Fasnet '21

Tradition und Innovation

Narren aus Weingarten in rot-weißem Flecklehäs.

Diese Narren in Weingarten schnellen mit sogenannten Karbatschen, die deutlich lauter als vergleichbare Peitschen knallen.

Die Fasnet ist in der Region Bodensee-Oberschwaben seit Jahrhunderten fest verwurzelt und entwickelt sich weiter.

Tradition wird in Oberschwaben, im Allgäu und am Bodensee großgeschrieben. Das meint aber nicht Verklärung und Konservierung einer scheinbar guten alten Zeit. Bodenständige und doch moderne Menschen von heute füllen das ererbte Brauchtum mit Leben, entwickeln es zeitgemäß weiter – und schaffen auch mal ganz neue Traditionen. Das gilt auch und besonders für die fünfte Jahreszeit, die Fasnet.

Der Muff der Jahrhunderte hat gar keine Chance sich auf den Masken und Häsern, wie die meist bunten Gewänder heißen, abzulegen. Denn pünktlich am 6. Januar, dem Dreikönigstag, stauben sie die Narrenzünfte im schwäbisch-alemannischen Raum gründlich ab. Dieses Jahr griff jeder Haushalt selbst zum Wedel mit fantasievoller digitaler Unterstützung. Die Videos sind meist noch auf den Webseiten der Zünfte abrufbar.

Dass die Fasnet 2021 ganz ausfällt, ist Fake-News. Da die Narretei mindestens so ansteckend ist wie Corona, infiziert sie meist ganze Familien. Und so werden viele ihre Fasnet heuer regelkonform im eigenen Haushalt oder in Videokonferenzen daheim feiern, so wie sie das bereits mit Ostern und Weihnachten geschafft haben. Auf den Straßen tragen höchstens Puppen in Schaufenstern das Häs. Aber wer die Ohren spitzt, hört beim Spaziergang oder beim Joggen vielleicht aus der ein oder anderen Wohnung den örtlichen Narrenruf.

"Breisgau - Ofaloch" in Weingarten

Wer ein "Breisgau" vernimmt, auf das die Familienmitglieder mit "Ofaloch" antworten, befindet sich nicht in Freiburg, sondern in Weingarten. Hier beginnt die kleine virtuelle Rundtour durch alte Fasnetshochburgen in den vier Dekanaten der Region Bodensee-Oberschwaben. Der Ruf erinnert daran, dass von Altdorf aus, wie Weingarten damals hieß, bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Geschicke der gesamten Landvogtei Schwaben gelenkt wurden. Schwaben war ein Teil Vorderösterreichs mit Sitz in Freiburg. Mit "Breisgau" verhöhnten die Leute ursprünglich also die Obrigkeit.

Ein Tanz um den Brunnen wird in Altdorf erstmals im Jahr 1348 erwähnt. Spätestens aus dem 16. Jahrhundert gibt es zahlreiche Belege für eine ausgiebige Feier der Fasnet. Einen ersten Hinweis auf die Plätzler, deren Häser mit unzähligen Stoffflecken übersät sind, stammt aus dem Jahr 1861. Bis in die heutige Zeit schnellen diese Narren mit ihren Karbatschen, also langen Seilen, die deutlich lauter als vergleichbare Peitschen knallen. Beim Fasnetsbutzarössle, der originellsten und am längsten belegten Figur der Weingärtler Fasnet, entsteht durch seitlich herabhängende, künstliche Beine der Eindruck, als gehörten die originalen Gliedmaßen zum Pferd.

"Doraus, detnaus" in Bad Saulgau

Die "Alte Linde" in Bad Saulgau gibt es heute nicht mehr. Das Gasthaus stand vor dem einzigen in Notzeiten geöffneten Stadttor. Im Jahr 1355 wütete in "Sulgen" die Beulenpest und es herrschte Hungersnot. Die Chronik berichtet von Bürgern, die in Stadt und Umland vermummt und mit Körben an Stangen betteln gingen. Daran erinnern die Saulgauer Dorausschreier, die ihre Ausbeute als Wurst oder Fisch im geschnitzten Mund tragen. Der Name ist vom damaligen Bettelspruch abgeleitet, der als Narrenruf verkürzt "Doraus, detnaus, bei der alte Linda naus" lautet.

Wie Weingarten gehört die Dorauszunft zur altehrwürdigen Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. Da die Masken der Hexen in der Saulgauer Zunft vom Aussehen dem der reinen Hexenzunft in Offenburg zu ähnlich waren, ersetzten die Oberschwaben die glatten Holzgesichter durch die stark runzlige Riedhutzel. Sie gehört inzwischen zu den beeindruckendsten und schönsten Hexengestalten in der süddeutschen Fastnachtslandschaft und bildet in Saulgau zahlenmäßig die größte Narrengruppe.

"Gooole" in Riedlingen und "Montfort - Jehu" in Tettnang

Nicht als Gruppe, sondern als fünf Einzelfiguren prägen die Gole mit ihrem überdimensionalen Kopf die Riedlinger Fasnet. Der Name, der auch gleichzeitig Narrenruf ist, soll vom biblischen Riesen Goliat abstammen, den der kleine David mit einer Steinschleuder besiegt hat. Nachdem schon 1505 eine Fasnet in der Donaustadt erwähnt wird, gründete sich die Zunft 1865. Neben den Boppele - benannt nach der kugelförmigen Haartracht - gehört zu den Begleitern der Gole auch ein graziler Storch mit einer Schar Frösche. Sie stehen im Zusammenhang mit dem Froschkuttelessen, an dem am Fasnetsdienstag gewöhnlich auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann teilnimmt.

In Tettnang dreht sich auch in der Fasnet alles um die grünen Dolden, für die die Stadt bekannt ist. Der erste Hopfennarr sprang 1938 durch die Straßen. 1953 erhielt er Gesellschaft durch weitere Artgenossen und die bunt karierten Gätterlet. Später mischten sich auch die Hopfensau - so wurde bei der Ernte die Person genannt, die den letzten Stängel der Saison abgezupft hat - und die Rote Spinne als Einzelfiguren unter die Narrenschar. Legendär sind in Tettnang jedoch die Fasnetsbälle. Schon 1574 werden Maskenkleider des Grafen Ulrich von Montfort erwähnt. 1836 gab es erste Ball-Veranstaltungen, die später der Narrenverein Narrhalla organisierte, Vorgänger der Narrenzunft Tettnang.

"Ramseweible - Grantigs Weible" in Amtzell

Weshalb endet nun die Reise durch die alten Fasnetshochburgen gerade in Amtzell, dem westlichen Tor zum Allgäu? Die dortige Narrenzunft gründete sich – wie unzählige andere in der Region – erst in den 1990-er Jahren. Unabhängig davon, dass der Autor selbst einst sein Gesicht hinter einer solchen Maske verbarg, zeigt das Beispiel, wie neue Traditionen entstehen. Einer alten Sage nach lebte ein bigottes Weib in dem "Ramsenholz" genannten Waldstück. An einem kirchlichen Feiertag, an dem das Tanzen streng verboten war, entdeckte sie junge Leute, die sich in einem Schuppen zur Musik vergnügten. Sie ließ die “Sünder” samt Tanzfläche im Erdboden versinken.

"Wenn ihr nicht brav seid, holt euch das Ramseweible" – an diesen Satz der Eltern können sich noch manche alte Amtzeller erinnern. Die junge Zunft griff die sagenhafte historische Figur 1996 als Narrenvorbild auf. Da das grantig-mürrische Waldweib mit ihren Erziehungsmethoden aber nicht mehr in die Zeit passte, erhielt ihr Holzgesicht ein freundliches Lächeln. Tradition mit Innovation zu verbinden, das ist ein Markenzeichen der Region Bodensee-Oberschwaben. Das gilt für die Fasnet, aber auch für die Wirtschaft und die Reform der Kirche.

Narri, Narro!

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