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Zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt

Dr. Claudia Guggemos

Dr. Claudia Guggemos und die Katholische Erwachsenenbildung in Reutlingen bieten Kursabende zum Thema „Rassismus“ an, die auch Interessierten, die nicht aus Reutlingen kommen, offenstehen. Bild: Petra Jaschke

Dr. Claudia Guggemos spricht im Interview über die „Wochen gegen Rassismus“ und Justyna Höver erläutert den Hintergrund der Aktionswochen.

Am 17. März beginnen die „Internationalen Wochen gegen Rassismus“. Die Stadt Reutlingen beteiligt sich mit mehreren Akteuren der Stadtgesellschaft zum vierten Mal an der Aktion. Mit dabei ist auch die Katholische Erwachsenenbildung (Keb) im Landkreis Reutlingen. Deren Leiterin Dr. Claudia Guggemos spricht im Interview über die kommenden Aktionswochen und das Angebot der Keb.

Frau Dr. Guggemos, weshalb engagiert sich die Keb Reutlingen bei den „Aktionswochen gegen Rassismus“?

Die Bevölkerung der Stadt Reutlingen besteht fast zur Hälfte aus Menschen mit Migrationshintergrund. Dass wir bei den Aktionswochen dabei sind, liegt daran, dass wir auch im sonstigen Bildungsalltag mit verschiedenen migrantischen oder interkulturellen Gruppen zusammenarbeiten. Uns bei den Wochen gegen Rassismus einzubringen hat sich also ganz natürlich ergeben.

Das diesjährige Motto lautet „Menschenwürde schützen“. An was denken Sie da spontan?

Zwei ganz unterschiedliche Dinge fallen mir spontan ein: Das ist ein kurzer, knackiger Slogan für einen Weg, der im Alltag aus vielen kleinen Schritten besteht. Gleichzeitig fallen mir die vielen politischen Angriffe auf die Menschenwürde ein: Wir alle mussten jüngst mitansehen, wie im Oval Office das Recht des Stärkeren auf der Weltbühne ausgeübt wurde. Viele Menschen bei uns und weltweit erleben täglich, was Präsident Selenskyj im Weißen Haus widerfahren ist: Mobbing, Bedrohung, Demütigung und Provokation.

Welche Rolle spielt Erwachsenenbildung aus Ihrer Sicht im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus?

Der Weg zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt ist ein Weg der kleinen Schritte: Erwachsenenbildung kann helfen, eigene ‚Blasen‘ zu verlassen, neue Sichtweisen auszuprobieren und Menschen kennenzulernen, die anders sind und denken.

Zum Hintergrund

Die Wochen gegen Rassismus werden in Deutschland seit 1994 organisiert und finden immer um den 21. März herum statt, dem internationalen Welttag gegen Rassismus. Es sind Aktionswochen der Solidarität mit den Gegnern und Opfern von Rassismus. In diesem Jahr finden sie unter dem Motto „Menschenwürde schützen“ statt.

Justyna Höver vom Fachreferat für Interkulturelles Sozialmanagement der Diözese Rottenburg-Stuttgart erklärt die Beteiligung der Diözese an den Aktionswochen so: „Als Diözese beteiligen wir uns vor Ort in lokalen Zusammenschlüssen und Bündnissen an Aktivitäten. Das Anliegen ist uns als Kirche wichtig, da wir uns grundsätzlich für den Schutz von Menschenrechten einsetzen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, da wir daran glauben, dass jeder Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist.“ Das bedeute, dass alle Menschen gleich an Würde sind und diese Würde unantastbar ist. Dabei sei es unerheblich, woher Menschen kommen, wie lange sie bereits in Deutschland leben oder welcher Religionsgemeinschaft sie angehören, sagt Höver. „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar.“

Höver erklärt, weshalb Rassismus uns alle etwas angeht – auch wenn wir glauben, dass diese Form von Diskriminierung uns nicht betrifft: „Jede Form von Rassismus, Menschenfeindlichkeit und gesellschaftlicher Spaltung gefährdet uns alle, da sie den Kern unserer demokratischen Grundordnung berühren. Wir sind deshalb mehr denn je dazu aufgerufen, uns für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu engagieren und zu zeigen, dass Integration gelingen kann. Wir als Kirche können Integration. In der Diözese gibt es eine Vielzahl an positiven Beispielen, die zeigen, dass Migration eine Bereicherung sein kann. Menschen, die Schutz suchen, bringen Talente, Perspektiven und den Wunsch nach einer neuen Lebensperspektive mit, die unsere Gesellschaft stärken.“

Und welche Bedeutung kommt dabei einer katholischen Perspektive auf das Thema zu?

Darauf gibt es mindestens drei Antworten: Erstens: Auch bei uns gibt es Rassismus – verdeckten, ganz beiläufigen und auch offenen, denn Kirche ist ein Teil von Gesellschaft. Der erste Schritt ist, dies wahrzunehmen. Zweitens: Die von der katholischen Soziallehre inspirierten handlungsleitenden Prinzipien ‚Gesellschaftlicher Zusammenhalt‘, ‚Gerechte Teilhabe‘ und ‚Ganzheitliche Nachhaltigkeit‘ der Hauptabteilung ‚Kirche und Gesellschaft‘, zu der wir gehören, sind Grundlage erwachsenenbildnerischen katholischen Handelns: Wir nehmen Rassismus als eine der gesellschaftlichen Fliehkräfte wahr, thematisieren ihn und suchen Wege für Inklusion und nachhaltige Integration. Drittens: Die katholische Kirche bringt mit ihrer Internationalität eine einzigartige Perspektive in den gesellschaftlichen Diskurs ein: So hat die Weltsynode deutlich gemacht, dass es im Raum der Kirche immer darum gehen muss, anderen Stimmen Raum zu geben und sie wirklich zu hören. Weltkirche bedeutet: Unsere eigene deutsche Perspektive ist wichtig und gleichzeitig nur eine neben vielen anderen. Exemplarisch ist dabei unser Beitrag zu den Reutlinger Aktionswochen: Der Referent ist vielen hier in der Diözese bekannt als ehemaliger Trainer im Rahmen der internationalen Freiwilligendienste der Diözese.

Mit welchen Angeboten genau ist die Keb denn vertreten?

Wir sind mit online-Abenden zum Thema ‚Kulturelle Vielfalt und Gesellschaftlicher Zusammenhalt‘ vertreten. Am 3. April bieten wir Gelegenheit dem ‚Totschlagargument Rassismus‘ auf die Spur zu kommen, um die Frage nach dem Sagbaren vielleicht zu verändern. Am 28. April können Interessierte erfahren, wie es gelingen kann ‚Vorurteile als Bausteine interkulturellen Lernens‘ zu verwenden. Es geht jeweils um ganz praktische Erfahrungen, die durch die Einsichten des Experten für Interkulturelle Prozesse, Maximilian Engl, eine neue Wendung bekommen und so zu Inspirationen werden können.

Die Angebote finden online statt. Können also auch Interessierte, die nicht aus Reutlingen kommen, teilnehmen?

Selbstverständlich freuen wir uns, wenn Menschen außerhalb von Reutlingen teilnehmen. Der Hauptgrund, unsere Kursabende online anzubieten ist ja gerade, dass ein guter Ansatz sich multiplizieren kann.

Inwiefern ist es Ihnen wichtig, dass solche Bildungsangebote in einem Kontext wie den ‚Internationalen Wochen gegen Rassismus‘ stattfinden?

Durch die Veröffentlichung unseres Angebots zum interkulturellen Training im Rahmen der ‚Internationalen Wochen gegen Rassismus‘ erhoffen wir uns, dass ein Thema, das zunächst einmal schwierig erscheint, breiter wahrgenommen wird, als wenn wir es nur auf unseren Kanälen bewerben. Außerdem wird so deutlich, dass die katholische Erwachsenenbildung mit einem christlichen Menschenbild und daher mit einer Option für die Schwachen unterwegs ist und auf dieser Grundlage gemeinsam mit anderen Akteuren gegen Rassismus und für gesellschaftlichen Zusammenhalt steht.

Und ganz praktisch: Wie lässt sich aus Ihrer Sicht gegenseitiges Verständnis am besten fördern?

Gemeinsam reden ist gut. Nachdenken über Unterschiede und Gemeinsamkeiten ist wichtig. Das bieten wir in unseren Seminarabenden an. Zusammen mit Menschen unterschiedlicher Herkunft am gemeinsamen Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu arbeiten ist besser: Das erleben wir bei der Arbeit im Netzwerk der Engagierten gegen Rassismus. Dann schauen wir nicht nur einander an, sondern in die gleiche Richtung und können Unterschiede als Bereicherung erleben.

Wird das aus Ihrer Wahrnehmung heraus schwieriger?

Auf der einen Seite wird das gesellschaftliche Klima weltweit rauer. Auf der anderen Seite wächst eine positive Gegenbewegung gegen Hass und Hetze: Immer mehr Menschen suchen positive Nähe und Begegnung, aus der Vertrauen erwachsen kann.

Und wann wird es einfacher?

Wenn wir Begegnungsräume schaffen, die Vertrauen in die Fähigkeiten der anderen und auch in sich selbst wachsen lassen, wird es einfacher, gegenseitiges Verständnis im Alltag zu erleben. Dieses Vertrauen ist die Grundlage für demokratischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Was sind aus Ihrer Sicht denn die häufigsten Missverständnisse oder Fehleinschätzungen beim Thema Rassismus?

Das häufigste Missverständnis ist, dass es darum geht, eine neue, ‚woke‘ Verbotskultur zu etablieren, die uns künstlich das Sprechen schwer macht. Das führt dann zu der bekannten Klage, was man alles nicht sagen dürfe. Unser Referent Maximilian Engl formuliert stattdessen: ‚Was will man gar nicht mehr sagen, wenn man erstmal weiß, was das eigentlich heißt?‘

Inwiefern engagiert sich die Keb Reutlingen auch außerhalb der Aktionswochen für deren Anliegen?

Das keb Bildungswerk im Kreis Reutlingen kooperiert neben den Gemeinden mit Katholiken anderer Muttersprache auch mit zivilgesellschaftlichen Vereinen und Gruppierungen, die sich in ihrer alltäglichen Arbeit für Verständigung und Dialog einsetzen. Die Wochen gegen Rassismus oder die Interkulturellen Wochen im September, die wir gemeinsam mit dem Dekanat organisieren, sind für uns wie ein Schaufenster, in dem zu sehen ist, was unsere Arbeit das ganze Jahr über prägt. 

Zur Person:

Dr. Claudia Guggemos leitet seit fünf Jahren das katholische Bildungswerk in Reutlingen. Die promovierte Religionspädagogin ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie liebt an der katholischen Erwachsenenbildung besonders, dass sie hier gesellschaftlich brennende Themen aufspüren, erarbeiten und mit anderen Menschen in den Dialog bringen kann. Die ausgebildete psychologische Beraterin und Coachin beschreibt ihre Aufgabe bei der Keb als eine Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft, wo täglich Übersetzungsarbeit in beide Richtungen geleistet werden kann und muss.

Ein Blick in die Diözese

Außer in Reutlingen finden auch an vielen anderen Orten in der Diözese Rottenburg-Stuttgart Veranstaltungen im Rahmen der „Wochen gegen Rassismus“ statt. Hier eine Auswahl:

  • Die Ludwigsburger Wochen gegen Rassismus, bei denen die Caritas-Dienste in der Flüchtlingsarbeit (CaDiFa) am 25. März einen interkulturellen Kochkurs anbieten und am 17. März eine Podiumsdiskussion mit Medico International zum Thema „Asyl und europäische Außengrenzen“ organisieren. Am 21. März gibt es auf dem Marktplatz in Ludwigsburg zudem eine Kundgebung und einen Markt der Möglichkeiten mit allen an den Aktionswochen beteiligten Organisationen, an dem die CaDiFa mit einem Stand präsent sein wird.
  • Die CaDiFa in Tübingen plant einen Tag der offenen Tür im Caritas-Zentrum, gemeinsam mit dem Verein Pro Sinti & Roma. Ziel ist es, Vorurteile abzubauen und ins Gespräch zu kommen. Stattfinden soll dies am 20. März in der Zeit von 10 bis 12 Uhr.
  • Die CaDiFa in Horb ist im Koordinationsteam für die „Internationalen Wochen“ und organisiert zusammen mit der dortigen Keb und der Stadt Horb das Programm, innerhalb dessen es am 18. März einen Workshop geben soll zum Thema: „Mutig und klar gegen Menschenfeindlichkeit - Ein Workshop zu Strategien gegen Stammtisch-Parolen und Anfeindungen.“ Am 24. März folgt ein Workshop mit dem Titel „Meine Werte - Deine Werte - Unsere Werte? - Workshop zu den Herausforderungen interkultureller Begegnung“ und am 28. März folgt ein Kochworkshop, zusammen mit dem Jugendreferat Horb, mit dem Titel „Fair Kochen und über den Tellerrand schauen - Ein Kochworkshop zu Ernährung, Vielfalt und Menschenwürde“.
  • In Crailsheim organisiert die CaDiFa gemeinsam mit Kooperationspartnern eine Ausstellung mit Arbeiten von Dominik Lucha. Die Ausstellung ist am 29. und 30. März 2025 im dortigen Forum der Arkaden von 11 bis 18 Uhr geöffnet. "Was ihr nicht seht!“ beleuchtet den Alltagsrassismus, den Menschen, die nicht als weiß gelten, in Deutschland täglich erfahren.
  • In der Region Bodensee-Oberschwaben soll außerdem ein Austausch zwischen Geflüchteten und Schüler:innen stattfinden.

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