Und welche Bedeutung kommt dabei einer katholischen Perspektive auf das Thema zu?
Darauf gibt es mindestens drei Antworten: Erstens: Auch bei uns gibt es Rassismus – verdeckten, ganz beiläufigen und auch offenen, denn Kirche ist ein Teil von Gesellschaft. Der erste Schritt ist, dies wahrzunehmen. Zweitens: Die von der katholischen Soziallehre inspirierten handlungsleitenden Prinzipien ‚Gesellschaftlicher Zusammenhalt‘, ‚Gerechte Teilhabe‘ und ‚Ganzheitliche Nachhaltigkeit‘ der Hauptabteilung ‚Kirche und Gesellschaft‘, zu der wir gehören, sind Grundlage erwachsenenbildnerischen katholischen Handelns: Wir nehmen Rassismus als eine der gesellschaftlichen Fliehkräfte wahr, thematisieren ihn und suchen Wege für Inklusion und nachhaltige Integration. Drittens: Die katholische Kirche bringt mit ihrer Internationalität eine einzigartige Perspektive in den gesellschaftlichen Diskurs ein: So hat die Weltsynode deutlich gemacht, dass es im Raum der Kirche immer darum gehen muss, anderen Stimmen Raum zu geben und sie wirklich zu hören. Weltkirche bedeutet: Unsere eigene deutsche Perspektive ist wichtig und gleichzeitig nur eine neben vielen anderen. Exemplarisch ist dabei unser Beitrag zu den Reutlinger Aktionswochen: Der Referent ist vielen hier in der Diözese bekannt als ehemaliger Trainer im Rahmen der internationalen Freiwilligendienste der Diözese.
Mit welchen Angeboten genau ist die Keb denn vertreten?
Wir sind mit online-Abenden zum Thema ‚Kulturelle Vielfalt und Gesellschaftlicher Zusammenhalt‘ vertreten. Am 3. April bieten wir Gelegenheit dem ‚Totschlagargument Rassismus‘ auf die Spur zu kommen, um die Frage nach dem Sagbaren vielleicht zu verändern. Am 28. April können Interessierte erfahren, wie es gelingen kann ‚Vorurteile als Bausteine interkulturellen Lernens‘ zu verwenden. Es geht jeweils um ganz praktische Erfahrungen, die durch die Einsichten des Experten für Interkulturelle Prozesse, Maximilian Engl, eine neue Wendung bekommen und so zu Inspirationen werden können.
Die Angebote finden online statt. Können also auch Interessierte, die nicht aus Reutlingen kommen, teilnehmen?
Selbstverständlich freuen wir uns, wenn Menschen außerhalb von Reutlingen teilnehmen. Der Hauptgrund, unsere Kursabende online anzubieten ist ja gerade, dass ein guter Ansatz sich multiplizieren kann.
Inwiefern ist es Ihnen wichtig, dass solche Bildungsangebote in einem Kontext wie den ‚Internationalen Wochen gegen Rassismus‘ stattfinden?
Durch die Veröffentlichung unseres Angebots zum interkulturellen Training im Rahmen der ‚Internationalen Wochen gegen Rassismus‘ erhoffen wir uns, dass ein Thema, das zunächst einmal schwierig erscheint, breiter wahrgenommen wird, als wenn wir es nur auf unseren Kanälen bewerben. Außerdem wird so deutlich, dass die katholische Erwachsenenbildung mit einem christlichen Menschenbild und daher mit einer Option für die Schwachen unterwegs ist und auf dieser Grundlage gemeinsam mit anderen Akteuren gegen Rassismus und für gesellschaftlichen Zusammenhalt steht.
Und ganz praktisch: Wie lässt sich aus Ihrer Sicht gegenseitiges Verständnis am besten fördern?
Gemeinsam reden ist gut. Nachdenken über Unterschiede und Gemeinsamkeiten ist wichtig. Das bieten wir in unseren Seminarabenden an. Zusammen mit Menschen unterschiedlicher Herkunft am gemeinsamen Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu arbeiten ist besser: Das erleben wir bei der Arbeit im Netzwerk der Engagierten gegen Rassismus. Dann schauen wir nicht nur einander an, sondern in die gleiche Richtung und können Unterschiede als Bereicherung erleben.
Wird das aus Ihrer Wahrnehmung heraus schwieriger?
Auf der einen Seite wird das gesellschaftliche Klima weltweit rauer. Auf der anderen Seite wächst eine positive Gegenbewegung gegen Hass und Hetze: Immer mehr Menschen suchen positive Nähe und Begegnung, aus der Vertrauen erwachsen kann.
Und wann wird es einfacher?
Wenn wir Begegnungsräume schaffen, die Vertrauen in die Fähigkeiten der anderen und auch in sich selbst wachsen lassen, wird es einfacher, gegenseitiges Verständnis im Alltag zu erleben. Dieses Vertrauen ist die Grundlage für demokratischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Was sind aus Ihrer Sicht denn die häufigsten Missverständnisse oder Fehleinschätzungen beim Thema Rassismus?
Das häufigste Missverständnis ist, dass es darum geht, eine neue, ‚woke‘ Verbotskultur zu etablieren, die uns künstlich das Sprechen schwer macht. Das führt dann zu der bekannten Klage, was man alles nicht sagen dürfe. Unser Referent Maximilian Engl formuliert stattdessen: ‚Was will man gar nicht mehr sagen, wenn man erstmal weiß, was das eigentlich heißt?‘
Inwiefern engagiert sich die Keb Reutlingen auch außerhalb der Aktionswochen für deren Anliegen?
Das keb Bildungswerk im Kreis Reutlingen kooperiert neben den Gemeinden mit Katholiken anderer Muttersprache auch mit zivilgesellschaftlichen Vereinen und Gruppierungen, die sich in ihrer alltäglichen Arbeit für Verständigung und Dialog einsetzen. Die Wochen gegen Rassismus oder die Interkulturellen Wochen im September, die wir gemeinsam mit dem Dekanat organisieren, sind für uns wie ein Schaufenster, in dem zu sehen ist, was unsere Arbeit das ganze Jahr über prägt.