„Jeder Mensch ist wertvoll und jeder Mensch hat seinen Wert – völlig unabhängig von seiner Gesundheit“, sagt Bischof Fürst. Die Würde könne man nicht verlieren und darüber könne auch nicht verhandelt werden. „Deshalb treten wir als Kirchen dafür ein, dass Menschen mit Demenz ihren Platz in unserer Mitte haben – in der Mitte der Kirche und in der Mitte der Gesellschaft.“
Für die Kirchen und deren Wohlfahrtsverbände sei es daher auch von zentraler Bedeutung, Menschen mit Demenz nicht unter der Perspektive des Defizitären zu betrachten, so Landesbischof July. „Wir müssen darauf sehen, was ihnen alles noch möglich ist, und wir müssen verstehen, dass Angehörige noch immer denselben geliebten Menschen mit je eigenen Bedürfnissen vor sich haben.“
Wir treten als Kirchen dafür ein, dass Menschen mit Demenz ihren Platz in unserer Mitte haben.
Bischof Dr. Gebhard Fürst
Der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. zufolge leben rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland. Allein in Stuttgart leben derzeit etwa 7.000 Demenzkranke – rund zwei Drittel davon zu Hause. „Die Zahlen zeigen: Demenz ist mitten unter uns“, so Bischof Fürst. „Umso wichtiger ist es, dass die Woche für das Leben vom 30. April bis 7. Mai bundesweit ein Schlaglicht auf das Leben mit Demenz wirft.“
Landesbischof July besuchte deshalb das Gemeindepsychiatrische Zentrum in Stuttgart Bad Cannstatt, um sich die Arbeit des Netzwerks „Gemeinsam für ein demenzfreundliches Bad Cannstatt“ vorstellen zu lassen. Bischof Gebhard Fürst wäre gerne dabei gewesen, musste den Termin krankheitsbedingt jedoch leider kurzfristig absagen.
In diesem beispielhaften Projekt arbeiten beide Kirchen, soziale Träger, Einrichtungen und Dienste im Stadtteil, das Bezirksamt sowie die Polizei und künftig auch Migrantenverbände zusammen. „Unser gesamtes Netzwerk ist deutlich mehr als die Summe der Einzelnen. Wir sehen es als Besonderheit an, dass wir über so viele Jahre hinweg so gut zusammenarbeiten. Die Mitwirkenden bringen sich mit ihren Ideen, zeitlichen Ressourcen und finanziellen Möglichkeiten ein. Keiner von uns könnte all das stemmen, ohne die anderen", erläuterte Bettina Oehl, bei der Caritas Stuttgart verantwortlich für die Gesamtkoordination des Netzwerks.
Das Leben von Betroffenen spürbar verbessern
Der Leitende Polizeidirektor Carsten Höfler vom Polizeipräsidium Stuttgart berichtete von den speziellen Schulungen zum Thema Demenz, welche als Teil der Netzwerkarbeit für die Beamten angeboten werden. „Kognitive Einschränkungen sollten wir erkennen, um mit an Demenz erkrankten Menschen angemessen umgehen zu können. Mit 462 Einsätzen jährlich sprechen wir über keine Ausnahmen, sondern über wiederkehrende Einsatzlagen“, unterstrich er deren Bedeutung.
Landesbischof July verwies auf die Nationale Demenzstrategie, die die Bundesregierung zusammen mit Kirchen und Verbänden beschlossen habe. „Ziel ist es, vor Ort Strukturen zu schaffen, in denen zum Beispiel ehrenamtliche Initiativen, Wohlfahrtsverbände, Ärztinnen und Ärzte und Seniorenheime ein enges Netz der Solidarität für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen knüpfen“, so der Bischof. Er freue sich darauf, dass durch die Umsetzung einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen das Leben von Betroffenen spürbar verbessert werde. Schließlich habe gerade die Corona-Pandemie gezeigt, dass ältere Menschen mehr Unterstützung bräuchten.
Demenzerkrankte und deren Angehörige dürften nicht das Gefühl haben, von der Gesellschaft im Stich gelassen zu werden, fordert auch Bischof Fürst. Gemeinsam mit seinem Amtskollegen verweist er auf die Präsenz von Demenzerkrankten in den Kirchengemeinden und auf spezielle seelsorgerliche Angebote.