Zwischen Wut-Ausbrüchen, Ent-Täuschungen und Mut-Versuchen

Dekanatsrat ist empört über Missbrauch, Unehrlichkeit und Vertuschungsstrategie im System Kirche – und stellt sich hinter Aussagen von Dekan Friedl.

Reutlingen/Zwiefalten. Sie konnten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen: Die jüngste digitale Sitzung der Rätinnen und Räte aus den Kirchengemeinden und Einrichtungen des katholischen Dekanats Reutlingen-Zwiefalten begann mit einer Runde der Betroffenheit. Einige der Anwesenden machten sich Luft, waren empört, wütend und verstört über den derzeitigen Zustand der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit. Andere blieben einfach sprachlos oder brachten ihre Enttäuschung zum Ausdruck, berichtet Dekanatsreferent Clemens Dietz.

Aufforderung zum Handeln

Zahlreiche Kirchenaustritte, die Enthüllungen durch die Übergabe des Gutachtens zur Sexualisierten Gewalt in der Erzdiözese München-Freising, die emotionale ARD-Dokumentation „OutInChurch“ von über 125 schwulen, lesbischen und queeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Dienst der katholischen Kirche – und schließlich die Diskussionen und Beschlüsse der Synodalversammlung am vergangenen Wochenende in Frankfurt – das und noch viele weiteren Erfahrungen waren genug Stoff, nicht nur eine Sitzung mit Themen und Anliegen zu füllen, sondern die Verantwortlichen in den Kirchenleitungen endlich zum Handeln und zu konkreten Taten aufzufordern, berichtet Dietz.

Wutausbrüche und Klartext

„Der Umgang mit Menschenwürde und mit dem Geschenk menschlicher Sexualität ist unglaublich. Die Vertuschungsstrategien und der falsche Selbstschutz sind himmelschreiend. Ich bin als Katholikin so voller Wut!“ ,fasste es Tanja Frank, stellvertretende Gewählte Vorsitzende des Dekanatsrats aus Bad Urach ins Wort. „Wo bleibt das Eigentliche des Glaubens – die glaubwürdige Botschaft des Evangeliums Jesu Christi in unserer Zeit?“, so stand die Frage mehrfach im digitalen Raum.

Dekan Hermann Friedl (Pfullingen-Lichtenstein) redete Klartext – und das nicht zum ersten Mal, so Dietz: Gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, sei für ihn keine Frage – er mache das. Frauen sollten in der katholischen Kirche die gleichen Rechte eingeräumt werden wie Männern. So setze er sich – zusammen mit den Dekanatsrätinnen und -räten – wiederholt für eine Frau in der Dekanatsleitung als seine Stellvertreterin ein. Es dürften keine „Mäntel des Schweigens“ mehr über die Krisen gedeckt werden. Jetzt müssten konkrete Taten folgen.

Spirituelle Labsal mit Humor

Als Gastreferent spendete der Theologe Ludger Hoffkamp aus Remseck, selbst als Pastoralreferent im Dienst der Diözese Rottenburg-Stuttgart angestellt, allen ein Stück „spirituelle Labsal“ via Bildschirm:
„Als MissioNarr bin ich von der positiven Kraft des Humors und der Bedeutung positiver Gefühle – trotz aller Krisen, gerade jetzt in dieser Kirche überzeugt“, so der Seelsorger, der auch freiberuflich als Clown „Kampino“, Zauberer und Humorcoach tätig ist. „Entdecken Sie möglichst täglich das Kind in Ihnen. Lassen Sie sich auf das Leben in aller Vielfalt, nicht in Beliebigkeit, ein. Üben Sie eine positive Psychologie, machen Sie mehr Komplimente und haben Sie den Mut, dabei auch nicht perfekt zu sein. Werden Sie immer wieder neu zu Kindern Gottes“, so erinnerte er die Anwesenden an die, wie er feststellte, unbedingte und fast schon verrückte Botschaft Jesu: Jede und jeder ist – auch im Engagement als Dekanatsrätin oder -rat sei Teil von Kirche in der Welt von heute und habe die Aufgabe, einzuladen, zu begeistern und zu ermutigen.

Hinweis auf bestehendes Engagement

In der Sitzung wurde auf das bereits bestehende Engagement in der Diözese Rottenburg-Stuttgart hingewiesen. "Bereits seit 2002 wurde die Kommission Sexueller Missbrauch gegründet, die entsprechenden Hinweisen nachgeht und Anzeige bei der Staatsanwaltschaft stellt, wenn die Opfer dies wünschen", so Dietz. Die Vertreterin des Dekanats im Diözesanrat, Gabriele Derlig, sei Mitglied dieser Kommission und selber als Präventionsberaterin bei den Präventionsfortbildungen des Dekanats tätig. Bereits im Jahr 2012 sei die Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz installiert worden. Und schließlich habe Ende 2021 die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Beschäftigte in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ihre Arbeit aufgenommen.

Rückenstärkung für Dekan Friedl

In einer gemeinsamen Erklärung und mit einem einstimmigen Beschluss stellten sich die Delegierten hinter die Positionen von Dekan Hermann Friedl, die er in einem Interview am 24. Januar und 1. Februar in der Reutlinger Presse dargelegt hatte („Hoffen, dass die Kirche sich bewegt“). Sie solidarisierten sich mit der Initiative „OutInChurch“ und forderten, dass die sexuelle Identität von Mitarbeitenden keine arbeitsrechtlichen Nachteile nach sich zieht und sich niemand verstecken muss, so Dietz weiter. Hierzu sollten die Verantwortlichen der Diözese klare arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen schaffen. Kirche solle darüber hinaus einladend sein und sexuelle Vielfalt akzeptieren. Niemand solle in irgendeiner Weise abgewiesen oder ausgeschlossen werden. So sollten auch die bei der Synodalversammlung in Frankfurt jüngst beschlossenen Segnungen für homosexuelle Paare erlaubt und umgesetzt werden. In diesem Sinn planten bereits einige Kirchengemeinden im Dekanat rund um den Valentinstag am 14. Februar vielfältige Gottesdienste und Segensfeiern für Liebende und Paare.

Neues Gesprächsangebot eingegangen

Die Dekanatsrätinnen und -räte begrüßten die klaren Aussagen zur Öffnung des Zölibats und zur Öffnung des Zugangs für Frauen in der Kirche zu Diensten und Ämtern aufgrund ihrer gleichen Würde. Sie unterstützen ebenso die basisorientierte Mitwirkung bei der Bischofswahl, die mit der voraussichtlichen Pensionierung von Bischof Dr. Gebhard Fürst Ende 2023 in der Diözese dann hoffentlich auch schon umgesetzt werde. Nicht zuletzt müsse das kirchliche Arbeitsrecht so gestaltet werden, dass es nicht-heterosexuell orientierten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Dienst in der Kirche ermöglicht. Hier würden die engagierten Vertreterinnen und Vertreter des Dekanatsrats nun allen Mut zusammennehmen und von Bischof und den Verantwortlichen im Bischöflichen Ordinariat umgehende, zeitnahe und vor allem tatkräftige Entscheidungen einfordern, vor allem in der Frage der Einsetzung einer Frau als Dekanatsbeauftragte, quasi als „Dekanin“. „Hoffnungsvoll stimmt hierzu, dass überraschenderweise gerade in diesen Tagen ein neues Gesprächsangebot seitens der Diözesanleitung zu diesem Thema im Dekanatsamt eingegangen ist“, berichtete Dekanatsreferent Clemens Dietz dem Plenum.

Mut und Tatkraft

Der Dekanatsrat unterstütze diesen Willen und die konkreten Wege zur Umsetzung der jüngsten Beschlüsse der Frankfurter Synodalversammlung. Die Delegierten seien sich aber auch im Klaren darüber, dass nicht alle Kirchengemeindemitglieder im Dekanat so entschieden und offen über die derzeitigen Herausforderungen und Notwendigkeiten der katholischen Kirche denken. Aber es seien erste, gemeinsame Schritte und „Mut-Versuche“, den desaströsen Zustand der katholischen Kirche mit einer vertrauensvollen und glaubwürdigen Haltung persönlich und in den Kirchengemeinden vor Ort zu verändern. Und so mit „Hoffnung und Überzeugung, dass Kirche sich bewegt“, tatkräftig mitzuwirken, heißt es in der Mitteilung.

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