Wie ein ungreifbares Schreckgespenst hat sich das Corona-Virus in unserer Wirklichkeit festgesetzt. Die Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie bringen viele bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Besonders einschneidend und bedrückend ist die Krise für Menschen, die gesundheitlich vorbelastet sind, für die, deren Arbeitsplatz nun gefährdet ist oder für alle, die aufgrund von Kurzarbeit finanzielle Einbußen hinnehmen müssen.
In den letzten Wochen habe ich viel Post erhalten von Menschen, die mir ihre Not schildern. Einige der Briefe und E-Mails erschüttern mich sehr, vor allem dann, wenn es um das Miteinander in den Familien geht. Nicht selten führen die Ausgehbeschränkungen zu Problemen und Konflikten. Leittragende sind häufig die Kinder. Soziale Kontakte auf das wirklich nötige Minimum zu reduzieren, ist aus Rücksicht auf diejenigen, die wir lieben, unumgänglich. Gleichzeitig steht durch das „Distanz halten“ viel auf dem Spiel.
Wir haben Kommunikationsmittel, die es uns erleichtern, Kontakt zu halten, aber zu wirklicher Begegnung gehört mehr – ein Händedruck zum Beispiel, oder auch eine Umarmung, Gesten der Zärtlichkeit oder der Ermutigung und der Tröstung. Dazu gehört, dass wir unsere Freude und unser Leid miteinander teilen, dass wir da sind, wenn ein Einsamer Zuspruch braucht.
Besonders traurig war es, dass in den vergangenen Wochen Menschen alleine gestorben sind, dass sie in ihrer Todesstunde mit ihren Ängsten alleine waren, ohne Abschied, ohne dass ihre Nächsten sie begleiten konnten. Diese Erfahrung hinterlässt tiefe seelische Verwundungen bei den Hinterbliebenen.
Trotz all dieser bedrückenden Erfahrungen greift leider in dieser schwierigen Zeit ein neuer Ungeist um sich. Menschen gehen auf die Straße, weil sie sich durch die Corona-Maßnahmen ihrer Grundrechte beraubt sehen. Damit stellen sie ihr Bedürfnis nach Freiheiten über den Schutz der besonders schwachen, vulnerablen Menschen. Dies ist nicht nur unsolidarisch, sondern geradezu egoistisch und im höchsten Maße verletzend. Die Protestierer verstoßen gegen das oberste Grundrecht der unantastbaren Menschenwürde, das zuallererst dem Schutz des Lebens dient.
Gerade zu Pfingsten sollten wir uns alle das Handeln derer, die sich im Geiste Jesu besonders für die Kranken und Schwachen einsetzten, zum Vorbild nehmen. Sie sprengten das verkrustete Denken und wandten sich in einer neuen Sprache den Menschen zu. Zu ihrem Grundwortschatz gehörten, Barmherzigkeit, Solidarität und Nächstenliebe.
Nicht nur damit brachten sie einen neuen Geist in die Welt und unter die Menschen, sondern auch in ihrem alltäglichen Handeln. Sie nahmen sich der Menschen an, die in der antiken Gesellschaft zu den „Hochrisikogruppen“ zählten: der Alten, Witwen und Waisen, Menschen mit seelischen Krankheiten und körperlichen Handicaps, der Fremden und all der anderen, die keine Rechte besaßen und keine Lobby hatten.
2000 Jahre später ist es an uns, aus dem Geist der Nächstenliebe unseren Mitmenschen Liebe und Solidarität zu zeigen. Erneut müssen wir kreativ werden, weil bestimmte Dinge gerade nur sehr eingeschränkt möglich sind. Im heutigen Akutzustand bedeutet Zuwendung maßvolles Distanzhalten zum Schutz der Schwachen, zu denen, die uns besonders nahe sind. Die Kraft zu solchem Handeln beziehen die Christen aus ihrem Glauben an Gott – der Gottesliebe.
Distanzhalten gilt leider auch für unsere Gottesdienste. Auch hier müssen wir mit Einschränkungen leben. Für viele wirken die neuen Regeln im Gottesdienst befremdlich: Handdesinfektion statt Weihwasser, zwei Meter Abstand und eventuell das Tragen einer Gesichtsmaske anstatt einander die Hand zum Friedensgruß zu reichen. Auch der Gemeindegesang, der die Mitfeier lebendig macht, muss bis auf weiteres unterbleiben. Den Leib Christi empfangen wir nicht direkt aus der Hand des Kommunionspenders. Diese Regeln erfüllen wir aus dem Heiligen Geist geschwisterlicher Liebe.
Pfingsten ist das Fest der Gemeinde, die sich im Gottesdienst versammelt, um gestärkt durch Gottes Geist dem Alltag und seinen Herausforderungen gegenüberzutreten. In diesem Jahr gilt das besonders, weil gerade jetzt in der Krise der Geist Jesu besonders wirksam sein will und muss. Der Heilige Geist Jesu soll uns stark machen, unseren Alltag mit all seinen Herausforderungen zu bewältigen.
Mut, Beistand und das Vertrauen brauchen wir in diesen Wochen besonders: Den Geist der Liebe gegen den Ungeist der Entsolidarisierung, den Geist der Stärke, gegen den Ungeist der Verzagtheit und der Lähmung, den Geist den Gemeinschaft, gegen das Alleinsein, den Geist der Wahrheit gegen sämtliche Verschwörungsmythen.
Bereits jetzt ist vielerorts ein neuer Geist spürbar – ein pfingstlicher Geist, der durch Gottes und der Menschen Handeln unter uns allen heilsam wirkt. In diesem Sinne möchte ich von Herzen „Danke“ sagen für das vielfältige Engagement. Danke, dass Sie die Menschen nicht vergessen, die einsam sind, weil sie ihre Wohnungen nicht oder kaum verlassen dürfen. Danke, dass Sie Einkaufsdienste organisieren! Danke für die vielen tröstenden Impulse im Internet und in den sozialen Medien.
All diese Initiativen machen Gottes Geist sichtbar und erfahrbar– an diesem besonderen Pfingsten und weit darüber hinaus: im pfingstlichen und erfahrbaren Geist tätiger Nächstenliebe.