Kirche der Zukunft

Yoga oder Bücher lesen in der Kirche?

Die Gruppe hebt in der barock ausgestatten Kirche die Hände nach oben.

Benjamin Sigg vom Dekanat Allgäu-Oberschwaben leitet die Jugum-Übungen, die europäische Yogatradition, in der Bärenweiler Kirche an - Foto: DRS/Waggershauser

Die Impulstagung „Kirchen als Zukunftsorte“ bringt Ideen und motivierte Menschen aus der Bodenseeregion im Allgäu zusammen - Inspiration von Köln.

Zuerst gehen die Hände nach oben, dann bilden sie vor dem Körper eine Schale. Schließlich legen die Teilnehmenden in dem herbstlich kühlen Kirchlein in aller Ruhe beide Hände übereinander aufs Herz. „Jugum ist die europäische Form von Yoga“, erklärt Pastoralreferent Benjamin Sigg. Das Leibgebet mit Gebärden geht unter anderem auf den Heiligen Dominikus zurück und kennt verwandte Formen auf allen Kontinenten und in fast allen Religionen. „Man kann es auch weltanschaulich neutral anwenden“, ergänzt der Theologe in der kreativen Pause nach dem Mittagessen. Mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Tourismusentwicklungsagentur neuland+ und der Caritas Vorarlberg lud der Vertreter des Dekanats Allgäu-Oberschwaben zur Impulstagung „Kirchen als Zukunftsorte“ Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund in die „Heimat Bärenweiler“ ein.

Schon der Veranstaltungsort - ebenfalls ein Kooperationspartner - ist etwas Besonderes. Denn das barocke Kirchlein etwas außerhalb von Kißlegg als Teil des historischen Spitals gehört samt der umliegenden Gebäude Christian Skrodzki. „Ich sehe mich als lebenslanger Verwalter“, sagt der für das Gemeinwohl engagierte Allgäuer. Zusammen mit vielen anderen, die sich genossenschaftlich beteiligen, entwickelt er das Ensemble derzeit zu einem Zukunftsort mit Gastronomie, Veranstaltungsräumen, Übernachtungs- und Wohnmöglichkeiten, aber auch mit Büros und Handwerksbetrieben. Sein Ziel: ein lebendiges Dorf. Dass das Dekanat hier als Partner auf Augenhöhe einsteigt und das Kirchlein im Sinne des Gesamtkonzepts mit Meditationen, Vorlesungen und Konzerten bespielt, schätzt Skrodzki sehr.

„Weiter so“ geht nicht

„Zukunft ist nicht die Verlängerung der Gegenwart“, betont Dr. Walter Schmolly, Direktor der Caritas Vorarlberg. Das dürfte zumindest im Bezug auf Kirchengebäude den etwa 100 Teilnehmenden in Bärenweiler klar sein. Unter ihnen sind neben etlichen Interessierten aus den umliegenden katholischen und evangelischen Kirchengemeinden auch Vertreter:innen der Bereiche Architektur, Bildung, Kirchenleitung, Regionalentwicklung und Tourismus im Bodenseeraum. Gotteshäusern eine Zukunft geben bedeute aber nur in Ausnahmefällen Abriss oder Verkauf. Der Rottenburg-Stuttgarter Diözesanbaumeister Dr. Thomas Schwieren und andere Impulsgeber zeigen Beispiele von einem verkleinerten Gottesdienstbereich und gleichzeitig Flächen für Bibliotheken, Museen, Urnenstelen sowie für Sport und Begegnung - samt Schrank mit Yoga-Decken.

(Beispiele von einer Exkursion nach Köln siehe unten.)

In Workshops spinnen die Teilnehmenden selbst Ideen, wie die heute schon unter der Woche meist ungenutzten Kirchengebäude belebt werden können. Darunter Klassiker wie Konzerte jeglicher Art und Kirchencafé, aber auch die Nutzung durch externe Kooperationspartner für ihre Veranstaltungen. Als Hemmnis benennen sie fast durchgehend den Respekt vor dem Heiligen und den Gefühlen von Gläubigen sowie die Befürchtung, Kirchenferne könnten Berührungsängste haben, einen Sakralraum zu betreten. Außerdem sorgen sie mögliche Einwände des Denkmalamts oder fehlendes Geld. „Fangen Sie einfach mal an“, empfiehlt der Diözesanbaumeister. Die Bänke rauszuschrauben und zu experimentieren, dafür brauche es noch kein Denkmalamt. Kosten müsse es auch nicht viel. „Und dann lassen Sie sich Zeit“, riet er.

Kooperationspartner frühzeitig einbeziehen

Es sei nämlich laut Schwieren wichtig, dass die neue oder zusätzliche Nutzung zu den Menschen vor Ort passe, so dass diese Lust hätten mitzumachen. Im Ausprobieren zeige sich dann, was geht und was nicht. Wenn am Ende ein tragfähiges Konzept stehe, sei das Denkmalamt in den allermeisten Fällen sehr kooperativ. Mögliche externen Projektpartner, etwa die Tourismusbüros, von Anfang an einzubeziehen, rät ein Teilnehmer in der Schlussrunde. Um herauszufinden, wie ein Kirchenraum auf verschiedene Personengruppen wirkt, erhält in einem Workshop jede:r eine ganz konkrete Identität. Die Teilnehmenden erkunden aus dem Blickwinkel ihrer „Persona“ das Bärenweiler Kirchlein und entdecken als Mensch mit Sehbehinderung Stolperfallen oder als Nichtchristin jede Menge Figuren, die sie nicht kennt, ohne Erklärung.

„Und wer setzt die ganzen Ideen jetzt um?“ - eine Frage, die am Ende im Raum steht. Die Veranstalter wollen nach ihren Möglichkeiten weiter begleiten. Finanziell beteiligt sich neben der Diözese die Internationale Bodenseekonferenz (IBK), die das Projekt „Zukunftsorte Bodensee“ unterstützt. „Unsere Idee war, die Kirchen in dieses Ideenprogramm mit hineinzunehmen“, erläutert Benjamin Sigg den Hintergrund der Veranstaltung. Das große Interesse und die motivierte Mitarbeit bestätigen diesen Weg. Eine größere Gruppe aus Isny beratschlagt gleich vor Ort, wie sie zu Hause am besten vorgehen. Drei bis fünf Gemeinden lädt Philipp Kahl von neuland+ am Schluss zu einem besonderen Förder- und Austauschprojekt ein. Die Isnyer wollen sich auf jeden Fall bewerben.

Blick über den Tellerrand

Exkursion nach Köln

Um Kirchen als Zukunftsorte ging es auch bei der Exkursion einer Gruppe aus dem Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart nach Köln. Mitarbeitende des Bischöflichen Bauamts, der Hauptabteilung XIII (Kirchengemeinden und Dekanate) und des diözesanen Projekts „Räume für eine Kirche der Zukunft“ besuchten Kölner Kirchen, die sich für verschiedenste Nutzungsmöglichkeiten öffnen. Im Mittelpunkt der Exkursion stand die Frage: Wie können Kirchenräum lebendig bleiben – auch jenseits des klassischen Gottesdienstes? 

Die besichtigten Kirchen zeigten eindrucksvoll, wie vielfältig die Antworten auf diese Frage sein können: Sankt Peter etwa öffnet sich als Kunst-Station für internationale Ausstellungen, Interventionen oder Performances. Man spüre dort die „Kraft der Leere“, so eine Teilnehmerin der Exkursion. Die „Kirche für Leib und Seele“, St. Karl, zeichnet sich mit mobilem Mobiliar durch ihr offenes, caritatives Konzept aus: neben dem Gottesdienst finden regelmäßig Kleider-, Lebensmittel- und Essensausgabe, aber auch musikalische oder spirituelle Workshops statt; zusätzlich steht der Raum für diverse stärkende Beratungsangebote zur Verfügung. Auch die Kirche des ehemaligen Klarissenklosters wird heute zusätzlich als multifunktionaler Bildungs- und Veranstaltungsraum genutzt; auf dem restlichen Teil des Kloster-Geländes ist ein integratives Wohnprojekt entstanden. Wieder anders: die Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln-Ehrenfeld, eine zum Kolumbarium umgestaltete Kirche, deren Innenraum vom Kolumbarium durch ein Messingnetz abgetrennt ist und eine transzendente Symbolkraft hat. Oder die KinderKirche in Porz, die gleichzeitig als „Erlebnisraum“, „Begegnungsraum“ und „Gottesdienstraum“ fungiert und auch unter der Woche für Kinder und Familien geöffnet ist. Einige dieser Konzepte sind bereits fest etabliert, andere noch im Experimentierstadium – provisorisch, kreativ, mutig.

Im Austausch mit den Kolleg:innen aus dem Erzbistum Köln ergab sich ein spannender Einblick in die Praxis: Was funktioniert gut? Wo braucht es Mut, Offenheit oder das Vertrauen, Dinge auszuprobieren? Schnell wurde deutlich: Kirchen müssen nicht profaniert werden, um neu belebt zu werden. Vieles lässt sich gestalten, wenn man bereit ist, gewohnte Wege zu verlassen und neue zu denken.

Die Gruppe kehrte mit vielen frischen Ideen und Impulsen zurück – und mit der Erkenntnis, dass vieles möglich ist, es aber nicht „die eine Lösung“, sondern viele individuelle Wege gibt.

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