacker gekommen sind und u.a. von Mitgliedern unserer Kirchengemeinden betreut wurden. Die Geflüchteten haben uns von ihrer Sorge erzählt, dass wir hier in Deutschland die Lage unserer Mitchristen im Irak nicht im Blick haben.
Dekan Schmidt: Das war der Anstoß, aus dem heraus wir überlegt haben, was wir konkret für die Christen im Nahen Osten tun können. Zum konkreten Projekt in Erbil kam es dann durch Vermittlung der Hauptabteilung Weltkirche des Bischöflichen Ordinariats und von Missio. Zudem konnten wir uns mit dem Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, persönlich treffen, als dieser die Chaldäische Gemeinde in Stuttgart besucht hat.
Wie hoch waren die Spendengelder, die bislang geflossen sind? Und können Sie uns das Bauprojekt näher vorstellen?
Knecht: Wir haben im Jahr 2017 mit dem Sammeln von Spendengeldern begonnen und bis heute 80 Appartements in dem Wohnkomplex für Flüchtlinge in Erbil mit Küchen ausgerüstet. Insgesamt sind bislang 138.000 Euro an Spendengeldern zusammengekommen.
Dekan Schmidt: Wichtig bei der Auswahl des Projekts, das wir mit Spenden unterstützen wollten, war uns, dass wir etwas sehr Konkretes finden wollten, wo den Menschen vor Ort der Schuh drückt. Es ging uns nicht darum, spektakuläre oder medienwirksame Bilder zu erzeugen, sondern ganz pragmatisch zu helfen – wie wir dies nun eben mit den Küchen für die Flüchtlinge in Erbil getan haben.
Der Irak ist uns selbst ja meist als Kriegs- oder Krisengebiet bekannt. Damit stellt sich die Frage: Wer flüchtet denn in den Irak?
Dekan Schmidt: Es gibt viele Menschen, die innerhalb des Iraks flüchten mussten. Denken Sie beispielsweise an die Jesiden aus Shingal, die ihre Heimat verloren haben, als die Dschihadisten des selbsternannten "Islamischen Staats" mit ihren Massakern begannen. Bei den geflüchteten Jesiden handelt es sich um entwurzelte Menschen, um deren Traumata sich man einen Dreck kümmert. Oder denken Sie an die Menschen aus Mossul; hinzu kommen viele Menschen aus Syrien, die in den Irak fliehen, um Assad ebenso zu entfliehen wie einer Hungersnot.
Die Christen unter den Flüchtlingen kommen alle nach Erbil. Das hat Erzbischof Warda und seine Gemeinden vor Ort vor eine ganz fürchterliche Situation gestellt. Teilweise konnten die Menschen in ihre Dörfer zurückkehren, aber viele Flüchtlinge haben kein Land und kein Zuhause mehr. Sie bleiben damit Geflüchtete.
Die Reise im März führt nicht nur nach Erbil selbst, sondern es steht beispielsweise auch ein Besuch jener Dörfer an, die Saddam Hussein 1988 mit Giftgas angriff. Auf der anderen Seite führt die Tour aber auch über einen Bazar, in die Ninive-Ebene und – ganz nach Karl May – durchs wilde Kurdistan. Wie haben Sie das Programm zusammengestellt?
Knecht: Wichtig waren uns drei Punkte: Erstens die Begegnung mit den Projektpartnern vor Ort rund um Erzbischof Warda, zweitens die Begegnung mit den Christen im Irak und drittens wichtige Orte der Religionen zu besuchen. Zudem hat uns Dr. Stefan Gatzhammer beraten. Ihn haben wir über das Bayerische Pilgerbüro kennengelernt. Er ist Experte für den Irak und hat beispielsweise ein Buch über den „Genozid an den Jesiden“ herausgegeben.
Natürlich kommt die Frage: Wie sieht die Corona-Situation im Irak aus und unter welchen Voraussetzungen können Interessierte mitreisen?
Dekan Schmidt: Corona scheint im Irak nicht so dramatisch zu sein – aus welchen Gründen auch immer. Voraussetzung für die Mitreisenden ist: Sie müssen geimpft sein, ein Gesundheitszeugnis und die üblichen Papiere zur Einreise mitbringen. Vor Ort sind wir gut vernetzt und reisen überwacht; so wird unser Kommen an diversen Checkpoints beispielsweise angekündigt, und natürlich sind wir wegen der Sicherheit mit der Botschaft in Kontakt gewesen. Ich habe allerdings wenig Bedenken wegen unserer Sicherheit vor Ort und plane, eigenständig die Reise um ein paar Tage zu verlängern, um eine irakische Familie zu besuchen.
Knecht: Man darf die Lage in Kurdistan auch nicht mit jener im südlichen Irak vergleichen, wo es wiederholt zu Anschlägen kommt.
Die Reise ist bereits ausgebucht – trotz Corona und etwaiger Vorbehalte wegen der Sicherheit vor Ort. Wie erklären Sie sich dieses große Interesse?
Knecht: Wir freuen uns und sind zeitgleich auch überrascht über die große Resonanz, zumal wir vor zwei Jahren schon einmal einen Anlauf unternommen haben, wegen der beginnenden Pandemie die Irakreise aber absagen mussten. Trotz der aktuellen Widrigkeiten haben sich die Teilnehmenden aber nicht abhalten lassen. Wir freuen uns, den Irak durch unsere eigenen Augen kennenzulernen und damit vielleicht auch eine andere Wirklichkeit als jene Eindrücke, die wir über die Nachrichten vermittelt bekommen.
Dekan Schmidt: Unsere Projektpartner haben immer gesagt: „Besucht uns und unsere Familien.“ Mit der Reise setzen wir auch ein Zeichen, dass wir die Menschen im Irak nicht vergessen.