Studien- und Begegnungsreise des Diözesanrats

Von Stuttgart nach Görlitz und über Breslau nach Ostrau

Wie können sich Christinnen und Christen über staatliche Grenzen hinweg über Europa einigende Themen austauschen, sich vernetzen und zivilgesellschaftliches Engagement stärken? Diese und viele weitere Fragen sollen während der fünftägigen Studien- und Begegnungsreise des Diözesanausschusses Europa besprochen werden.

Ines Szuck ist mit dabei und berichtet von den Begegnungen und Gesprächen.

Zurück in Stuttgart

Am späten Sonntagabend traf die 14-köpfige Reisegruppe wieder im Bischof-Leiprecht-Zentrum in Stuttgart ein. Fünf Tage mit vielen Begegnungen und Eindrücken liegen hinter ihr.

Ob alle Fragen beantwortet wurden? Welche Schlüsse können aus dem Gehörten gezogen werden? Ein erstes Fazit: Es ist viel in Bewegung und noch viel Luft nach oben.

Pamet‘ národa - Gedächtnis des Volkes

Die letzte Station der Begegnungsreise führte die Gruppe nach Pilsen. Dort traf sie die Literaturwissenschaftlerin Dr. Katerina Kováčková, die sich als Tschechin mit der Thematik „Vertreibung der Deutschen aus Böhmen“ auseinandersetzt.

Das Projekt Pamet’ národa, übersetzt Gedächtnis des Volkes, sammelt mit Interviews Zeitzeugen-Erinnerungen. Diese persönlichen Berichte sollen für die Wirkung historischer Ereignisse auf die einzelnen Menschen sensibilisieren. Für den Diözesanausschuss Europa sind die methodischen Überlegungen Kováčkovás sehr wichtig, gerade was die Fragen nach dem Verständnis für Europa und dem Beitrag des Christentums zu einem versöhnlichen Umgang miteinander betrifft und nicht zuletzt in strittigen Fragen in der Interpretation historischer Ereignisse.

Dorf des Zusammenlebens

Am Samstagnachmittag besuchte die Gruppe das „Dorf des Zusammenlebens“ in Ostrava-Muglinov. Der Leiter dieses Diözesancaritas-Projekts erklärte, dass es sich um eine Integrationsmaßnahme für Sinti und Roma handle. So besteht die Dorfgemeinschaft zu je einem Drittel aus Sinti und Roma, Mischfamilien und anderen sozial Benachteiligten.

Das Wichtigste dabei ist das friedliche Zusammenleben. Der katholische Caritasverband unterstützt die Menschen im Projekt ohne Blick auf deren Weltanschauung. Könnte diese soziale Integrationsmaßnahme auch beispielhaft für andere europäische Länder sein? Dieser Frage möchte der Diözesanausschuss Europa nachgehen.

Auf den Spuren der Friedensglocke aus Aichtal-Grötzingen

In der Versöhnungskirche (St. Laurentius)  von Píšť traf die Gruppe auf eine Glocke, die viele Jahre in einem Kirchturm im württembergischen Aichtal-Grötzingen hing. Während des Zweiten Weltkriegs war sie von den Nationalsozialisten aus der Kirche in Píšť entnommen worden, sollte eingeschmolzen und zu Munition verarbeitet werden. Sie überstand die Kriegszeit unbeschadet und fand Verwendung in der 1954 neu erbauten Pfarrkirche im württembergischen Aichtal-Grötzingen (Maria Hilfe der Christen).

Im Rahmen des Projekts „Friedensglocken für Europa“ wurde sie im Oktober 2021 wieder nach Píšť zurückgebracht. Diese Friedensglocken sollen die Gemeinden in der Begegnung und im geschwisterlichen Gebet im gemeinsamen Haus Europa verbinden. Das Anliegen des Diözesanausschusses Europa ist es nun, diese Begegnung zu fördern und lebendig werden zu lassen.

Europa hat viele Gesichter – Kirche in Europa auch – Begegnungen in Breslau

Nach der Eucharistiefeier am Freitagvormittag erläuterte der Kanzler der Diözese Breslau, welch maßgebliche Bedeutung die Kirche hier habe: Sie steuert die Verkündigung. So erreiche der Sonntagsgottesdienst rund 23 Prozent der Katholikinnen und Katholiken.

Am Nachmittag gab es nach dem gemeinsamen, einstündigen Rosenkranzgebet ein Gespräch mit den Marienrittern. Zunächst fand ein Austausch in Kleingruppen statt. Anschließend wurden die Ergebnisse in großer Runde unter Beteiligung des ordensgeistlichen Gemeindeleiters angesprochen.

Eine 30-jährige Frau erzählte beispielsweise, sie habe ihr Leben ganz Maria geweiht. Sie beklagte die Unordnung in der polnischen katholischen Kirche und sei froh, wenn die Priester wieder für Klarheit und Ordnung sorgten. Der Gemeindeleiter fügte hinzu, dass die deutschen Priester aus seiner Sicht ihr Priestertum mehr als Beruf denn als Berufung ansehen würden. Sakramente und Seelsorge gehörten für ihn zusammen, deshalb sei er gegen laientheologische Berufe, wie Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten.

Breslau - eine alte junge Stadt der Gegensätze

Ort des Widerstands und Dialogs

Was können wir als Christinnen und Christen dazu beitragen, die Gräben in Europa zu überwinden? Wichtig war der Gruppe der Besuch eines auf den ersten Blick profanen Ortes – der Jugend- und Begegnungsstätte Kreisau. Bei genauerem Hinsehen ein Ort mit großer historischer Bedeutung: ein Ort des Widerstands gegen die Tyrannei des Nationalsozialismus, von Anfang an ein Ort des Dialogs.

Auch heute ist es ein Ort der Begegnung zwischen Jugendlichen aus ganz Europa. Dabei geht es nicht nur um den Dialog also solchen, sondern auch um das gemeinsame Gestalten in Form von grenzüberschreitenden Projekten – zur europäischen Geschichte, Nachhaltigkeit, Stärkung der Dialogkompetenz oder Musik. Aktuell gibt es einen Workshop rund um das Thema Flamenco: Ziel ist eine gemeinsame Aufführung der teilnehmenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Und was kann der Diözesanausschuss Europa nun konkret dazu beitragen? Er kann Mut machen, sich an solchen grenzüberschreitenden Gemeinschaftsprojekten zu beteiligen, organisatorische Hindernisse aus dem Weg räumen und vor allem für den europäischen Austausch werben. Der Beginn ist gemacht, aber es ist noch Luft nach oben!

Besichtigung der Friedenskirche in Jawor (Jauer) in Polen

Mitte des 17. Jahrhunderts (1654-55) aus Holz, Lehm und Stroh nach den Plänen des Breslauer Architekten Albrecht von Saebisch erbaut, hängt die Entstehung der Kirche mit den Bedingungen des Westfälischen Friedens, der den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) beendete, zusammen. Auf folgende Auflagen war beim Bau zu achten: Die Kirche musste einen Kanonenschuss außerhalb der Stadt stehen, sie durfte keine Türme haben und von außen nicht als Kirche erkennbar sein. Deshalb gleicht die Friedenskirche eher einer Scheuer denn einem Gotteshaus.

Anders das Kircheninnere: Es ist im barocken Stil gestaltet. Seitlich finden sich vier hölzerne Emporen mit Brüstungen, die mit Bibeldarstellungen und Wappen des protestantischen Adels und der Jauerer Handwerkerzünfte geschmückt sind. Der Name Friedenskirche geht ebenfalls auf eine Auflage des Westfälischen Friedens zurück, die besagte, dass es Protestanten in Gebieten mit katholischer Herrschaft möglich sein musste, einen würdigen Ort für Gottesdienste zu haben.

Beispiele für die Zusammenarbeit

Die erste Station der Reise war die Begegnung mit Mitgliedern des Diözesanrats Görlitz. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde informierten Hartmut Schirmer, Vorsitzender des Diözesanrats Görlitz, und Ingrid Schmidt, Geschäftsführerin, über die Zusammensetzung und über die Aufgaben und die Arbeit des Gremiums. Dabei wurde deutlich, dass das mediale europafeindliche Bild vom Osten Deutschlands nicht der Realität entspricht.

Im Gegenteil: Es besteht eine selbstverständliche Zusammenarbeit zwischen polnischen und deutschen Christinnen und Christen. Seit Jahrzehnten gibt es Kooperationsprojekte wie zum Beispiel den Königsumzug am 6. Januar oder alle vier Jahre die Fronleichnamsprozession. Zur Sprache kam auch das selbstverständliche Nebeneinander von muttersprachlichen polnischen und deutschen Gemeinden. Die nächste Station führt die Gruppe zur Friedenskirche nach Jawor (Jauer) in Polen.

Entdeckungen in der Altstadt von Görlitz

Rast am "Auerwälder Blick"

Die erste Station ist Görlitz

Gibt es auch in Ost-Deutschland, Polen und Tschechien etwas, das Europa zusammenhält? Und stimmt es, dass dem Christentum dabei eine besondere Rolle zukommt? Könnte ja sein, dass das alles nur Fake News sind“, so Dr. Stefan Meißner, Vorsitzender des Diözesanausschusses Europa der Diözese Rottenburg-Stuttgart vor Beginn der 5-tägigen Studien- und Begegnungsreise – bewusst provozierend. Er ist einer der Initiatoren. Die Reise ist ihm wichtig. Und so begibt sich eine kleine Gruppe vom 20. bis 24. Juli von Stuttgart nach Görlitz über Breslau nach Ostrau. Ziel ist es, sich in der persönlichen Begegnung mit kirchlichen Gruppierungen, Organisationen und Amtsträgern über die jeweilige kirchliche Situation und die Aufgaben auszutauschen, zu diskutieren, Unterschiede zu erkennen und nicht zuletzt sich zu vernetzen und das über staatliche Grenzen hinweg.

Auch Prof. Dr. Rainer Bendel, Geschäftsführer AKVO Vertriebenenverbände und Mitglied im Ausschuss Europa liegt die Reise am Herzen. „Europa braucht Öffentlichkeit. Öffentlichkeit entsteht durch Austausch, Gespräch, Begegnung. Das sind eigentlich Kernkompetenzen von Christinnen und Christen. Die sollten wir in einem ersten Schritt gerade in der Nachbarschaft pflegen. Und Nachbarn haben wir in allen Himmelsrichtungen“, so Bendel.

Gemeinsam mit Meißner und Bendel begeben sich 12 weitere Teilnehmende auf die 5-tägige Reise. Unter anderem stehen die Besichtigung der Friedenskirche in Jawor (Polen) und des Projekts „Friedensglocken für Europa“ in Pist (Tschechien) auf dem Programm. Im Mittelpunkt stehen aber der Austausch und die Begegnungen mit den Menschen vor Ort, so zum Beispiel Gespräche in der europäischen Jugend- und Bildungsstätte Krzyzowa, im Dorf des Zusammenlebens in Ostrava – Muglinov, einem Integrationsprojekt der Caritas für Sinti und Roma, sowie mit dem Kanzler der Kurie, Dr. Jacek Froniewski in Breslau.

Erste Station der Reise ist das östlichste und, gemessen an der Zahl der Gläubigen, das kleinste Bistum Deutschlands „Görlitz“ und die Begegnung mit Mitgliedern des dortigen Diözesanrats.