Jubiläum

Zeit schenken und Raum geben

Gerda Engelfried und Sr. Teresa Seibert. Foto: Katholische Kirche in Stuttgart

Ein Gespräch, ein tröstendes Wort, ein Gebet: Die Passantenseelsorge in der Stuttgarter Königstraße gibt es seit 25 Jahren.

Seit 25 Jahren können Menschen in der Passantenseelsorge an der Domkirche St. Eberhard von ihren Sorgen und Nöten erzählen. Das Angebot in der Stuttgarter Innenstadt ist für ausnahmslos jeden gedacht, einen Termin braucht es nicht. „Jeder ist eingeladen zu einem offenen Gespräch über seine Freuden und Sorgen, über Hoffnungen und Enttäuschungen, über Ängste und Zutrauen“, sagt Schwester Teresa Seibert. Eine große Feier wird es nicht geben, dafür Besuche bei sozialen Einrichtungen und einen Gottesdienst am Sonntag, 13. Oktober, um 10 Uhr in St. Eberhard. „Eine große Jubiläumsfeier passt nicht zu uns“, so die Franziskanerin.  

Bunt und vielfältig wie das Leben

Wie oft sie die Kerze auf dem runden Tisch schon mit einem Streichholz angezündet hat, um sich eine Lebensgeschichte anzuhören, tröstende Worte zu sprechen oder um mit jemandem zu beten, vermag Schwester Teresa Seibert nicht mehr zu sagen. Zu viele Begegnungen hat die Franziskanerin schon hinter sich, seit sie gemeinsam mit Gerda Engelfried die Passantenseelsorge in der Königstraße leitet. So bunt und vielfältig wie das Leben, so unterschiedlich sind auch die Anliegen, mit denen die Menschen zu ihr kommen. „Manchmal hilft es schon, sich einfach Zeit zu nehmen und zuzuhören“, so Schwester Teresa.

Während draußen vor der Domkirche St. Eberhard ein endloser Strom an Menschen vorbeizieht und das Leben auf Stuttgarts größter Einkaufsstraße pulsiert, ist es drinnen beschaulich ruhig. Ein Ort, der zum Verweilen einlädt. Und zum Erzählen. Manche Menschen, die der Einladung auf dem Schild vor der Tür folgen und ein Gespräch suchen, tragen schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten ein Problem mit sich herum. So wie jene Frau, die oft an dem Schild vorbeilief, eines Tages dann aber den Schritt hinein wagte. „Sie hat sich geöffnet, weil der richtige Zeitpunkt gekommen war, und sich bei uns alles von der Seele geredet“, sagt Schwester Teresa, die viel erzählen könnte über das Not und Elend auf dieser Welt, über Beziehungsprobleme, Missbrauch, Armut, Krankheit und vor allem das Gefühl, unendlich einsam zu sein.    

Der damalige Bischof Walter Kasper hatte die Idee

Im Jahr 1994 auf Initiative des damaligen Bischofs Walter Kasper ins Leben gerufen, hat sich das besondere „Angebot für alle Vorübergehenden“ seither vielfach bewährt. Die Möglichkeit, mehr oder weniger ungeplant über die Sorgen und Ängste des Lebens reden zu können, ist seit nunmehr 25 Jahren außerordentlich gefragt -  unabhängig von Alter, Herkunft, kulturellem Hintergrund, Geschlecht und Religion. Rund 1.150 längere Gespräche hat das Seelsorge-Team alleine im Jahr 2018 geführt, dazu kommen noch etwa 850 kürzere Begegnungen. Unterstützt werden die beiden Leiterinnen von drei Ehrenamtlichen, die für ihre seelsorgliche Arbeit bereits entsprechende Erfahrungen im pädagogischen Bereich gemacht haben und speziell dafür ausgebildet wurden.   

Gerda Engelfried hat das Amt im Juli 2017 übernommen, mitgebracht hat die Gemeindereferentin viel Erfahrung in der Seelsorge. Sie hat unter anderem neun Jahre in der Notfallseelsorge gearbeitet und war bei vielen Trauergesprächen dabei. An erster Stelle würden in den oft spontanen Gesprächen allgemeine Lebensprobleme stehen, erzählt sie, angefangen bei Streitigkeiten mit dem Nachbarn über Identitätskonflikte, Zukunftsängste und Suchtprobleme. Ein weiterer wichtiger Bereich seien allgemeine Glaubensfragen und Gedanken über eine christliche Weltanschauung oder auch andere Glaubensrichtungen. So sei vor wenigen Wochen ein junger Muslim mit seinem Vater zu Besuch gewesen, um hier ihr Gebet zu sprechen, erzählt Gerda Engelfried: „Auch sie haben sich eingeladen gefühlt.“

Gemeinsame Gebete öffnen Türen

Überhaupt haben die beiden Seelsorgerinnen festgestellt, dass vermehrt Menschen in die Einrichtung kommen, die dankbar sind für ein Gebet oder die gesegnet werden wollen. So kann Schwester Teresa von einem jungen Mann erzählen, der zunächst das Vaterunser mit ihr beten wollte – und hinterher noch seine ganze Lebensgeschichte erzählte. „Das gemeinsame Gebet hat die Türe geöffnet“, sagt die Ordensfrau aus dem Kloster Sießen, die in die Gebete auch konkrete Alltagsprobleme einbezieht und die Menschen ermutigt, auch auf diese Art eine Begegnung mit Gott zu suchen. Und dann war da noch das brasilianische Ehepaar, das kurz zuvor beim Arzt erfahren hatte, dass die Frau schwanger ist. „Die beiden sind direkt hierher gekommen, um gemeinsam mit mir für das Kind zu beten“, erzählt Schwester Teresa: „Das war fast ein heiliger Augenblick, der mich bis heute nicht loslässt.“

Mitunter müssen Hilfesuchende in eine Notunterkunft weitervermittelt werden, zu einer Therapieeinrichtung, einer Suchtstelle oder der Schuldnerberatung. Viele Menschen kommen vor allem deshalb zur Passantenseelsorge auf der Königstraße, weil es keine vorherige Terminvereinbarung braucht, alles anonym und unkompliziert läuft, wie Gerda Engelfried sagt: „Viele sind überrascht, dass sie einem so schnell gegenübersitzen und ihr Herz ausschütten können.“ Sich zu öffnen sei nicht zuletzt eine Frage der inneren Haltung und der Stimmungslage, die sich schnell wieder ändern könne. „Wer einen Termin in zwei Wochen bekommt, ist dann vielleicht in anderer Stimmung und sucht kein Gespräch mehr.“

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